„Self Care als Gamechanger im Gesundheitssystem“ lautete das Motto der Jahrestagung des heimischen OTC-Verbandes IGEPHA. Diskutiert wurde auch über OTC-Switches von rezeptpflichtigen zu rezeptfreien Produkten.
„Immer mehr Menschen entscheiden sich dafür, sich selbst mehr um ihre Gesundheit zu kümmern“, stellte IGEPHA-Präsidentin Mirjana Mayerhofer fest. Die Pandemie trug dazu ihren Teil bei, weil in Zeiten von Lockdowns, beschränkt zugänglicher Gesundheitseinrichtungen und eines erhöhten Schutzbedarfs vor Infektionen Self Care einfach ein Gebot der Stunde war. „Für uns als Verband der Unternehmen in der Self Care-Industrie ist es wichtig, dass Gesundheit das Lebensmotto aller Menschen ist“, sagte die IGEPHA-Präsidentin. Darauf solle in Österreich reagiert und Self Care als stabilen Grundpfeiler des Gesundheitssystem in die politischen Programme der einzelnen Akteure übernommen werden.
Mit Zahlen zum Thema konnte Gudrun Auinger, Expertin für Healthcare Marktforschung bei Spectra, aufwarten. Sie präsentierte die Ergebnisse einer im Juni 2021 durchgeführten Marktforschungsstudie zur Self Care Kompetenz der Österreicher. Laut den Studienergebnissen trauen sich die Österreicher die Behandlung leichter Beschwerden durchaus zu: Vor allem bei Schnupfen, leichten Kopfschmerzen, Insektenstichen und leichten Erkältungskrankheiten seien die Menschen in der Lage, selbst über erste Maßnahmen zu entscheiden. Nur drei Prozent der Menschen fühlen sich nicht kompetent genug, um leichte Beschwerden selbst zu behandeln. Die Corona-Pandemie habe, so Gudrun Auinger, das Vertrauen in Self Care gestärkt: „20 Prozent der Befragten sagen, dass Corona ihre Einstellung zur Selbstbehandlung verändert hat.“ Viele von ihnen probieren jetzt eher, sich zunächst selbst zu behandeln, und gehen nicht mehr gleich zum Arzt.
Der Arzt Siegfried Meryn verwies in seiner Keynote auf das oft belächelte britische Gesundheitssystem NHS. Dort sei man in vielen Bereichen viel weiter als in Österreich. Self Care als integraler Bestandteil des öffentlichen Gesundheitsangebots sei dort bereits „völlig angekommen“. Man habe in Großbritannien erkannt, wie wichtig es ist, die Bürger auf qualitativ hohem Niveau, aber in einer verständlichen Sprache abzuholen und zur Self Care einzuladen. „Wir sollten aufhören, uns zu fürchten, wir sollten den Patienten Mündigkeit geben“, forderte der Gesundheitsexperte. Ralph Schallmeiner, Gesundheitssprecher der Grünen, sah das etwas skeptischer und betonte die Gesundheitskompetenz als Basis. „Wir von der Politik sind angehalten, den Rahmen dafür zu schaffen, dass in den Schulen, ja schon im Kindergarten Gesundheitskompetenz vermittelt wird.“ Auch sei es wichtig, die Menschen niedrigschwellig in jener Sprache anzusprechen, die sie gut verstehen. „Meine Schwiegereltern verstehen Serbisch eher als Deutsch“, berichtete der Gesundheitspolitiker. Er sei froh, dass in den Apotheken bereits auf Mehrsprachigkeit geachtet werde, und dass Ärzte darauf Wert legen, dass ihre Sprechstundenhilfe eine zweite oder dritte Sprache beherrscht.
Der Psychiater und Psychotherapeut Michael Musalek verwies auf die während der Pandemie stark zugenommenen psychischen Belastungen. Dabei bewege sich der Mensch stets auf einem Kontinuum zwischen „völlig gesund“ und „schwer krank“. Auf diesem Kontinuum sei es in einem frühen Stadium wichtig, zu Self Care-Maßnahmen zu greifen. „Wenn wir das nicht tun, bricht das System zusammen und wir sind nicht mehr fähig, unseren Alltag zu gestalten“, warnte der Psychiater. Wolfgang Tüchler, Geschäftsführer im MedMedia Verlag, brachte einen weiteren Aspekt ein: „Ich würde mir wünschen – schon in meiner Rolle als Patient -, dass es mehr Bereitschaft seitens der Politik gäbe, Produkte oder Produktgruppen aus der Rezeptpflicht zu entlassen.“ Der mündige Patient, der sich mit seiner Gesundheit beschäftige, sei durchaus in der Lage, bei der Wahl der Produkte mitzuentscheiden. (red)