Elisabeth Stögmann, Fachärztin für Neurologie und Leiterin der Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen der Universitätsklinik für Neurologie der Meduni Wien gibt Tipps zum Demenzumgang.
Am 21. September ist Welt-Alzheimertag. Wann handelt es sich bei einem „schlechteren“ Gedächtnis um eine „normale“, altersbedingte Erscheinung und wann liegt eine Demenz vor? Diese Unterscheidung ist tatsächlich nicht immer einfach zu treffen. Um dies in einen Alterskontext zu stellen, benötigt man meist Zusatzuntersuchungen, insbesondere eine Neuropsychologische Testung, wobei der/die Patient:in mit Menschen gleichen Alters und Geschlechts vergleichen werden kann. Wir kennen nicht eine, sondern mehrere Formen von Demenz. Der Begriff bezeichnet eine Kombination von verschiedenen Krankheitszeichen als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Erkrankung des Gehirns. Die häufigste Demenzform ist die Alzheimererkrankung. Typische Anzeichen bei Alzheimer sind Vergesslichkeit, die zu Beginn vor allem als Störung des Kurzzeitgedächtnisses sichtbar wird. Das können ganz banale Alltagsinhalte sein: Was man gestern getan hat oder was man vor kurzem mit jemandem besprochen hat. Das fällt etwa auch dadurch auf, dass jemand wiederholt die gleichen Fragen stellt oder die gleiche Geschichte erzählt – so als hätte man sie noch nie erzählt. Menschen verlieren zunehmend Dinge oder suchen immer öfters danach. Die ersten Anzeichen können auch räumlicher Natur sein und man findet sich nicht mehr so gut in der Umgebung zurecht.
Welche Empfehlung geben Sie im Verdachtsfall? Die Herausforderung ist, dass Demenzen in Anfangsstadien nicht oder nur schwer zu differenzieren sind von altersbedingten Verschlechterungen. Verdächtig ist, wenn sich die beschriebenen Probleme wiederholen und das auch Angehörigen auffällt. Eine leichte kognitive Störung kann sich dann zu einer Alzheimererkrankung entwickeln. Die Empfehlung ist dann zuerst hausärztliche Hilfe zu suchen und dann später zur Fachärztin oder dem Facharzt zu gehen. Immer ist ein Gespräch mit Betroffenen und Angehörigen sinnvoll. Manchmal sind sich Betroffene selbst der Situation nicht so bewusst, manchmal aber schon und dann suchen sie von sich aus ärztlichen Rat.
Wie geht es dann weiter? In der Spezialambulanz erfolgt ein ausführliches Gespräch mit Patient:innen und Angehörigen, wo alle Symptome erfragt werden. Wichtig ist, sich ein Bild vom psychischen Zustand zu machen – eine Demenz kann auch von einer Depression begleitet werden, umgekehrt können depressive Symptome auch kognitive Defizite verursachen. Ich empfehle nach Veränderungen im Alltag zu fragen, etwa ob der Partner zunehmend Aufgaben übernimmt. Dann geht es darum, Vorerkrankungen zu erheben und letztlich machen wir eine klinisch neurologische Untersuchung. In einem ersten Abklärungsschritt machen wir eine Blutabnahme und ein MRT des Schädels, das den Ausschluss von anderen Pathologien wie einem Tumor oder Schlaganfall ermöglicht.
Alle Prognosen sprechen von steigenden Demenzzahlen. Was kommt da auf den niedergelassenen Bereich zu? Hausärzt:innen haben durchaus die wachsende Wahrnehmung für dementielle Erkrankungen. Das Bewusstsein für die Erkrankung und ihre Frühstadien steigt. Das Problem ist aber oft der Zeitmangel in der niedergelassenen Praxis. Ein Screeningtest dauert 10 – 15 Minuten. Und auch dieser erfasst milde Stadien nicht mit Sicherheit. Dabei ist die Früherkennung sehr wichtig. Wenn die Erkrankung früh erkannt wird, kann man den Verlauf etwas einbremsen.
Wie sieht es mit der Entwicklung neuer Medikamente aus? Wir haben keine kausale Therapie gegen Alzheimer. In den nächsten Monaten werden aber Ergebnisse großer Phase-3 Studien zu zwei neuen Substanzen erwartet. Beide Substanzen versuchen eine Verringerung des Amyloid Beta im Gehirn zu erreichen. Amyloid Beta ist eines von zwei typischen Eiweißen, die in Gehirnen von Alzheimer Patient:innen abgelagert werden und in der Folge zum Untergang von Neuronen und deren Verbindungen führen. Beide Eiweißablagerungen gehen dem klinischen Symptombeginn um Jahre voraus. Das heißt, noch bevor man Symptome bemerkt, kann der Krankheitsprozess bereits begonnen haben. Diese Substanzen zielen aber ebenfalls nur auf eine Verringerung der Progression im Vergleich zum Placebo ab. Käme eine sogenannte krankheitsmodifizierende Therapie, würde diese wohl immer nur für ganz frühe Stadien der Erkrankung kommen. Bekommen wir also eine Therapie, bedeutet das enorme Umstellungen und Kosten im Medizinsystem im Hinblick auf Früherkennung und Screening. Der Bedarf für Patientenbegutachtungen und hochspezialisierte Untersuchungen würde stark zunehmen. Die Folgen für den Patientenpathway sind da noch nicht abzusehen – es müsste sich vieles ändern.
Es bleibt also auch eine Herausforderung für die Pflege? Wenn Demenzerkrankungen so zunehmen, wie wir glauben, ist der Pflegebedarf sicher sehr hoch. Da es derzeit schon einen Pflegekräftemangel gibt, würde dieser dann sicher noch verschärft. Gleichzeitig werden gerade demente Patient:innen oft zuhause gepflegt. Viele Menschen mit Demenz fühlen sich mit der Partnerin oder dem Partner am wohlsten. Das macht noch mehr Druck auf die Caregiver:innen. Pflegende Angehörige sind enorm belastet – körperlich und psychisch. Hier braucht es Unterstützung. Nicht zuletzt weil auch diese Pflege zuhause Kosten für die Gesellschaft produziert, weil etwa Menschen nur in Teilzeit arbeiten können oder durch die Betreuung selbst krank werden. (Das Interview führten Martin Rümmele und Katrin Grabner)