Schmerzmedizin für Kinder und Jugendliche ist eine Herausforderung. Neue Empfehlungen liefern eine Orientierungshilfe für die Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen junger Patienten.
Trotz großer Fortschritte in der Behandlung von akuten und chronischen Schmerzen steht man in Österreich der schmerzmedizinische Behandlung von Kindern und Jugendlichen aufgrund von pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Besonderheiten zurückhaltend gegenüber. Nur wenige Empfehlungen helfen Ärzten dabei, auf Kinder und Jugendliche zugeschnittene Therapien zu finden. Die Sektion Schmerz der Österreichischen Gesellschaft für Intensivmedizin, Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) hat deshalb einen speziellen Behandlungsalgorithmus für die Schmerzbehandlung von Kindern und Jugendlichen erarbeitet. „Ich bin sehr froh, über diese Initiative der ÖGARI. Der Behandlungsalgorithmus liefert sehr übersichtliche Empfehlungen, welche medikamentösen und nicht-medikamentösen Mittel zum Einsatz kommen können, wenn Kinder und Jugendliche unter verschieden starken akuten und chronischen Schmerzen leiden. Diese Orientierungshilfe trägt dazu bei, risikoreiche und falsche Therapien zu vermeiden“, sagt ÖSG-Präsidentin Waltraud Stromer anlässlich der 21. „Österreichischen Schmerzwochen“.
Kinder und Jugendliche sind eine sehr bunte Patientengruppe mit ganz unterschiedlichen Entwicklungsstufen und Bedürfnissen. „Es funktioniert nicht, einfach die Schmerztherapien für Erwachsene an die jungen Patienten anzupassen, um wirkungsvoll gegen Kinderschmerzen vorzugehen“, erklärt Stromer. Die Dosierung der Schmerzmedikamente muss exakt an Alter und Körpergewicht angepasst, Tageshöchstwerte und Dosierungsintervalle müssen adaptiert werden. Die medikamentöse Therapie akuter und chronischer Schmerzen von Kindern und Jugendlichen richtet sich nach den zugrundeliegenden Mechanismen – sind es nozizeptive Schmerzen, die durch Gewebeverletzung bedingt sind? Oder neuropathische Schmerzen, die durch eine Schädigung oder Dysfunktion des peripheren und/oder zentralen Nervensystems entstehen? Ist es ein dysfunktionaler noziplastischer Schmerz, der keiner spezifischen strukturellen Läsion oder Anomalie zuzuordnen ist? Oder handelt es sich um „Mixed Pain“, bei dem sowohl nozizeptive als auch neuropathische und/oder dysfunktionale Komponenten das Schmerzgeschehen beeinflussen? Zudem orientiert sich die Behandlung an der Schmerzstärke, die im Behandlungsalgorithmus in drei Stufen unterteilt wird.
Stufe I in der Behandlung nozizeptiver Schmerzen bedeutet, dass die jungen Patienten ihre Schmerzen mit 1 bis 3 bewerten. Für akute Schmerzen der Stufe I empfehlen die Experten eine Behandlung mit NSAR, beispielsweise Ibuprofen. „Für diese Substanzgruppe gilt, dass immer die geringste effektive Dosis für die kürzest mögliche Zeit gegeben werden soll“, betont ÖSG-Generalsekretär Rudolf Likar. Ist der Schmerz viszeral, geht also von den inneren Organen aus, so empfehlen die Experten Metamizol. Weiters kann auch Paracetamol zur Schmerzlinderung gegeben werden. Handelt es sich um neuropathische Schmerzen, können auch Antidepressiva, Antikonvulsiva und lokale Therapieformen zur Anwendung kommen. Bei chronischen Schmerzen der Stufe I werden die gleichen Substanzen wie beim akuten Schmerz empfohlen. „Zu beachten ist, dass Kombinationen unterschiedlicher Substanzgruppen die schmerzlindernde Wirkung verstärken“, sagt Likar.
Stufe II bedeutet, die Schmerzen liegen auf der Schmerzskala in einem Bereich von 4 bis 6. Zur Schmerzbehandlung kommen bei akuten Schmerzen Tramadol (ein synthetisches Opioid) und Nalbuphin (ein halbsynthetisches Opioid ) zu den bereits in Stufe I verwendeten Medikamenten hinzu. Sind die Schmerzen chronisch, ergänzt Tramadol das schmerzlindernde Substanzspektrum.
Stufe III ist erreicht, wenn die Schmerzen mit 7 bis 8 auf der Skala angegeben werden. Die auf Stufe I verwendet Medikamentenpalette wird mit starken Opioiden erweitert. Beim akuten Schmerz werden Morphin, Hydromorphon und Piritramid verabreicht, bei chronischen Schmerzen sind es Morphin, Hydromorphon und Buprenorphin als Opioid-Pflaster. „Wenn Opioide verwendet werden, ist es wichtig, deren Nebenwirkungen wie Erbrechen und Verstopfung mit begleitenden Medikamenten zu vermeiden“, rät Likar.
Kombiniert werden kann die medikamentöse Schmerztherapie aller Stufen für Kinder und Jugendliche mit einem weiten Spektrum von nichtmedikamentösen Maßnahmen wie physikalischer Therapie, Akupunktur, Neuraltherapie, TENS, Ergotherapie, Entspannungstechniken, Musiktherapie sowie psychologischer und psychosomatischer Betreuung. „Bei chronischen Schmerzen sollte auch für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen ein multimodales Konzept Standard sein, also eine interdisziplinäre Schmerztherapie, die sowohl medikamentöse Therapien als auch nicht- medikamentöse Maßnahmen enthält“, fordert Stromer. „Damit der Behandlungsalgorithmus auch in die Praxis umgesetzt werden kann, braucht es eine flächendeckende fachspezifische Versorgung durch KinderärztInnen wie auch SchmerzspezialistInnen mit entsprechender Expertise und Ausbildung in ambulanten und stationären Kinderschmerzzentren“, resümiert Likar. (red)
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