Julia Guizani ist neue Präsidentin des Forums der forschenden pharmazeutischen Industrie (FOPI). Im Sommergespräch spricht die Sanofi-Managerin über Lieferengpässe, Arzneimittelpreise und Forschung.
Wie sehen Sie aktuell die Rahmenbedingungen für den Forschungs- und Produktionsstandort Österreich? Die Pharmaindustrie ist in Österreich ein bedeutender Wirtschaftsfaktor mit einem Produktionswert von 6,8 Milliarden Euro pro Jahr und fast 25.000 hochqualifizierten Beschäftigten. Die Wertschöpfung, die durch die Pharmaindustrie erzielt wird, liegt bei 3,4 Milliarden Euro pro Jahr. 15 Prozent des Umsatzes investiert die Pharmaindustrie in Forschung & Entwicklung. All das spricht für den Standort. Allerdings hat die Wertschätzung für diese volkswirtschaftliche Bedeutung noch Luft nach oben. Österreich hatte bisher als kleines Land das Branding als fast mover – auch bei klinischen Studien, die ja einen Großteil der F&E-Ausgaben ausmachen. Diesen Vorteil müssen wir beibehalten. Wir müssen darauf achten, die Standortvorteile nicht zu verlieren.
Wodurch sehen Sie diese gefährdet? Durch Aktivitäten auf EU-Ebene werden Studien sowie Zulassungen zentralisiert und einheitliche Vorgaben integriert. Entsprechend fallen frühere Vorteile, wie der Ruf als fast mover, weg. Da wird es gerade für kleinere Staaten schwierig. Wichtig ist auch das Thema Digitalisierung, das uns zunehmend auch in der klinischen Forschung beschäftigt. KI kommt auch dort immer mehr an und Österreich muss darauf achten, nicht den Anschluss zu verlieren. Denn auch die Studien verändern sich und Patient:innen müssen für Erhebungen und Kontrollen teils nicht mehr ins Spital kommen, weil immer öfter auch über Telemedizin gearbeitet wird. Spitäler benötigen hierfür die passende Infrastruktur.
Geht es hier um Verbesserungen oder simpel um Einsparungen? In erster Linie sind klinische Studien die Grundlage für Innovationen. Wenn man weiterdenkt – in Richtung künstlicher Intelligenz – kann man die Zahl der Studien künftig reduzieren. Denn Computersimulationen ermöglichen es, die Wirksamkeit und Sicherheit von Wirkstoffkandidaten abzuschätzen und stärker einzugrenzen, bevor diese in klinischen Studien geprüft werden. In der Konsequenz spart das am Ende natürlich auch Kosten. Es geht aber auch um Verbesserungen. Die Offenheit ist jedenfalls auf beiden Seiten da, das auch auszuprobieren.
Wie beurteilen Sie die Preis- und Erstattungssituation in Österreich? Die Ausrichtung am Patientennutzen sollte viel stärker in den Fokus rücken. Das findet nicht so statt, wie es möglich und nötig ist. Im Spitalsbereich ist das anders – dort ist es gesetzlich auch so geregelt, dass Patient:innen nach dem Stand der Wissenschaft therapiert werden müssen. Im Kassenbereich ist das nicht so, da ist es oft eine reine Kostendebatte. Das betrifft gerade Schrittinnovationen. Vieles wird nicht als Verbesserung oder Innovation gewertet. Das hemmt wiederum Entwicklungen, denn es braucht auch Schrittinnovationen, um dann zu großen Durchbrüchen zu kommen.
In Sachen Lieferengpässe will die Regierung mit einer Bevorratungsverordnung reagieren. Die Industrie soll größere Mengen im Inland einlagern, für die Apotheken wird es ein Lager für wichtige Wirkstoffe geben. Wie sehen Sie das? Das ist ein spannendes Thema. Einige Fragen sind aus unserer Sicht noch offen: Etwa welche Produkte gelagert werden sollen. Viele der möglichen Produkte sind zudem mit Preissenkungen konfrontiert. Wer übernimmt die Lagerung? Was passiert, wenn die Produkte ablaufen? Was passiert, wenn Medikamente nicht abgerufen werden? Wer trägt das wirtschaftliche Risiko? Hier ist noch viel zu klären und dabei ist es wichtig, alle Beteiligten einzubeziehen. (Das Interview führte Martin Rümmele)