Man erkannte in den 1970er Jahren: Es gibt mehr als ein Mammakarzinom. Hormonrezeptoren wurden charakterisiert, deren Präsenz ein prognostisch günstiges Zeichen ist und, viel wichtiger noch, ein prädiktiver Faktor für antihormonelle Therapien, Stichwort Tamoxifen. Das war die Ausgangssituation zu Beginn meiner Laufbahn. Es wurde erkannt, dass hormonabhängiger Brustkrebs vorrangig mit Antihormonen zu behandeln ist. Tamoxifen ist mittlerweile die klinisch-translational am besten untersuchte Substanz. Chemotherapie, die damals rudimentär, aber durchaus zur Verfügung stand, hat in dieser Indikation nur marginale Wirksamkeit. Für mich ist das im Rückblick ein Startschuss zu dem, was wir heute als personalisierte oder Präzisionsmedizin bezeichnen. Der Beginn des Erkennens von Faktoren, bei wem die Therapie greifen kann. Es war ein völlig neuer Ansatz, der auf Beobachtungen Ende des 19. Jahrhunderts basierte – dass nämlich bei prämenopausalen Frauen mit Brustkrebs nach Entfernung der Eierstöcke der Brusttumor schrumpfte – und der medikamentös weiterentwickelt wurde. Es war schön zu sehen, dass man einerseits in der metastasierten Phase noch Gutes tun konnte, über Monate hinweg, und andererseits die Toxizitäten der Chemotherapie ersparen konnte, die in Ermangelung von Supportivtherapien damals noch sehr ausgeprägt waren.
Viele Frauen haben deswegen die Therapie erst gar nicht in Angriff genommen. In weiterer Folge hat sich unter dem Einfluss namhafter Proponenten die Idee herausgebildet, dass man nur mit klinischen Studien, prospektiv, die Effektivität der Therapieformen vergleichen und damit die Medikamentenentwicklung vorantreiben kann. Unter diesen Vorzeichen hat sich Mitte der 1980er Jahre die ABCSG gegründet. In dieser Zeit gab es erste Ansätze einer Immuntherapie, insuffiziente Ansätze muss man sagen. Interferon alpha war in aller Munde und für fast alle Tumoren gut. Interferon wurde auch beim Mammakarzinom versucht, allerdings mit enden wollendem Effekt. Intellektuell war es ein Ansatz in die richtige Richtung, dass nämlich das Immunsystem in der Tumorgenese eine Rolle spielt, nur war es therapeutisch mit den damaligen Mitteln nicht abzubilden.
Nach der Hormontherapie war der nächste große Durchbruch die Identifikation eines weiteren prognostisch und prädiktiv wesentlichen Faktors, nämlich des HER2-Rezeptors. Mitte der 1980er Jahre wurde von Dennis Slamon an der UCLA, der University of California, Los Angeles, an der ich einige Jahre verbringen konnte, erkannt, dass HER2 eine schlechte Prognose anzeigt. Es war damals mit immunologischen Techniken bereits möglich, Antikörper herzustellen, sodass man ein Anti-HER2-Kontrukt, Trastuzumab, relativ rasch in die klinische Testung bringen konnte – „relativ rasch“ gemessen an den damaligen Entwicklungspotentialen. Anfang der 1990er Jahre begannen die ersten Therapieversuche im metastasierten Setting beim HER2-positiven Mammakarzinom, von dem man damals dachte, dass ein Drittel der Frauen betroffen wäre. Heute weiß man, es sind 15–20 %, mit regionalen Unterschieden, auch in Österreich. Die Ergebnisse waren sensationell. Frauen, die vor Einführung von Trastuzumab innerhalb weniger Wochen und Monate, maximal eines Jahres, verstorben sind, konnten in Remission gebracht werden, in einem verblüffend hohen Prozentsatz, und das über lange Zeit. Das war der Durchbruch, eine echte Revolution. Das erste Mal in der Therapie der soliden Tumoren konnte eine immunologisch basierte Antikörpertherapie, zum Teil sogar ohne zusätzliche Chemotherapie, eingesetzt werden. Stimuliert durch diesen Erfolg sind weitere HER2-basierte Therapien und auch neue antihormonelle Substanzen nachgezogen. Ganz wesentlich fand eine Konzentration von der palliativen in die kurative Therapiesituation statt, also in das frühe adjuvante und v. a. auch neoadjuvante Setting. Parallel dazu haben wir in der ABCSG die entsprechenden Studienprotokolle – immer in Zusammenschau mit der schon beginnenden Globalisierung der Studienlandschaft – entwickeln und etablieren können. Der Zusammenschluss mit regionalen, aber auch internationalen Playern hat dazu geführt, dass das lückenhafte Mosaik mit vielen insuffizienten Einzelstudien durch flächendeckend große, auch zulassungsrelevante Phase-III-Studien ersetzt wurde. Dafür haben wir in den Anfängen das Tabu des „Versuchskaninchens“ in Studien brechen müssen und die Sinnhaftigkeit klinischer Studien intensiv kommuniziert. Wir haben immer auch das, was alleine nicht möglich war, durch europäische und mittlerweile globale Kooperationen ergänzt, was zum internationalen Ruf der ABCSG beigetragen hat.
