Ich hatte 1982 die Gelegenheit, direkt nach meinem Abschluss an der hämatologischen Abteilung der I. Medizinischen Universitätsklinik Wien beginnen zu können. Ich kam an eine extrem gut organisierte Abteilung, an der eine sehr intensive Einbindung und Kooperation mit der OeGHO vorhanden war. Die Hämostaseologie war zwar organisatorisch kein eigenes Fach, war aber im wissenschaftlichen Bereich sehr gut etabliert; vor meiner Zeit, in den 60er und 70er Jahren, nahm sie vielleicht eine sogar bedeutendere Rolle ein als die Hämatologie. Wir hatten schon in dieser Zeit – etwa mit Prof. Erwin Deutsch – sehr renommierte Experten, die international agiert haben – z. B. konnte 1973 der Kongress der ISTH (International Society on Thrombosis and Hemostasis) nach Wien geholt werden. Parallel dazu hat sich natürlich auch die Hämatologie in Wien intensiv weiterentwickelt. Wir waren immer sehr klinisch orientiert und es war für uns selbstverständlich, alles zu machen: Ärzte, die mehr auf Hämostaseologie ausgerichtet waren, betreuten auch hämatologische Patienten, führten Forschungsprojekte in der Hämatologie durch und umgekehrt. Es war sehr wichtig, dass alle die gleiche klinische Ausbildung bekamen. Ich empfand diese enge Zusammenarbeit und den gemeinsamen Fokus, der dadurch entstand, immer als sehr positiv.
Meine Anfänge in der Hämostaseologie waren mitunter vom Aufkeimen der ersten HIV-Infektionen bei Hämophilie-Patienten geprägt. Ich kann mich noch gut an einen der ersten Patienten erinnern, ein Jugendlicher, der mit Blutungen und einer Candida-Infektion im Ösophagus vorstellig wurde. Es war völlig unklar, was der Patient hatte. Der Vorstand, Prof. Lechner, hatte bereits über Fälle von AIDS bei Hämophilie-Patienten in den USA gelesen und die Theorie aufgestellt, es könnte sich um etwas Ähnliches handeln. Er wurde daraufhin zu Beginn sehr angefeindet, man wollte nicht glauben, dass in Österreich so etwas möglich sei. Dann rollte die AIDS-Epidemie bei Hämophilie-Patienten auf uns zu und wir verloren innerhalb der folgenden zehn Jahre etwa 30 % aller Patienten mit schwerer Hämophilie.
Was ich persönlich mitgenommen habe: Mit meinen Patienten mitzuleiden und die Sache persönlich zu nehmen, ist für mich wichtig. Ich empfinde es als Bereicherung, dass man Patienten persönlich begleitet und auch selbst trauert. Ich sehe jetzt manchmal mit Bedauern, dass jungen Ärzten die Kontinuität in der Betreuung und persönliche Patientenbindung fast unmöglich gemacht oder durch rigide Dienstpläne und starre Regeln verleidet wird. Persönlich engagiert zu sein und erfassen zu lernen, bei welchen Patienten es wichtig ist, sich besonders intensiv einzubringen, das versuche ich, jungen Kollegen mitzugeben. Was sich in der Therapie dadurch geändert hat: Gerinnungskonzentrate entwickelten sich durch diese Katastrophe sicher wesentlich schneller. Es wurde intensiver geforscht, intensiver an der Sicherheit gearbeitet. Wir sind mittlerweile in der glücklichen Lage zu sagen, dass Gerinnungskonzentrate außerordentlich sicher und sehr gut verträglich sind. Dieser Fortschritt ist riesig. Patienten mit Hämophilie können heutzutage ein normales Leben führen und müssen sich über die Sicherheit ihrer Therapie keine Sorgen machen. Mittlerweile ist ein unglaublicher Aufbruch zu erkennen: Seit fünf Jahren wurden wirklich innovative Konzepte entwickelt, mit denen man über verschiedene Mechanismen versucht, die Blutungsfrequenz herabzusetzen – z. B. ein neuer biphasischer Antikörper, der Faktor VIII nachahmt und damit die Faktoren X und IX zusammenbringt. So können wir v. a. auch Patienten mit Hemmkörperhämophilie gut behandeln. Mit der Gentherapie – die meiner Einschätzung nach in etwa fünf Jahren in der Praxis ankommen wird – rückt die Heilung von Hämophilie-Patienten mit einer einzigen Infusion in greifbare Nähe.
