Peter Lehner, Arbeitgeberobmann im Dachverband der Sozialversicherungen, will die Digitalisierung ausbauen und fordert im RELATUS-Interview mehr Geld für den niedergelassenen Bereich.
Bund, Länder und Gemeinden verhandeln derzeit einen Finanzausgleich. Wie ist die Position der Sozialversicherungen? Der Finanzausgleich wäre durchaus eine gute Gelegenheit der Sozialversicherung den Handlungsspielraum zurückzugeben, den wir brauchen, um den niedergelassenen Bereich zu stärken. Wir zahlen jedes Jahr mehr und mehr an die Länder zur Spitalsfinanzierung – in zwei Jahren eine Milliarde plus. Und das ohne Kontroll- und ohne Gestaltungspielraum. Wir wünschen uns, dass die Zahlungen eingefroren werden. Derzeit sieht die Situation aber so aus, dass wir weiter an die Länder überweisen werden müssen und der Bund daran denkt, uns zusätzliche Mittel zu geben. Allerdings „unter gewissen Voraussetzungen und Vorgaben.“ Wir wollen aber nicht einen Staat, der uns das Geld aus der linken Tasche nimmt und dann einen Teil unter gewissen Bedingungen in der rechten Tasche wieder zurückgibt. Wir müssen einen funktionsfähigen niedergelassenen Sektor gewährleisten. Doch dafür fehlt noch die große politische Einigung. Es gibt auch keine Termine für entsprechende Gespräche. Ich sehe auch keine Bestrebungen und Verhandlungsrunden, die das ermöglichen. Das halte ich für sehr schade.
Mit welchen Ergebnissen rechnen Sie? Das Gesundheitswesen braucht permanente Reformen. Jetzt wurde die Erwartungshaltung in die Richtung gelenkt, dass ohne Finanzausgleich „das System an die Wand fährt“. Mit dem Finanzausgleich allein kann man aber keine Reformen machen – diese Ansicht des Ministers teile ich nicht. Dazu kommt, dass die wichtigsten Player gar nicht am Verhandlungstisch sitzen – etwa Ärzt:innen, Apotheker:innen und die Sozialversicherung. Ich rechne so wie es jetzt aussieht eher mit einem sehr kleinen Finanzausgleich, der die Notwendigkeit der Finanzströme regelt und den Ländern die Verluste der kalten Progression ausgleicht.
Was vermissen Sie sonst noch? Auch ein großer Wurf in Sachen Digitalisierung – Stichwort Diagnosecodierung – fehlt. Das soll nur für den niedergelassenen Bereich kommen, nicht aber für den Spitalsbereich. Das greift zu kurz und macht keinen Sinn, weil dann wieder Spitäler, Kassenärzte und Wahlärzte keine einheitlichen Informationen haben. Dabei gibt es zur Digitalisierung durchaus konkrete Ideen, die wir begrüßen.
Welche sind das? Die Stärkung von 1450 halte ich für einen guten Weg. Das große Ziel muss sein, zu einer besseren Patientensteuerung zu kommen. Der vom Minister ausgegebene Leitsatz „Digital vor ambulant vor stationär“ klingt mir zu technisch. Das Ziel muss sein, dass man den richtigen Zugang findet. Wir müssen wie gesagt, den Informationsstand der Ärzt:innen ausbauen. Sie müssen wissen, was passiert und passiert ist. Dazu braucht es eben eine einheitliche Diagnosecodierung. Wir müssen Informationslücken schließen. Und nur dann können wir auch Effizienzpotenziale heben und Sicherheit für Patienten schaffen.
Was verstehen Sie darunter? Das beste Beispiel ist das e-Rezept. Das ist ja nicht ein Ersatz des Papierrezeptes oder der e-Card, die gesteckt wird. Das e-Rezept ist der ganze Prozess von der Verordnung über die Abgabe bis zu Abrechnung. Das schafft Sicherheit, Tranzparenz und Effizienz im System. Hier ist mit der Digitalisierung viel gelungen. Und es gibt weitere Themen wie die Verwaltungsmodernisierung und Verordnungen. Wir fragen uns in der Sozialversicherung etwa derzeit, wie Patientientinnen und Patienten zur telemedizinischen Versorgung kommen. Das Ziel ist, dass wir Gesundheitsdiensteanbeiter von der Ferne einen Zugang zur e-Card-Anbindung bieten. Konkret: ein Arzt oder eine Ärztin sollen beim Hausbesuch mit dem Handy eine e-Card-Verbindung schaffen können oder auch ein Patient oder eine Patientin mit dem eigenen Handy, wenn sie telemedizinisch versorgt werden. Das große Ziel dahinter ist, dass der Mensch mehr Zeit zu Verfügung hat für die Patienten. Daher braucht es die Digitalisierung – um die persönlichen Gespräche wieder mehr zu ermöglichen. In allen Bereichen gibt es Personalmangel, deshalb müssen wir uns mit der Digitalisierung bestmöglich unterstützen, um die Kernaufgaben besser erledigen zu können.
Gesundheitsberufe befürchten in Gesprächen immer wieder, dass dadurch die Bürokratie zunimmt. Nein, für ein sicheres Produkt beziehungsweise eine Dienstleistung braucht es natürlich eine bestimmte Bürokratie. Die Frage ist, wie organisiere ich das. Wir müssen mit der Digitalisierung den Menschen im Gesundheitswesen bürokratisch belastende Dinge abnehmen und vereinfachen. Ein Beispiel ist die Einreichung einer Wahlarztrechnung bei uns in der SVS: ich fotografiere die Rechnung, schicke sie über App an die SVS, die das automatisch lesen kann und habe garantiert vier Tage danach das Geld am Konto. Was ich damit sagen will: wir müssen die Vorteile der Digitalisierung auch für alle darstellen. (Das Gespräch führte Martin Rümmele)