Nach Trastuzumab und den neuen endokrinen Therapien schien zunächst der Plafond erreicht. Die Entwicklung hat stagniert. In der Palliation konnte man nicht mehr viel zulegen. Aus diesem Grund wurde Fulvestrant z. B. in der adjuvanten Situation nie wirklich untersucht. Bis schließlich um die Jahrtausendwende, wiederum basierend auf neuen Zielstrukturen, auf sehr spezifischen zellulären Mechanismen, erneut Bewegung in die Szene gekommen ist. Zunächst mit dem mTOR-Inhibitor Everolimus, den wir aus der Transplantationsmedizin schon lange kannten. Beim Mammakarzinom wurden damit sehr gute Ergebnisse erzielt. Allerdings bei doch beträchtlicher Toxizität, was zunächst ein Umdenken erforderte und die Etablierung eines speziellen Managements. Besonders profitieren offenbar Patientinnen mit luminalen, hormonrezeptorpositiven Tumoren. Gerade bei diesen Tumoren hat sich jedoch mit Aufkommen der CDK4/6-Inhibitoren ein neuer Meilenstein eingestellt, der gar nicht abschließend beurteilt werden kann, weil noch keine adjuvanten Daten vorliegen. In der Palliativsituation jedenfalls konnte innerhalb kürzester Zeit ein klinisch relevanter Überlebensvorteil etabliert werden: 10 Monate in den Studienarmen, median 4 Jahre in der Palliativsituation, d. h. 50 % der Patientinnen leben noch länger. Es sind bereits Vorzeichen in Richtung Leben mit Krebs.
Eindrucksvoll ist die Geschwindigkeit, mit der diese Entwicklungen stattfinden, und zwar beim weitaus größten Teil der Brustkrebspatientinnen, nicht nur bei fragmentierten Kollektiven. Eines der Sorgenkinder war allerdings lange Zeit das triple-negative Mammakarzinom, das keinen der bekannten Rezeptoren exprimiert und in sich auch noch heterogen ist. Es gab bis vor kurzem nur die klassische Chemotherapie, die über einen relativ kurzen Zeitraum zur Wirkung kommt. Patientinnen sterben sehr oft unter laufender Therapie. Die Situation ist vergleichbar mit jener von HER2-positiven Tumoren vor der Einführung von Trastuzumab. Bei diesen aggressiven Karzinomen scheinen Checkpoint-Inhibitoren zu greifen, mit einem Vorteil im progressionsfreien und Gesamtüberleben. Die Größe des Benefits ist vergleichbar mit jenem bei der Einführung der HER2-Therapie, sodass sich hier ein Durchbruch abzeichnet. Bei einigen Substanzen gibt es einen prädiktiven Faktor, nämlich den PD-L1-Expressionsstatus auf Tumor- bzw. Immunzellen.
