Die Corona-Maßnahmen der vergangenen Monate haben viel weniger mit der Pandemiebekämpfung und viel mehr mit innenpolitischen Überlegungen zu tun. Das zeigt sich auch am jüngsten Konflikt in der Regierungskoalition.
Je geringer die Corona-Gefahr wird, umso deutlicher wird, dass viel von dem, was wir politisch in den vergangen 15 Monaten erlebten, mit Covid-19-Massnahmen wenig zu tun hatte. Immer wieder flackerten seit dem Frühjahr 2020 Widersprüche zwischen der Regierung und Wissenschaftern – Virologen, Epidemiologen, Public Health-Experten, Komplexitätsforschern und Ärzten – auf. Das verstärkt sich jetzt offenbar mit der Bestellung des Arztes Wolfgang Mückstein zum Nachfolger von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (beide Grüne), Mit ihm ist ein Fachexperte in die Regierung eingezogen, der primär fachliche Interessen hat. Und prompt kracht es zwischen ihm und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Zu erwarten war das schon nach den ersten Interviews von Mückstein; „Ich werde unpopuläre Entscheidungen treffen, wenn es nötig ist. Weil ich mich dazu als Gesundheitsminister und Arzt verpflichtet sehe“, erklärte er gleich zu Beginn. Er verfolge hartnäckig Ziele für die er brenne, sagten Weggefährten. Das zeigt sich jetzt.
Nachdem Kurz weitere Öffnungen angekündigt hatte, fuhr ihm Mückstein am Wochenende ungewohnt heftig in die Parade. Zunächst kündigte Kurz für die kommende Woche eine Entscheidung über eine weitere Lockerung der Maskenpflicht an, am Freitag legte er dann nur zwei Tage nach den großen Öffnungsschritten bei einem Auftritt in Tirol mit der definitiven Ankündigung nach, bei Abstandsregeln, Quadratmeter-Beschränkungen und Sperrstunden Erleichterungen vornehmen zu wollen. Mückstein missfiel das, ähnlich wie auch dem Vorarlberger Experten Armin Fidler, der als Regisseur der Testregion in seinem Bundesland gilt und in der Corona-Kommission sitzt. Fidler war lange für die Weltbank als Gesundheitsexperte in zahlreichen Ländern unterwegs und gilt als äußerst kompetent gerade auch im Hinblick auf Epidemien. In den „Vorarlberger Nachrichten“ meinte er am Samstag in Richtung Kurz, wenn dessen Experten gute Experten seien, würden sie den Bundeskanzler vor vorschnellen Entschlüssen warnen: „Ich würde bis 1. Juli gar nichts ändern. Bis dahin sehen wir, was in Österreich mit der Öffnung passiert.“
Mückstein war nicht so diplomatisch. Er bezeichnete die Wünsche des Bundeskanzlers als „entbehrlich“. „Meine Aufgabe als Gesundheitsminister ist es, für Klarheit und Orientierung auf Basis von Fakten zu sorgen. Mit mir gibt es keine Luftschlösser! Ich appelliere daher, nicht mit unkonkreten Ankündigungen die Bevölkerung zu verunsichern“, schrieb er auf Twitter und erklärte „ich frag mich auch, wer etwas davon hat, wenn 48 Stunden nach einem großen Öffnungsschritt, nach dem wir uns alle so lange gesehnt haben und den wir alle gemeinsam erreicht haben, jetzt schon weitere Ankündigungen gemacht werden.“ Die Öffnungen seien in einem gemeinsamen Prozess der Bundesregierung mit Ländern und Sozialpartnern auf Basis von Zahlen, Fakten und Prognosen getroffen worden, und so sehr man sich Normalität wünsche, müsse man sich auch an die Abmachungen halten. „Meine Aufgabe als Gesundheitsminister und auch als Arzt ist es jetzt, das Infektionsgeschehen in Verbindung mit den getroffenen Maßnahmen weiterhin sehr genau zu beobachten und die Sicherheit der Menschen in Österreich zu gewährleisten.“ Die ÖVP reagierte erbost und verschnupft. Ein tagelanges mediales Hin- und Her zwischen ÖVP und Grünen war die Folge.
Und das offenbarte vor allem, dass es längst nicht mehr um die Sache selbst geht, sondern um ganz andere politische Themen. Die ÖVP steht etwa ob Ibiza-Untersuchungsausschuß und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seit Wochen öffentlich unter Druck. In den Bundesländern, wie etwa Tirol, gibt es wiederum Vorwürfe über Fehler bei Antigentest-Vergaben und die Vorfälle in Ischgl vor 14 Monaten bergen auch noch Zündstoff. Der Tiroler Gesundheitslandesrat ist dieser Tage zurückgetreten – aus anderen, persönlichen Gründen, wie er sagte. Es ist also wohl kein Zufall, dass der Bundeskanzler jetzt und zudem in Tirol weitere Öffnungen ankündigte. Und sagt, was sie viele Menschen wünschen – dass eine Rückkehr zur Normalität bald möglich ist.
Damit setzt man in der öffentlichen Korruptionsdebatte aber auch ein anderes Thema. Und zwar eines, das bei den Wählern gut ankommt. Blickt man auf 15 Monate Pandemie zurück, zeigt sich: es wurden meist jene Maßnahmen gesetzt, die zum jeweiligen Zeitpunkt, die Stimmung in der Bevölkerung spiegelten. Gab es gute Werte und einen Zusammenhalt in der Bevölkerung wie im Frühjahr 2020, so wurden Maßnahmen verschärft (auch gegen den Rat von Experten). Kippte die Stimmung, gab es Lockerungen – auch wenn darauf die erwartete nächste Welle folgte. Als zu Beginn der Pandemie Rudolf Anschober medial stark präsent war und gute Umfragewerte aufwies, bekam er rasch mit dem Innenminister ein türkises Gegenüber zur Seite gestellt. Danach trat man bekanntlich nur noch gemeinsam auf.
Solche Strategien sind in der Innenpolitik nicht neu und die ÖVP ist damit längst nicht allein. Die Opposition hat etwa sehr rasch vor 15 Monaten erkannt, dass man mit der Pandemie Stimmung gegen die Regierung machen kann. Auch andere Gruppen – von selbsternannten Querdenkern bis zur extremen Rechte – nutzten die Pandemie zur Mobilisierung in eigener Sache. So wurde die Regierung wiederum auch innenpolitisch in Maßnahmen getrieben, die nicht immer mit inhaltlichen Maßnahmen zu tun hatten. Eine Spirale nach unten war die Folge – und ein Spiel, das auch die Grünen in 16 Monaten als Regierungspartei gelernt haben: Aktuell kommt die Ökopartei bei ihrer Wählerschaft zunehmend unter Druck, weil sie nicht ausreichend auf Distanz zu den Korruptionsvorwürfen gegen die ÖVP geht. Flüchtet diese in Neuwahlen, könnte das für die Grünen eng werden. Da passt es gar nicht schlecht, wenn der neue Gesundheitsminister dem Bundeskanzler medial in die Parade fährt, und sich von der ÖVP abgrenzt. Ob inhaltlich gerechtfertigt oder nicht ist da gar nicht mehr so wichtig. (rüm)