Braucht es Preiserhöhungen bei Medikamenten?
Bernhard Wittmann, Vizepräsident der PHARMIG und Geschäftsführer der Sigmapharm Arzneimittel GmbH, erklärt im RELATUS-Interview, warum es Preiserhöhungen braucht und woran sie scheitern.
Sie haben erst kürzlich davor gewarnt, dass die Arzneimittelversorgung in Österreich vor großen Herausforderungen steht. Es brauche Preiserhöhungen, damit kleinere Produkte am Markt überleben können. Warum ist es so schwierig, Preiserhöhungen zu bekommen? Die Welt der pharmazeutischen Produkte ist sehr bunt. Wahrgenommen werden aber nur die großen Blockbuster und modernen Lebensretter, die oft sehr teuer sind – das bleibt in den Köpfen der Menschen hängen. Es gibt aber auch eine andere Seite, ein buntes Bild kleineren Firmen mit bewährten Produkten, die schon lange am Markt sind und wenig kosten. Oft weit unter der Rezeptgebühr und da ist es dann schwierig, Preiserhöhungen zu bekommen. Das ist aber nicht neu, das war immer schon ein Problem. Es gibt Produkte in unserem Portfolio, wo sich keiner mehr an die letzten Erhöhungen erinnern kann. Das betrifft einen großen Teil, um die 50 Prozent des Marktes sind Produkte unter der Rezeptgebühr.
Welche Produkte sind derzeit am gefährdetsten? Konkret ist es so, dass einige Produkte unter der Rezeptgebühr bald verschwinden könnten. Es geht aber den Pharmafirmen hier nicht darum, Gewinne zu maximieren. Es geht ums Überleben von Produkten und von Firmen. Da spielen auch die Regulatorien eine große Rolle. Hier gibt es keine Unterschiede zwischen kleinen oder großen Firmen, kleinen oder großen Produkten. Schon in den vergangenen Jahren sind steigende Kosten für höhere Anforderungen in den Bereichen Herstellung, Zulassung, Pharmakovigilanz oder Serialisierung nicht ausgeglichen worden. Sowohl Preiskommission als auch Hauptverband haben diese weit über dem VPI liegenden Kostensteigerungen negiertOder als anderes Beispiel: Werden Produkte nicht im eigenen Haus produziert, fliegen sie teilweise bei den Lohnherstellern raus, weil sie zu klein sind. Muss man einen neuen Hersteller suchen, der überhaupt bereit ist, kleinere Produkte herzustellen, bedeutet das aber auch regulatorische Begleitung – das ist auch gut so, da geht es um Qualitätssicherung, das sind gesetzliche Vorgaben. Aber das kostet was, jedenfalls einen sechsstelligen Betrag, und das rechnet sich dann oft nicht mehr. Der gestiegene regulatorische Aufwand passt mit den Preisen am Markt nicht mehr zusammen, vor allem in Österreich, wo der Markt klein ist, es geringe Preise gibt, aber gleich hohe Auflagen. Hier gab es keine Diskussionen, in den vergangenen zehn, 20 Jahren sind viele Punkte dazu gekommen und nichts davon hat zu einem Kostenersatz geführt.
Wenn das, wie Sie sagen, schon immer ein Problem war, woher kommt dann die aktuelle Dringlichkeit? Derzeit sind wir noch einmal massiv unter Druck wegen der Lieferkettenproblematik, hoher Energiekosten und steigender Lohnkosten. Wenn sich also nichts tut, wird einiges vom Markt verschwinden. Im Einzelnen ist das für die Allgemeinheit verschmerzbar, aber wenn es viele einzelne Produkte sind, dann wird es problematisch. Denn alle diese Produkte finden Anwendung bei Patienten denen sie vom Arzt verschrieben werden, und das nicht ohne Grund. Was man auch nicht vergessen darf, ist, dass viele dieser gefährdeten Produkte in Österreich hergestellt werden. Hier gibt es also auch eine volkswirtschaftliche Komponente. Gerade in unruhigen Zeiten wäre es eher eine Chance den Standort Österreich zu stärken. Solche Bereiche mit hohem Know-How sollte man eigentlich ausbauen. In der öffentlichen Diskussion finden aber oft nur die großen Player mit ihren Innovationen Platz, die hier ungerechtfertigt alle in einen Topf geworfen werden. Auch bei den innovativen Produkten wäre übrigens eine faktenbasierte Preisdiskussion angebracht, denn nur aus emotionalen Gründen Preise zu drücken wird bald dazu führen, dass diese Produkte für österreichischen Patienten nicht mehr zur Verfügung stehen.
Wie unterscheidet sich die Situation zwischen kleinen lokalen Herstellern und großen internationalen Pharmafirmen? Wir versuchen Nischen zu finden, wo wir hervorstechen können. Wenn man in Österreich für Österreich produziert, sind 50.000 Stück pro Jahr schon ein großes Produkt für uns. Die großen Player in der Pharmaindustrie haben andere Strukturen und Möglichkeiten zur Vermarktung. Es gibt aber Nischen und wir sind froh, dass wir dort sind, denn hier können wir sehr flexibel agieren. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch hier, dass der Heimmarkt für uns sehr wichtig ist. Heimische Produktionen können ein Hebel für den Standort Österreich sein und in Zeiten wie diesen sollte es eine gesellschaftliche Diskussion dazu geben, ob wir wirklich lieber Generika aus Indien oder China kaufen wollen. Oder ob wir eben den Standort und die Versorgungssicherheit hier stärken möchten. Natürlich braucht es auch eine Internationalisierung, Exporte sind auch für kleine österreichische Pharmafirmen wichtig. Aber auch hier fehlt eine gesunde Basis. Wenn ein Produkt am Heimatmarkt wenig kostet, wird es schwierig, höhere Preise im Ausland zu verteidigen. Die braucht es aber, um Exporte überhaupt finanzieren zu können.
Es scheitert also auch an der (fehlenden) öffentlichen Diskussion? Ja, es wäre schön, wenn die Leistungen unserer Industrie auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden würden. Die Pharmaindustrie wird zu wenig positiv wahrgenommen, da wird auch nicht unterschieden, wer dahintersteht. Ich glaube, dass das leider auch viel mit der Wissenschafts- und Forschungsfeindlichkeit in Österreich zu tun hat. Ich möchte zeigen, welches Potential in dieser Branche steckt, mit den unterschiedlichen Möglichkeiten lokaler Unternehmen und Hersteller und den internationaler Konzerne mit Spitzenforschung.
Und die Lösung? Das Komplexe an der Sache ist auch das Finanzierungssystem im Gesundheitswesen. Hier reden wir über bewährte Produkte des Alltags. Nichts davon können die Patient:innen einfach so selbst entscheiden, sie sind rezeptpflichtig, zahlen müssen es die Patient:innen aber selber, weil sie unter der Rezeptgebühr liegen. Die Rezeptgebühr selbst ist aber gestiegen – also man mutet den Patient:innen eh was zu. Der gleiche Prozentsatz an Steigerungen für Arzneimittel war aber Illusion… Wir müssen weg von diesem Silo-Denken kommen. Natürlich ist es die Aufgabe jedes Verantwortlichen auch die Kosten zu achten, egal wo im Gesundheitssystem, egal wo im Staat. Aber es gibt auch übergeordnete gesellschaftliche Interessen. Und eine faire Preisgestaltung bei Arzneimitteln wäre aus unserer Sicht eine riesige Chance den Standort Österreich als Pharmastandort weiter auszubauen und als wichtige Zukunftsbranche zu stärken. (Das Interview führte Katrin Grabner)