Das Thema Onlineversand von rezeptpflichtigen Medikamenten sorgt weiter für Debatten. Nachdem RELATUS PHARM aufgedeckt hat, dass ein Berater der Apothekenstandesvertretung auch für die „Shop Apotheke“ lobbyiert, wurde nun bekannt, dass der Apothekerverband auch Pläne hat, Medikamente zuzustellen.
Der Druck auf stationäre Apotheken steigt: Online-Apotheken boomen, die niederländische Versandapotheke „Shop Apotheke“ meldet corona-bedingt starke Zuwächse und erstmals Gewinne, und der Onlinegigant Amazon startet eine eigene Versandapotheke. Für kräftige Aufregung innerhalb der Branche sorgte nun der Bericht von RELATUS PHARM, wonach ein Berater von Apothekerkammer und Apothekerverband, eine führende Gesundheitsagentur, im Namen von „Shop Apotheke“ für eine Marktliberalisierung bei Österreichs Parteien lobbyiert. Die Redaktion erreichten zahlreiche Rückmeldungen erboster Apotheken. Für Debatten sorgt aber auch ein Papier des Apothekerverbandes, in dem dieser ebenfalls eine Zustellung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln vorschlägt.
Denn nicht nur die Idee als solche stößt bei den Apotheken auf Ablehnung, die Argumentation für das Konzept ähnelt zudem jenem von „Shop Apotheke“. „Pflegebedürftige wollen/sollen vermehrt zu Hause gepflegt und versorgt werden. Akut Erkrankte sollen zeitnah mit Medikamenten beliefert werden“, heißt es im Text des Apothekeverbandes. Die österreichischen Apotheken wollen daher die Arzneimittelversorgung „auch außerhalb von Corona-Zeiten umfassend sicherstellen“. Brisant: Zustellung bedeutet für den Verband, die „Lieferung von Arzneimitteln durch Apothekenpersonal oder eine von der Apotheke beauftrage und dazu qualifizierte Person aus der Apotheke direkt an den Kunden (das kann auch ein externer Dienstleister sein)“. Generell soll es eine Zustellungsgrenze von 20 Kilometern geben, so der Apothekerverband, „ausgenommen sind die Zustellung in Gegenden, wo zwischen Apotheke und der geplanten Zustelladresse keine versorgungswirksame Apotheke ihren Sitz hat“.
Im Papier von „Shop Apotheke“, das RELATUS PHARM ebenfalls vorliegt, und das den Titel „Projekt Liberalisierung des Versandes rezeptpflichtiger Medikamente in Covid-19“ trägt, wird die Marktöffnung ebenfalls mit der Corona-Krise argumentiert. „Sichere und zuverlässige Versorgung mit Arzneimitteln ist für jedermann wichtig. Besonders darauf angewiesen sind Personen, die Einschränkungen aufgrund ihrer Mobilität und/oder ihres Gesundheitszustandes vorweisen“, heißt es darin. Und auch das Thema der Versorgungslücken wird aufgegriffen. Im Text liest sich das so: „Shop Apotheke ist eine Ergänzung zu den Betriebszeiten der physischen Apotheke, da die Bestellung rund um die Uhr abgewickelt werden kann und der direkte Versand an die Heimadresse ermöglicht wird. Dadurch werden Lücken insbesondere in der ländlichen Versorgungsstruktur, sowie für eingeschränkt mobile Personen, geschlossen.“
Im RELATUS PHARM-Interview hatte zuletzt der renommierte Handelsexperte und e-Commerce-Spezialist der Wirtschaftsuniversität Wien, Anton Salesny, die Apotheker davor gewarnt, über eine Zustellung von Medikamenten nachzudenken. „Es ist zu bedenken, inwiefern so eine Entscheidung unter Umständen anderen Unternehmen – die nicht vor Ort sind – ebenfalls die Möglichkeit bietet diese Serviceleistung anzubieten und die stationären Apotheken damit unter Druck geraten.“ Salesny forderte allerdings rasche Antworten der Apotheken auf den Druck der Versandapotheken ein. „Shop Apotheke“ dürfte mit der jetzt geleakten Lobbying-Aktion schneller gewesen sein.
Der Apothekerverband verwies zuletzt darauf, dass man sich nicht von der Gesundheitsagentur habe beraten lassen. Eine Geschäftsbeziehung habe nur in einer Zusammenarbeit mit einem Verein, der ein Teil der Gruppe sei, im Rahmen eines Gesundheitsforums bestanden und bei der Entstehung eine Weißbuches zur Zukunft des Gesundheitswesens. Diese Zusammenarbeit habe man nun gestoppt. Die Agentur selbst hat den Apothekerverband nach Erscheinen der RELATUS PHARM-Berichterstattung aus der Kundenauflistung auf seiner Website gelöscht. Nach wie vor als Kunde geführt wird dort allerdings die Österreichische Apothekerkammer. Trotz Anfrage der Redaktion wollte diese die Zusammenarbeit mit der Agentur nicht kommentieren. (rüm)
RELATUS KURZUMFRAGE: Wie beurteilen Sie die Situation, dass Standesvertretung und „Shop Apotheke“ den gleichen Berater haben?