Die jüngste Performance der Regierung in Sachen Corona-Management wirft viele Fragen auf? Fast bekommt man den Eindruck, dass der Kanzler eine andere Strategie verfolgt, als der Gesundheitsminister.
Dass über die Teststrategie in Sachen Corona öffentlich diskutiert wird, macht Sinn – keine Frage. Es ist gut, Fakten transparent zu diskutieren. Überraschend ist, dass dies nicht die bisher gelebte Praxis ist, die man von der ÖVP und auch von der Regierung gewohnt ist. Gerade deshalb wundert man sich über Ereignisse der vergangenen Tag: Da wird ein internes Strategiepapier eines Rot-Kreuz-Experten aus dem Krisenstab an die Öffentlichkeit gespielt und dort diskutiert. Da gelangen falsche Rohdaten über – zu hohe – Infektionszahlen an die Medien. Woher ist unklar. Und das bei einer türkisen Kanzlerpartei, die Message control quasi perfektioniert hat. Passieren hier plötzlich unprofessionelle Fehler, die man bisher für unmöglich gehalten hat?
Möglich. Denkbar ist aber auch, dass die Dinge nicht unkontrolliert passieren. Im ersten Fall wäre das ein Zeichen, dass der Regierung die Coronakrise über den Kopf wächst. Im zweiten Fall, dass sie uneinig ist über den weiteren Weg. Machen wir es wie ein paar der derzeit gerade aktuellen Verschwörungstheoretiker: verknüpfen wir ein paar Fakten zu einem vermutlich recht abwegigen Bild damit wir einen Schuldigen erfinden, dem man alles in die Schuhe schieben kann: Wenn also – und das ist eine Vermutung – die Regierung uneinig ist über den weiteren Weg, könnte man auch angesichts der öffentlichen Aussagen vermuten, dass der Kanzler gerne einen härteren Weg einschlagen möchte. Dann wiederum ist die Frage: Warum? Darauf könnte es zwei Antworten geben, für die einige Indizien sprechen: Er möchte sich selbst und die ÖVP als Krisenmanager herausstreichen und neidet dem Gesundheitsminister der kleineren Regierungspartei seine guten Sympathiewerte in der Bevölkerung. Darauf deutet hin, dass schon zu Beginn der Krise die ÖVP dem zu Beginn allein und überraschend positiv auftretenden Gesundheitsminister rasch den Innenminister und den Kanzler zu Seite gestellt hat. Immer wieder gab es nach prominenten Auftritten des Ministers auch ebensolche prominente Aussagen des Kanzlers. Zuletzt am vergangenen Donnerstag Anschober in der ZIB2 baldige bundesweite Verschärfungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Aussicht stellte. Am Tag darauf erklärte der Kanzler ebenfalls, dass es weitere bundesweite Verschärfungen geben wird und kündigte eine Videokonferenz zwischen Bund und Ländern an.
Vermutlich ist es allerdings weit hergeholt, dass der Kanzler es nicht gerne sieht, wenn der Gesundheitsminister als Krisenmanager punktet. Immerhin schwimmt die ÖVP auf einer Erfolgswelle und als Kanzler hat es Kurz sicherlich nicht nötig, sich mit einem Fachminister des kleinen Regierungspartners zu messen. Die zweite Möglichkeit ist, dass die ÖVP auf Druck der Wirtschaft verzweifelt vor allem den Tourismus zu schützen versucht, dem angesichts von Reisewarnungen anderer Länder für Österreich ein harter Winter droht. Dafür könnte sprechen, dass ausgerechnet vom Roten Kreuz, das einen guten Draht zu ÖVP hat, der Vorschlag kommt mit weniger Tests die Reisewarnungen zu stoppen und so den Tourismus zu retten. Auch hört man aus ÖVP-Kreisen die Hoffnung, dass ein jetziger Lockdown dazu führen könnte, dass die Infektionszahlen bis zum Winter sinken. Und letztlich hat der Kanzler, wie man seit dem Ischgl-Bericht weiß, bei dem ihm vorgeworfen wurde mit seinem hektischen eingreifen die Krise verschärft zu haben, bei den Touristikern etwas gut zu machen.
Es könnte aber auch ganz anders sein und die ÖVP und ihr Kanzler sind unschuldig. Dann nämlich, wenn stimmt, was gemunkelt wird, dass es innerhalb des Gesundheitsministeriums kriselt. Dafür sprechen wiederum Abgänge in der Ampelkommission, ein Wechsel an der Spitze des Corona-Krisenstabs und die angekündigte Umgestaltung des Ministeriums mit der geplanten Einführung neuen Generaldirektors für öffentliche Gesundheit („Chief Medical Officer“). Stimmt das so, müsste wohl der Kanzler erst recht sich selbst zum obersten Coronamanager machen –mit aller Konsequenz und Verantwortung. Das tut er aber nicht.
Wenn aber niemand und auch kein Plan hinter den jüngsten Pannen stecken, dann könnten es doch einfach Fehler und Planlosigkeit sein. Das soll – auch angesichts der Tragweite – aber niemandem unterstellt werden. Bleibt also nur eine Möglichkeit: Schuld sind Bill Gates, Handynetzbetreiber mit 5G und die Chinesen. (rüm)