Niedrige Influenzaimpfrate, neue Masernfälle: Zwischen Industrie und Ärzteschaft entbrennt eine neue Debatte, ob Apotheken künftig impfen dürfen.
Seit dem Peak im ersten Jahr der Pandemie ist die Influenza-Durchimpfungsrate das zweite Mal in Folge gesunken und liegt nun bei 13,62 Prozent. Das zeigen die neuen Auswertungen des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller (ÖVIH). Die Ausgangssituation für den Herbst war damit alles andere als optimal. Die bisherigen Anstrengungen, das Impfen einerseits für Ärzt:innen zu attraktivieren und andererseits für Patient:innen zu vereinfachen, haben offensichtlich nicht ausgereicht, meint die Industrie. Der ÖVIH fordert nun ein Maßnahmenbündel von der öffentlichen Hand, um den negativen Impftrend zu stoppen und das Impfen wieder positiv zu besetzen.
„Wir sehen momentan eine ähnliche Entwicklung wie nach der Schweinegrippe-Pandemie 2009“, stellt ÖVIH-Präsidentin Renée Gallo-Daniel fest. „Aufgrund einer anfänglichen Besorgnis steigt die Impfrate zuerst an, sinkt dann aber wieder stark, weil die Gefahr, die von der Krankheit ausgeht, als nicht mehr so relevant eingestuft wird.“ Das sei aber ein Trugschluss, besonders bei der Influenza, betont sie. Die Weiterentwicklung des e-Impfpasses und die Möglichkeit, dass jeder Arzt und jede Ärztin unabhängig von der eigenen Fachimpfung impfen könne, seien wichtige Schritte. Es brauche aber einen niederschwelligen Zugang zur Impfung. Hier könne man zum Beispiel darüber nachdenken, Impfungen auch in Apotheken zu ermöglichen.
Gleichzeitig haben Masern, wie auch einige andere Infektionskrankheiten, während der Hochphase der COVID-19-Pandemie „pausiert“. Nun sind sie zurück, wie die jüngsten Fälle in der Steiermark und Kärnten zeigen. Gerade bei der Masern-Impfung benötigt man eine hohe Durchimpfungsrate, um die Krankheit zum Verschwinden zu bringen. Auch hier fordert der ÖVIH eine geeignete Strategie, die nicht nur die Kinder erreicht, sondern auch jene Erwachsenen, die noch nicht gegen Masern geimpft sind.
Eine glatte Themenverfehlung durch die Impfstoffhersteller ortet Edgar Wutscher, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte. „Es gibt bereits einen bestens ausgebauten niederschwelligen Zugang zu allen Impfungen – und zwar bei der niedergelassenen Ärzteschaft“, erinnert Wutscher. Selbstverständlich sei die Erhöhung der Impfrate und die entsprechende Schutzwirkung für die Bevölkerung ein großes Interesse der Ärzteschaft und diese habe das Problem längst erkannt. Man arbeite daher bereits daran, gemeinsam mit der Österreichischen Gesundheitskasse ein Impfprogramm auf die Beine zu stellen. „Wir brauchen aber sicher keine unnötigen Zwischenrufe nach einer Aushebelung der gesetzlich geregelten Impftätigkeit“, unterstreicht Wutscher.
Zustimmung kommt hingegen wenig überraschend von den Apotheker:innen: „Die Forderung von ÖVIH-Präsidentin Gallo-Daniel sollte von der Gesundheitspolitik gehört werden. Die Durchimpfungsraten bei verschiedenen Erkrankungen sind in Österreich desaströs – wir müssen daher ohne Scheuklappen über Lösungsansätze nachdenken, die uns näher ans Ziel bringen. Umso mehr, wenn sogar die Masern aktuell ein Comeback feiern“ unterstützt Apothekerverbandspräsident Thomas W. Veitschegger den ÖVIH-Vorstoß. „Mit den vorhandenen Mitteln kommen wir nicht weiter. Die Arztordination als der zentrale Ort für Impfungen ist wichtig, alleine reicht sie aber offensichtlich nicht aus. Da hilft auch das reflexartige Zurückziehen auf die Verteidigung von Standesinteressen nicht, wie es die Ärztekammer gerade vormacht,” betont Veitschegger. Die Apotheker:innen stünden jedenfalls bereit. Rund 2.000 Kolleg:innen hätten bereits eine Impfausbildung nach internationalen Standards absolviert. (red)