Neuartige Medikamente zum Abnehmen erobern seit Monaten den Markt und könnten laut Analyst:innen dadurch für viele Pharmaunternehmen zum Problem werden.
Abnehmspritzen mit dem Wirkstoff GLP-1 werden als medizinische Wunderwaffe gehandelt. Neue klinische Daten zeigen nun, wie diese Medikamente bisher herkömmlichen Therapieverfahren den Rang ablaufen und somit für viele Pharmaunternehmen zum Problem werden könnten. Die globale Unternehmensberatung Kearney schätzt das durchschnittlichen Umsatzrisiko für Unternehmen im Gesundheitsbereich von 21 bis 23 Prozent bis zum Jahr 2033. Denn: Die Produkte anderer Hersteller werden teilweise obsolet. Nachdem Novo Nordisk im Oktober 2023 positive Nachrichten zu einer Studie mit Ozempic bei Nierenerkrankungen bekannt gegeben hatte, sackte die Aktie von Fresenius Medical Care, weltweit führende Anbieter von Produkten und Dienstleistungen für Menschen mit Nierenerkrankungen, zeitweise um fast ein Viertel ab. „Auf Grundlage diverser Primärdaten und Dialysenutzungsraten bei Patient:innen mit Nierenversagen im Endstadium haben wir einen Rückgang der Dialysenutzung um zwölf Prozent bis 2033 geschätzt“, erklärte Florian Leschinsky, Partner und Managing Director bei Kearney.
Das Beratungsunternehmen erwartet, dass GLP-1-Produkte auch den Insulinmarkt stark bedrohen – zum einen durch ihre direkte positive Wirkung auf den Blutzuckerspiegel, zum anderen durch ihren Einfluss auf Patient:innen ohne Diabetes, die andernfalls einen Typ-2-Diabetes entwickelt hätten. „Unter Berücksichtigung von hochwertigen Studiendaten zur Verringerung der Zahl von Prädiabetes-Patient:innen gehen wir von einem Rückgang der Gesamtnachfrage nach Insulin bei Typ-2-Diabetes um 5 Prozent aus“, meinte Leschinsky.
Eine ähnliche Situation könnte sich aufgrund der positiven Wirkung von GLP-1-Produkten bei Herzerkrankungen auch am Markt für Herzmedikamente ergeben. Außerdem deuten erste Daten darauf hin, dass sich die Zahl der Kniegelenkersatzoperationen bei Patient:innen, die GLP-1 erhalten, aufgrund der Gewichtsabnahme halbiert. So könne mit einem stetigen Rückgang an Operationen gerechnet werden, der sich bei Kniegelenkersatz noch deutlicher als bei Hüftgelenkersatz auswirken wird. „Man kann sagen, GLP-1 ist der neue, große, disruptive Faktor in der Pharmabranche“, betonte Leschinsky, der damit rechnet, dass die Aktien der Wirkstoff-Hersteller hingegen noch weiter steigen werden. Boehringer Ingelheim und Roche könnten bald dazu gehören – beide arbeiten daran, eine auf GLP-1 basierende Abnehm-Pille auf den Markt zu bringen.
Wie die Kostenübernahme der neuartigen Arzneimittel in Zukunft aussehen wird, ist derzeit noch nicht klar. Bisher müssen die Kosten für eine Therapie mit der Abnehmspritze in der Regel aus eigener Tasche bezahlt werden und sind laut Österreichischer Gesundheitskasse ausschließlich zur Behandlung von Typ-II-Diabetes zugelassen und nur in diesem Fall nach chefärztlicher Bewilligung auf Kassenkosten zu bekommen. Wird der Wirkstoff zum Abnehmen verschrieben, sei das ein sogenannter „Off-Label-Einsatz“, also außerhalb der eigentlichen Zulassung. Die Kosten tragen die Patient:innen selbst. Würde man, wie mache Gesundheitsexpert:innen fordern, die Wirkstoffe kostenlos auf Rezept erhalten, hätte dies gravierende Auswirkungen auf das heimische Gesundheitssystem. Denn bekämen alle krankhaft übergewichtigen Menschen das neue Präparat, würden sich die Ausgaben möglicherweise fast verdoppeln, heißt es in einer Aussendung von Kearney. Momentan betrachtet sind die wirtschaftlichen Folgen durch Übergewicht laut Leschinsky aber noch stärker als die Kosten für GLP-1. (kagr)