Eine neue Umfrage in Österreich zeigt zunehmende Gewalt und Aggression gegen Gesundheitsberufe. In den USA wird der Chef eines Krankenversicherungskonzerns erschossen. Es gibt Zusammenhänge.
Der Druck im Gesundheitswesen steigt, Wartezeiten nehmen zu, die Beschäftigten sind am Limit und die Österreichische Gesundheitskasse schreibt durchgehend Verluste – Tendenz steigend. All das hat Folgen: Menschen fühlen sich nicht mehr optimal versorgt; Gesundheit wird zunehmend zum wahlentscheidenden Thema; Gewalt und Aggression nehmen zu. 37 Prozent der Wiener Ärzt:innen sind regelmäßig von Gewalt betroffen. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) von 1.102 befragten Mediziner:innen war in den vergangenen zwei Jahren zumindest einmal mit verbaler Gewalt und ein Viertel (24 Prozent) mit psychischer Gewalt im Beruf konfrontiert, zeigt eine Umfrage der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien. Die Gewalt geht laut Umfrage in erster Linie von Patient:innen aus, in zweiter Linie von deren Angehörigen, ergab die Erhebung des Meinungsforschungsinstituts von Peter Hajek.
Als Hauptursache für Aggression und Gewalt wurden lange Wartezeiten, überlaufene Praxen und Spitäler sowie Personalmangel genannt. 71 Prozent der befragten Wiener Mediziner:innen orten einen generellen Anstieg der Aggression in der Gesellschaft. Parallel bestätigt der Wiener Gesundheitsverbund (WiGEV) als größter Spitalsträger Österreichs die Ergebnisse der Umfrage. „In einem 12-Monatszeitraum erlebten die Hälfte der Mitarbeiter:innen verbale Aggression, jede:r vierte Mitarbeiter:in körperliche Übergriffe wie Spucken, Schubsen oder Schlagen“, teilt der WiGEV mit.
Der Fall der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die nach massiven Drohungen im Sommer 2022 Suizid begangen hat, kommt ab 5. März 2025 in Wels vor Gericht. Ein 61-jähriger Deutscher muss sich wegen gefährlicher Drohung verantworten. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, die Ärztin im Zeitraum von Februar bis Juli 2022 in vier E-Mails sowie in drei Twitter-Nachrichten bedroht zu haben. So soll er angekündigt haben, sie vor ein noch einzurichtendes „Volkstribunal“ zu stellen und sie „auf die Anklagebank und dann sicher ins Gefängnis“ zu bringen. In anderen Social Media-Beiträgen war der Ärztin auch mit dem Umbringen gedroht worden. Ein „Claas“ kündigte an, dass er sie und ihr Personal in der Praxis massakrieren werde.
In den USA ist das nun Realität geworden: Auf offener Straße wird der Chef des Krankenversicherungskonzerns United Healthcare erschossen. Auf Patronenhülsen, die am Tatort gefunden wurden, waren darauf die Wörter „deny“, „defend“ und „depose“ geschrieben worden – auf Deutsch ungefähr „leugnen, verteidigen, ablehnen“. Den Slogan kennen viele amerikanische Versicherte als Konzept der privatwirtschaftlich geführten Versicherungskonzerne. Krankenversicherungen haben in den USA schon lange einen schlechten Ruf. Beim vermeintlichen Täter – er soll aus wohlhabenden Verhältnissen stammen – wurde nach seiner Festnahme ein Manifest gefunden, aus dem angeblich seine Wut über die Gesundheitsbranche und ihre Profite hervorging. Mehr als 60 Prozent aller Privatkonkurse in den USA resultieren in medizinischen Problemen und den damit verbundenen Kosten. Weltweit verarmen jährlich 150 Millionen Menschen, weil sie krank werden und die Kosten für ihre Behandlung nicht mehr tragen können, schreibt die WHO in einem Bericht.
Das österreichische Gesundheitswesen gilt als eines jener Systeme, die eine breite Versorgung garantieren. Doch es bröckelt, wie die Debatten über Wahlärzt:innen, den jüngsten Zahnärzt:innenstreit und zunehmende Belastungen durch Rezeptgebühren zeigen. Dazu kommen Beispiele wie jenes von ME/CFS bei denen die Pensionsversicherung von Erkrankten, die unter massiven Erschöpfungssymptomen leiden, ein persönliches Erscheinen zur Stellung eines Behindertenantrages fordert. Natürlich sind wir weit weg von den US-Systemen, es gibt aber Gemeinsamkeiten, die die Wut der Menschen zunehmen lässt: Kranke Menschen oder Menschen, die Sorge vor Krankheit und um ihre Versorgung haben, sind vor allem bedürftig. Immer. Und in dieser Bedürftigkeit müssen sie wahrgenommen werden.
Das passiert nicht, wenn wir – wie das gerade rund um die Koalitionsverhandlungen passiert – über teure Sozialsystemen, die Senkung von Lohnnebenkosten und Einsparungen diskutieren. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es nötig, soziale Sicherungssysteme auszubauen. Denn einen schlanken Staat können sich nur wirtschaftlich Starke leisten. (rüm)