Fachleute halten wenig von den von der Regierung und der EU-Kommission getroffenen und geplanten Maßnahmen gegen Lieferengpässe. Österreich steht zudem europaweit besonders schlecht da.
Bei den PRAEVENIRE Gesundheitsgespräche in Alpbach stand am Wochenende unter anderem der Thema Lieferengpässe bei Arzneimitteln im Zentrum. Einer Studie zu Arzneimittelengpässen des auf den Pharmamarkt spezialisierten Marktforschungsinstituts IQVIA zufolge liegt Österreich hinter Italien auf dem zweitletzten Platz, erklärte der Berater und ehemalige Pharma-Manager Claudio Albrecht. Betroffen von Engpässen sind vor allem Generika. Da die Verfügbarkeit in Europa nicht einheitlich ist und Produkte in einigen Ländern verfügbar sind und in anderen nicht, oder knapp, müssten die Beschaffungsprozesse liberalisiert werden, um Produkte europaweit leichter umzuverteilen. Albrecht wünscht sich auch klare rechtliche Regelungen für eine Aut idem-Lösung. Zudem müsse langfristig eine eigene Rohstoffproduktion in Europa aufgebaut werden.
Drei Thesen präsentierte Bernd Grabner, Präsident der Dachorganisation europäischer Arzneimittel Vollgroßhändler GIRP und Vorstandsmitglied des heimischen Großhandelsverbandes PHAGO: Es fehlt an Offenheit, zu viele Köche verderben – vor allem auf EU-Ebene – den Brei und es wurde schon viel zu viel Zeit verloren. So sei in Österreich viel Zeit aufgewandt worden die Lage überhaupt einzuschätzen und nach Lösungen zu suchen. Der Wettbewerb der vielen Großhändler, wie er in Österreich praktiziert werde, mache es möglich, dass Lieferengpässe noch keine Versorgungsengpässe sind. Oft wären zudem genügend Medikamente im Land, aber durch die Kontingente der Hersteller nicht bei allen Großhändlern.
Die mittlerweile durch die Bundesregierung getroffenen Maßnahmen, um die Liefer- und Versorgungsproblematik in den Griff zu bekommen, erachtet Grabner als nicht zufriedenstellend, da sie an der Realität vorbeigingen. So habe sich Österreich beispielsweise bei der Verordnung für die Bevorratung von Medikamenten an Finnland orientiert, das eine völlig andere Marktstruktur hat. Der Entwurf der Verordnung habe zudem das Defizit, dass viele Parameter wie Finanzierung, Platz für Bevorratung, Ablaufdaten nicht bedacht wurden. Um die Situation zu verbessern, müsste seiner Meinung nach die AGES als Aufsichtsbehörde transparent die Bestände der Apotheken monitoren können, wie es in Dänemark praktiziert wird. Dort müssen Apotheken dann Medikamente zurückgeben, wenn sie andernorts dringender gebraucht werden. „Alle in der Versorgungskette müssen eng zusammenarbeiten, um die Situation zu verbessern“, sagte Grabner.
Ähnlich argumentierte Günter Waxenecker, Leiter der AGES Medizinmarktaufsicht: „Die Liste des Exporteinschränkungsregisters sagt nichts darüber aus, ob ein Medikament in einer Apotheke wirklich verfügbar ist.“ Denn den Vertriebseinschränkungen stünden die Liefermengen der Pharmaindustrie gegenüber – allerdings lasse sich nicht nachvollziehen, wo sich das Material tatsächlich befinde. Verbesserung der Situation erhofft sich Waxenecker durch die Revision der EU-Arzneimittelrichtlinie, die erste Ansätze in die richtige Richtung bringe. Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generikaverbandes, kritisierte wiederholt das Preisniveau: „Wir sehen an der Spitze des Eisbergs, dass der starke Preisdruck zu Anpassungen führt, die die Flexibilität stark einschränken.“ 72 Prozent der patentfreien Medikamente würden nur noch von 1 bis 3 Herstellern hergestellt. Eine Entwicklung die sich, so Andiel, noch weiter verschlechtern wird. „Wir können nichts bevorraten, was nicht hergestellt wird“, warnt er. (rüm)