Um künftig vor Lieferengpässen und der Abhängigkeit von Asien unabhängiger zu sein, fordert der Präsident des Pharmaverbandes PHARMIG, Philipp von Lattorff, ein Umdenken der Regierungen im Umgang mit der Pharmaindustrie.
Das Versorgungsproblem in der jetzigen Krise sei die Folge der Preispolitik der vergangenen Jahre beziehungsweise Jahrzehnte, sagt Philipp von Lattorff im Interview mit RELATUS-PHARM. „Die Abwanderung der Produktion und die Reduktion von Lagern – all das hängt auch mit dem bei uns vergleichsweise niedrigen Preisniveau bei Arzneimitteln zusammen. Gesundheit darf nichts kosten. Arzneimittel wurden und werden nicht danach bewertet, welchen Nutzen sie stiften, sondern lediglich danach, was sie kosten.“
Der Pharmig-Präsident hofft, dass die Krise dazu beiträgt, dass die Geschäftsmodelle der pharmazeutischen Industrie „besser verstanden“ werden. Das ermögliche, gemeinsam und auf höchster Ebene darüber nachzudenken, wie man adäquate Regularien und damit Rahmenbedingungen schaffen könne, „die Unternehmen unterstützen anstatt sie über Gebühr zu belasten.“ Europäische Hersteller würden Anreize, keine Anordnungen oder gar Verstaatlichungen benötigen. Lattorff: „Ein gesunder Wettbewerb ist kein Nachteil. Allerdings muss uns auch klar sein, dass eine Re-Industrialisierung auch mit einer anderen Preispolitik Hand in Hand gehen muss.“
Die Corona-Krise zeige aber auch andere Folgen: „Arzneimittel sind lebenswichtige Güter und ihr ungehinderter Transport zwischen EU-Mitgliedstaaten muss gewährleistet sein. In diesem Sinne braucht es bevorzugte Abfertigungsmöglichkeiten an den Grenzen. Die Globalisierung sollte nicht per se verdammt werden, ebenso wenig eine Politik „made in Brussels“. „Wir sehen, dass eine unilaterale Politik die Krise nur verschlimmert, daher brauchen wir eine krisensichere Art der Zusammenarbeit“. In diesem Sinne sollte die Industrie auch unterstützt werden, Kooperationen eingehen zu können – bei der Erforschung von Medikamenten gegen COVID-19 ist das bereits teilweise der Fall. Hier brauche es Sicherheiten, dass Unternehmen ihre Stärken zusammenbringen können, um im Bedarfsfall gemeinsam an Arzneimitteln zu forschen. Die Branche habe einen wesentlichen Anteil an der Bekämpfung des Corona-Virus und damit an der Bewältigung der Krise – durch intensive Forschung, durch Erhöhung der Produktionskapazitäten, durch intensive Zusammenarbeit mit Behörden und Partnern der Vertriebskette, um die Versorgung der Patienten aufrecht zu erhalten. Keine andere Branche gehe bei neuen Projekten aber auch derartig hohe Risiken ein, wie die pharmazeutische Industrie. „Was uns die Krise jedenfalls drastisch vor Augen geführt hat: das wichtigste Gut ist unsere Gesundheit, daher sollten wir nicht am falschen Platz sparen.“ (rüm)