Es wird immer komplexer. Wenn eine Frage beantwortet ist, tauchen zehn neue Fragen auf. Das soll auch so sein, weil wir von einer definitiven Heilung des Mammakarzinoms noch weit entfernt sind. Zwar weniger weit als vor 10, 20 oder gar 30 Jahren, aber noch nicht am Ziel. Wir müssen immer auch kleinere mit größeren Schritten kombinieren, und dann sieht man in der Zeitachse der letzten 50 Jahre, dass sich das mittlere Überleben über alle molekularbiologischen Subtypen hinweg vervielfacht hat. Wir können als internationalen Trend, der in Österreich besonders stark ausgeprägt ist, feststellen, dass die Mortalität ab dem Jahr 2000 erstmals gesunken ist, trotz weiter steigender Inzidenz, deren Ursache wir nicht kennen. Wir wissen, dass jede 7. bis 8. Frau in der westlichen Welt im Laufe ihres Lebens ein Mammakarzinom entwickeln wird. Dennoch ist es ab der Jahrtausendwende gelungen, die Sterblichkeit an dieser Erkrankung um ein Drittel zu verringern. Ohne die Erfolge der medikamentösen Therapie, flankiert durch Früherkennung und andere Maßnahmen wie Chirurgie und Strahlentherapie, wären in den letzten 15–20 Jahren um ein Drittel mehr Patientinnen gestorben. Die medikamentöse Therapie hat eine zentrale Rolle bei diesem Tumor, der offensichtlich bei den meisten Patientinnen als Systemerkrankung vorliegt. Nachdem eine Metastasenverhinderung immer besser ist als eine Metastasentherapie, fokussieren wir immer mehr in die neoadjuvante präoperative und adjuvante postoperative Phase, in der man einerseits verstärkt translationale Programme durchführen kann. Es besteht die Möglichkeit, über serielle Tumorbiopsien Interaktionen zwischen eingesetzter Therapie und (Langzeit) Outcome festzustellen. Andererseits ist in diesem Setting die Kombination von Lokaltherapie und Systemtherapie möglich.
Ich habe diese Aspekte im Laufe meines ganzen Studiums und Arztlebens sowie innerhalb der Studiengruppe miterlebt. Es ist erstaunlich, wie viel in den letzten 50 Jahren geschehen ist, und es wird sich in immer kürzeren Intervallen noch mehr ereignen, weil die Entwicklungen immer rascher erfolgen. Von der Beschreibung des HER2-Moleküls bis zur davon abgeleiteten Therapie sind 10–15 Jahre vergangen. Bei CDK4/6-Inhibitoren hat diese Entwicklung nur mehr 4–6 Jahre beansprucht. Die Immuntherapie wurde innerhalb von 3 Jahren in die Klinik gebracht.
Eine wesentliche Perspektive ist: Wenn wir heute noch vom Mammakarzinom als einer Tumorentität sprechen, dann wird sich das in Zukunft ändern. Es sind die ersten Präzisionsmedikamente registriert worden, die unabhängig von der Tumorentität molekularbiologische, genetische Veränderungen als Indikationsstellung haben. Derzeit handelt es sich noch um orphan diseases, die dann aber zu 80 % ansprechen. Organgrenzen, die Spezialisierung auf Organe, das wird sich auflösen zugunsten einer pathwayorientierten Onkologie. Wir wissen mittlerweile, dass HER2-Positivität oder BRCA-Veränderungen bei verschiedenen Tumoren eine Rolle spielen. D. h. die anatomische Lokalisation wird im Rahmen einer zielgerichteten Präzisionsmedizin nur mehr von untergeordneter Bedeutung sein. Wir stehen noch am Beginn dieses Weges, aber die Richtung ist eingeschlagen.
Wenn man 50 Jahre zurückblickt, muss man sagen: Es ist eine revolutionäre Entwicklung, die weitergeht. Wir werden in den nächsten Jahrzehnten vor einer völlig anderen Onkologie stehen: diagnostisch, therapeutisch und – ultimativ – präventiv. Denn wenn ich schon Metastasen verhindern kann, dann versuche ich natürlich auch, Primärtumoren zu verhindern, d. h. Risikogruppen zu identifizieren und jene molekularen Strukturen, die zum Auftreten des Tumors führen. Für mich ist immer entscheidend, nicht nur „l´art pour l´art“-Laborwissenschaft zu betreiben, sondern die direkte Umsetzung in die klinische Praxis und die messbare Auswirkung auf die Gesundheit, also der Rückgang der Mammakarzinom-Mortalität um ein Drittel in den letzten Jahrzehnten trotz steigender Inzidenz.