Auch in Hinblick auf die Thromboseforschung als zweiter Säule der Hämostaseologie hat sich viel getan. Neben Vitamin-K-Antagonisten, deren Dosierung sehr spezifisch unter Berücksichtigung von genetischen Faktoren, aber auch der Ernährung und Komedikation auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden muss, stehen nun auch weitere Antikoagulanzien (NOAKs, neue orale Antikoagulanzien) zur Verfügung. NOAKs werden in einer Fixdosierung verabreicht, regelmäßige Gerinnungskontrollen und Dosisbestimmungen sind nicht mehr nötig. Das machte die antikoagulative Therapie viel einfacher, es war aber teilweise nicht einfach, manchen Ärzten und Patienten zu erklären, dass die Therapie, obwohl keine ständigen Kontrollen und Dosisveränderungen durchgeführt werden müssen, dennoch sicher ist – sogar sicherer als die Vitamin-K-Antagonisten.
Als wir vor 15 Jahren begannen, die Tumor und Thrombose-Studie CATS aufzusetzen, war die Problematik von tumorassoziierten Thrombosen in der Onkologie noch weitgehend unbeachtet. Wir bekamen dennoch viel Unterstützung von Onkologen und Hämatologen und die Erkenntnisse der Studie wurden mittlerweile zu einem richtigen „Renner“. Wir wollten mit der Studie Biomarker und klinische Konstellationen definieren, die das Thromboserisiko vorhersagen können. Aus den Studiendaten konnte ein Modell erstellt werden, das einfache, verfügbare Tests und Parameter nützt und in Zusammenschau mit dem Tumortyp eine Einschätzung des Risikos erlaubt. Das wird v. a. in der heutigen Zeit, in der Therapien besser werden und Patienten länger leben, immer wichtiger. Mit Aussicht auf langfristige Remission oder Langzeitüberleben mit einer chronischen Erkrankung möchte man Patienten umso mehr vor einer sehr unangenehmen, schmerzhaften Komplikation bewahren, die das Leben zusätzlich erschwert.
Bei meiner Vorstellung in der Klinik wurde mir von einem Personaloberarzt gesagt: „Wenn Sie Kinder möchten, dann ist das hier nichts für Sie“. Das hat mich aber eigentlich nur amüsiert und ich habe nach meiner Anstellung persönlich auch nie eine Benachteiligung erlebt – sei es vonseiten der Leitung, Oberärzten oder der Klinik. Anfangs konnte man sich zwar nicht vorstellen, dass nicht jeder Arzt bis halb acht anwesend ist und mein Oberarzt war der Meinung, zweimal in der Woche früher zu gehen wäre unmöglich, es würde die Station zusammenbrechen. Kurze Zeit später war es bereits selbstverständlich und derselbe Oberarzt hat mich an die Uhrzeit erinnert, wenn ich an meinen kürzeren Tagen zu lang auf der Station blieb. Ich glaube, die doppelte Rolle in Beruf und Familie ist nicht einfacher geworden und betrifft auch immer mehr Männer. Das wissenschaftliche Arbeiten, das außerhalb der Dienstzeiten stattfindet, wird durch die Doppelbelastung erschwert. Aber ich denke, man muss wissen, was man möchte, und das auch tun. Man kann Familie und Beruf vereinbaren. Jungen Kolleginnen und Kollegen möchte ich mitgeben: Dranbleiben und sich Unterstützung holen.