Die Regierung stuft Covid-19 zu einer normal beherrschbaren Krankheit herab. Das hat Risiken – unter anderem, weil die Bundesländer bei Zahlen schummeln oder Daten überhaupt nicht liefern.
Jetzt ist Covid-19 also dort, wo es Maßnahmen-Kritiker:innen immer gesehen haben: auf dem Niveau einer schweren Influenza. Statt Quarantäne gibt es Krankenstand, Verkehrsbeschränkungen und Maskenpflicht. Angesichts der hohen Infektionszahlen und der Warnungen vor weiteren, starken Wellen im Herbst ist das durchaus gewagt und sorgt auch unter Expert:innen für heftige Diskussionen und Kritik. Das Risiko sei weiterhin hoch, sagen die einen, man müsse Risikogruppen schützen, aber wieder zu eine Normalität leben, sagt Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Man müsse „einfach zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht über Jahre hinweg dieses Ausmaß an pandemiebedingter Krisenstimmung leben können“, sagte Rauch der „Tiroler Tageszeitung“ (Dienstagsausgabe). Man bekomme im Herbst mit der Gaskrise, der Teuerung und dem Krieg in der Ukraine „eine sehr belastete Situation in der Gesellschaft“, betont Rauch: „Ich bin Sozial-und Gesundheitsminister, deshalb beschäftigt mich mittlerweile die soziale Frage und die Frage der sozialen Verwerfungen mindestens ebenso intensiv wie die Corona-Krise.“
Damit mag er wohl Recht haben. Dennoch bleiben eben auch SARS-CoV-2 und mögliche Mutationen ein Risiko. Um das zu bewältigen, braucht es Daten. Streicht man aber Tests und dann auch die Quarantäne geht der Überblick zunehmend verloren, warnt etwa das Prognosekonsortium. Man könne die Entwicklungen künftig nur noch schwer vorhersagen, warnen die Fachleute. Nicht zuletzt deshalb hatten sie vor einigen Tagen bereits gefordert, dass die Belagsdaten in Spitälern künftig stärker beachtet werden sollten als Tests. Denn die finden in manchen Bundesländern immer weniger statt. Allerdings fehlen diese Daten. Deshalb hat die Regierung den Ländern am Montag gerade im Hinblick auf die Datenlage die Leviten gelesen hat. Auf der Tagesordnung des Gesprächs stand weniger die Quarantäne-Aufhebung, sondern vor allem die Einmeldung ins Covid-19-Register. Es enthält pseudonymisierte Daten aller Patient:innen mit einer Covid-19-Infektion in Krankenhäusern. Das Register gibt unter anderem Aufschluss über die Zahl der Patient:innen mit Covid-19 als Hauptdiagnose, die Dauer des Spitalsaufenthalts, die Wirksamkeit der Impfungen und ähnliches mehr. Es ist seit Mai in Betrieb, derzeit meldet aber erst ein Teil der Bundesländer regelmäßig seine Daten ein.
Der Druck zu Lockerungen kam diesmal auch aus der Wirtschaft, die generell mit Personalmangel kämpft und nun noch viele coronabedingte Ausfälle hatte. Die Regierung will zudem wohl auch ein Problem weniger haben und Maßnahmen-Kritiker:innen den Wind aus den Segeln nehmen, wie Rauch mit seiner Aussage einblicken lässt. Der Druck der Bevölkerung ist durch Klima- und Energiekrise sowie durch die Inflation schon groß genug. Allerdings zeigen die Lockerungen – egal wie man dazu stehen mag – auch etwas anderes: Rauch lässt sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern weniger von den Ländern dirigieren. Er pocht auf seine Richtlinienkompetenz im Gesundheitswesen, entscheidet und zieht das durch. Genau das haben der Rechnungshof und die Länder von Gesundheitsministern immer wieder gefordert – und die Ländern haben dabei auch geglaubt, dass das nie ein Minister wirklich gegen den Druck der Länder schafft. Jetzt werden ihnen die Grenzen aufgezeigt, denn das Aus der Quarantäne gilt für alle Länder. Ausnahmen wird es nicht geben. Nicht geben wird es allerdings eine Rückkehr zur Normalität und damit zur Zeit vor Corona. Es gibt maximal eine neue Normalität. Und die bedeutet, dass wir wohl mit dem Virus und seinen Folgen leben müssen.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Föderalismus gesundheitsschädigend ist und sich die Bundesländer in Gesundheitsfragen zunehmend als inkompetent erweisen. Es braucht endlich Transparenz über regionale Ausgaben, Erkrankungszahlen, Spitalsdaten und eine zentrale Steuerung. (rüm)