Einblicke hinter die Kulissen des heimischen Gesundheitswesens: Stakeholder im Gespräch mit RELATUS-Chefredakteur Martin Rümmele und Gesundheitspolitik- und Strategieberater Michael Eipeldauer.
Die Industrie zieht sich aus dem Massengeschäft mit billigen Produkten gegen Zivilisationskrankheiten zurück. Die Folgen werden tiefgreifend sein.
Es ist ein Vorgang, der aktuell vor allem in den Wirtschaftsressorts der Medien und der Finanzwelt wahrgenommen wird, er könnte sich aber auch auf die Gesundheitssysteme auswirken: Der Schweizer Pharmakonzern Novartis will wie berichtet seine Generikasparte Sandoz abspalten und an die Börse bringen. Fast drei Jahrzehnte nach dem damals bahnbrechenden Zusammenschluss von Ciba-Geigy und der damaligen Sandoz zu Novartis zeigt sich damit erneut eine neue Ära der Pharmabranche. Die heutige Sandoz und ihre Namensgeberin sind zwei gänzlich verschiedene Unternehmen. Heute ist Sandoz einer der größten Generikakonzerne.
Die Novartis-Gründung stand einst auch unter dem Eindruck der Folgen eines Großbrandes am Standort Schweizerhalle, der damals ein großes Fischsterben im Rhein auslöste. Auch weil Herbizide von Ciba-Geigy mit in den Rhein gewaschen wurden. Der Glaube an die Chemieindustrie war erschüttert, das Image der Marken beschädigt. Also gab es Fusionen in der Branche, die Abspaltung von Chemie- und Agrosparten und den Fokus auf die Pharmabranche und damit auch ein Aufschwung eines Sektors, der von Anleger:innen auch als krisensicher gesehen wurde. Die Transformation und Ausdifferenzierung der einstigen chemischen Industrie zu einer Pharma- und Biotech-Industrie auf der einen und zu einer chemischen Industrie auf der anderen Seite hat in den vergangenen Jahren enorme volkswirtschaftliche Werte geschaffen.
Doch die Aktionär:innen verlangen zunehmend auch kurzfristig hohe Renditen und die sind mit Massenprodukten gegen Zivilisationskrankheiten kaum noch zu erbringen. Vor allem dann, wenn dafür die Patente ablaufen und die Umsätze einbrechen. Im Gesundheitsbereich ein logischer Vorgang, im Finanzwesen eine nicht gerne gesehene Entwicklung. Immer wieder werden Pharmakonzern von Aktionär:innen mit sinkenden Kursen abgestraft, wenn wichtige Produkte den Patentschutz verlieren und zu wenige neue Produkte in der Pipeline sind. Nicht zuletzt deshalb haben zahlreiche Konzern zuletzt ihr Generikageschäft und/oder den Consumer-Health-Bereich verkauft oder zusammengelegt und an die Börse gebracht.
Jetzt also Novartis mit Sandoz und das kann auch die Gesundheitssysteme betreffen. Bis zu 80 Prozent des Arzneimittelbedarfs werden heute durch Generika abgedeckt. Schmerzmittel, Antibiotika, Cholesterinsenker, Protonenpumpenhemmer, ja selbst Chemotherapien: Die meisten Medikamente, die in Apotheken, Arztpraxen und Spitälern abgegeben werden, haben keinen Patentschutz mehr. Eine gut funktionierende Generikaindustrie ist das Rückgrat einer Gesundheitsversorgung. Eine Generikaindustrie, die sich allerdings allein an den Finanzmärkten behaupten muss, wird sich auf die Produkte oder Märkte fokussieren, die Gewinne versprechen. Das wiederum könnte Lieferengpässe verstärken, Krankenkassen unter Druck bringen, Preise zu erhöhen oder die Konzentration im Generikasektor und damit die Abhängigkeit öffentlicher Systeme weiter erhöhen. (rüm)