Das Nachrichtenportal RELATUS PHARM nutzt die Sommerpause für Interviews mit den Gesundheitssprechern der Parlamentsparteien. SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher fordert, dass Apotheken impfen dürfen.
Welche Reformen muss der Herbst im Gesundheitsbereich bringen? Vorbereitung ist alles: ich hoffe, dass die Bundesregierung für ausreichend Ressourcen bei Schutzausrüstung, Tests, Grippeimpfungen etc gesorgt hat und es auch ausreichend mobile Teams gibt, damit Corona-Verdachtsfälle zu Hause aufgesucht werden können. Nächster Punkt: Testen, Testen, Testen muss endlich umgesetzt werden und zwar flächendeckend, gratis und mit Ergebnissen innerhalb von 24 Stunden. Weiters: Der – durch falsche Reformen der schwarz-blauen Regierung geschwächte –Patient Gesundheitssystem leidet an Geldmangel, weil die Regierung kein Geld nachschießt und auch keine Garantien abgibt. Das schadet enorm und zwingt die Akteure im Gesundheitssystem (Krankenhäuser, Gesundheitskasse etc) zum Sparen beim Patienten. Die Regierung muss eine Geldinfusion geben. Spitals- und Kassenärzte halten das Gesundheitssystem aufrecht und brauchen dringend insgesamt eine Stärkung. Ich denke das wird Geld kosten, wir müssen den Sparwahn der ÖVP im öffentlichen Gesundheitssystem beenden. Sparen in der Gesundheit gefährdet die Gesundheit und kostet im Endeffekt Geld!
Was denken Sie über die Corona-Gefahr? Die Regierung war gut im schnellen Zusperren und in der begleitenden Eigenwerbung/Kommunikation. Was echte substantielle Maßnahmen betrifft, nehme ich Kopf- und Planlosigkeit war. Zuallererst haben die Wirtschaftshilfen nicht funktioniert und sind bis heute nicht ausreichend angekommen. Folge ist Rekordarbeitslosigkeit. Und im Herbst wird es noch schlimmer, Konjunktur- und Arbeitsmarktprogramme fehlen völlig. Und im Gesundheitsbereich: Denken Sie etwa an das Chaos rund um das Testen – nicht nur im Tourismus. Wo sind die Gratis-Schnell-Teststraßen für möglichst viele Menschen? Denken Sie an das Herumgetue bei der Ampel. Große Ankündigungen ohne konkrete Verbesserungen. Oder der juristische Bauchfleck mit den Verordnungen, die noch dazu beinhart exekutiert wurden, obwohl sie rechtswidrig waren und aufgehoben wurden. Und es geht mit der jedenfalls technisch schlechten Novelle zum Epidemiegesetz weiter. Die an sich gute Idee mit der Kontaktverfolgung per App wurde grandios (und teuer) versemmelt. Und ich könnte diese Liste fortsetzen. Mein Verdacht ist, dass sich manche profilieren wollen, anstatt den Menschen zu helfen und Probleme zu lösen.
Wie wirkt sich Corona auf die Apotheken aus? Die ApothekerInnen haben auch in schwierigen Zeiten einen hervorragenden Job geleistet und sind gut mit der Krise umgegangen. Wichtig ist, dass man entsprechend ausgebildeten ApothekerInnen bestimmte Impfungen erlaubt. Verbesserungsbedarf sehe ich in der Medikamentenbevorratung.
Wie wirkt sich Corona auf den Pharmabereich aus? Der Pharmabereich hat den Corona-Stresstest nur unzureichend bestanden. Die Produktionen sind in den vergangenen Jahrzehnten ins Ausland – zumeist sogar weg von Europa – verlegt worden. Während des Lockdown kam es dann zu sehr unschönen Szenen mit unglaublichem nationalem Egoismus. Ursache ist und ich nenne es beim Namen: Profitgier. Wir kaufen mit öffentlichem Geld Medikamente, die irgendwo am anderen Ende der Welt produziert werden und dann fehlen, wenn wir sie am meisten brauchen. Und auch die Forschung scheint der Logik des erwartbaren Profits zu folgen. Coronaviren sind ja nicht neu. Aber die Forschung wurde eingestellt, weil man sich keinen Profit davon erwartet hat. Diese Auswüchse des „Marktes“ müssen in unser aller Interesse unbedingt korrigiert werden.
Kann die zuletzt diskutierte Wirkstoffverschreibung Lieferengpässe lösen? Ich verstehe den Gedanken, halte es aber für besser, die Verschreibung des konkreten Medikaments beim Arzt zu belassen. Für den Fall, dass es ein Medikament nicht gibt, soll der behandelnde Arzt darüber Bescheid wissen und kann dann gleich dem Patienten erklären, warum es nicht das gewohnte Medikament ist. Für mich/uns steht immer der Patient im Mittelpunkt (und nicht das System).
Wie stehen Sie zur aktuellen Impfdebatte und der Diskussion über die Grippeimpfungen im Herbst? Anstatt das Geld in Werbekampagnen für die Bundesregierung zu stecken, sollte massiv Aufklärung für die Grippeimpfung betrieben werden. Eine Kombination aus einer Grippewelle und einer starken Belastung durch COVID-19 wäre sehr schlecht für uns. Deshalb sollten möglichst viele Menschen gegen Grippe geimpft werden. Ich hoffe, die Regierung hat für ausreichend Impfstoff gesorgt. Möglichst viele Gruppen sollten Gratisimpfungen bekommen. Geimpfte Menschen schützen nicht nur sich selbst sondern auch alle anderen.
Wie soll es weitergehen mit der Kassenreform? Auch hier gilt wieder: alles für die Patienten beziehungsweise für die Versicherten: Wo sind die leicht zugänglichen Erstversorgungszentren mit 7-Tage-Betrieb? Wo ist der Ausbau der Telemedizin? Wo bleibt der dringend nötige Ausbau der Leistungen, das heißt zum Beispiel mehr Therapieplätze (Physio-, Ergo-, Psycho-, Logo-Therapie)? Die Regierung profitiert von Maßnahmen, die vor Jahren von uns gesetzt wurden. Die gemeinsame österreichweite Hotline 1450 zum Beispiel wurde unter der Gesundheitsministerin Rendi-Wagner eingeführt. Ich vermisse hier weitere Schritte und Reformen, die die Gesundheitsversorgung verbessern, näher an die Menschen und ins 21. Jahrhundert bringen.
Das Interview führte Martin Rümmele
Das Interview mit ÖVP-Gesundheitssprecherin Gabriela Schwarz
Das Interview mit FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhad Kaniak
Das Interview mit GRÜNE-Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner
Das Interview mit NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker