SPECTRUM ONKOLOGIE: Der Antikörper ch14.18 stellt die klinisch am weitesten fortgeschrittene Substanz im Portfolio von Apeiron dar. Können Sie die beiden Antikörper-Projekte zum Einsatz beim Hochrisikoneuroblastom erläutern?
Dr. Hans Loibner: ch14.18 ist ein monoklonaler Antikörper gegen das GD2-Gangliosid-Antigen, das an der Oberfläche von Neuroblastomzellen stark exprimiert ist. Das „ch“ steht für chimär, das heißt, dass der Antikörper zwecks Therapie am Menschen dominant mit humanen Sequenzen versehen wurde. Den Antikörper gibt es in seiner ursprünglichen Form (als murinen Antikörper) schon seit rund 25 Jahren, er wurde ca. 1985 von Ralph Reisfeld vom Scripps Institute in San Diego, Kalifornien, USA, entwickelt. Die Antitumorwirkung beruht vor allem auf der Auslösung von körpereigenen immunologischen Mechanismen zur Zerstörung von Tumorzellen, an denen der AK aufgrund seiner Spezifität für das Disialogangliosid GD2 bindet. Der Antikörper erkennt GD2, das praktisch bei allen Neuroblas – tomfällen stark und bei einer Reihe weiterer humaner Krebsarten (einschließlich Melanom, kleinzelligem Lungenkrebs, Osteosarkom und Weichteilsarkom) häufig exprimiert wird.
ch14.18 (APN311) befindet sich in einer europaweiten Phase- III-Studie der St. Anna Kinderkrebsforschung und dem europäischen Neuroblastom-Kliniknetzwerk SIOPEN. Die St. Anna Kinderkrebsforschung mit Doz. Dr. Ruth Ladenstein als Spezialistin in der Behandlung des Neuroblastoms und SIOPEN verfügen über eine langjährige Erfahrung in der Behandlung des Neuroblastoms. SIOPEN hat ein Web-basiertes Daten- und Kommunikationssystem aufgebaut, das es erlaubt, klinische Studien in bereits mehr als 18 europäischen Ländern gemeinsam durchzuführen und mit relevanten Forschungsdaten zu verknüpfen. Apeiron wird als Teil der Übereinkunft die Phase- III-Studie maßgeblich unterstützen und erhält im Gegenzug die exklusiven und weltweiten Rechte zur Zulassung und Vermarktung des monoklonalen Antikörpers (produziert bei Polymun Scientific aus CHO-Zellen [Ovarialzellen des chinesischen Hamsters]). In der laufenden Phase-IIIStudie wird der Antikörper mit oder ohne subkutan gegebenes Interleukin 2 bei Hochrisiko-Neuroblastom-Patienten mit minimaler Resterkrankung untersucht (ein Stadium, in das Patienten bei Ansprechen der initialen Therapie kommen). In einer vergleichbaren US-Studie mit einem ähnlichen Antikörper, kombiniert mit IL-2 i. v., GM-CSF und Isotretinoin wurden interessante Verbesserungen hinsichtlich des Überlebens bei Patienten mit minimaler Resterkrankung gezeigt.
Das zweite Neuroblastom-Projekt in der Pipeline, APN301 (hu14.18-IL2), ist ein rekombinantes Fusionsprotein, bestehend aus dem Antikörper 14.18 in einer voll humanisierten Form (daher das „hu“), der molekularbiologisch an humanes rekombinantes Interleukin-2 (IL2) gekoppelt ist. Das Immunzytokin hu14.18-IL2 führte in einer Phase-II-Studie zu Remissionen bei Kindern mit Neuroblastom im Stadium nach Rückfall bzw. bei schlechtem Ansprechen der initialen Therapie (relapsed/ refractory)1 und zeigte auch in einer Phase-I/II-Studie im Spätstadium des bösartigen Melanoms Immunaktivierung. Apeiron hat dieses Jahr die exklusiven weltweiten Rechte an hu14.18-IL2 von Merck KGaA erworben.
Das heißt, die beiden Krebsimmuntherapie-Projekte beim Neuroblastom ergänzen einander?
Ja, weil es beim Hochrisikoneuroblastom zwei grundsätzlich unterschiedliche Stadien gibt. Wird ein Hochrisikoneuroblastom diagnostiziert, heißt das in der Folge Operation, intensive Chemotherapie bzw. Hochdosis-Chemotherapie, Strahlentherapie, ergänzt durch weitere Therapieverfahren. Durch die Hochdosis- Chemotherapie wird das blutbildende Knochenmark geschädigt, sodass auch eine autologe Knochenmarktransplantation durchgeführt wird. Im Idealfall haben die Kinder nach dieser sehr belastenden Periode keinen messbaren Tumor mehr. In dieser Situation wird dann der Antikörper ch14.18 (APN311) verabreicht, um einen Rückfall zu verhindern; d. h. man bekämpft die „minimal residual disease“. In der laufenden Phase-III-Studie wird nun in dieser Situation APN311 allein oder in Kombination mit IL2 untersucht.
Leider gibt es auch andere Situationen beim Hochrisikoneuroblastom, wo es zu einem Rückfall kommt oder Kinder auf die initiale Therapie nicht hinreichend ansprechen, d. h. refraktär sind. Für diese Situationen wird das Immunzytokin APN301 klinisch getestet.
Dies bedeutet, dass wir bei Zulassung der zwei verwandten Therapieansätze die wesentlichen Stadien des Hochrisikoneuroblastoms mit Immuntherapien abdecken könnten. Apeiron ist in Kontakt mit der EMA, um Möglichkeiten eines so genannten „conditional approvals“ für APN311 in dieser Indikation mit hohem medizinischem Bedarf und wenigen Behandlungsoptionen abzuschätzen. Bei behördlicher Zustimmung könnten wir noch vor Abschluss der vollständigen klinischen Prüfung APN311 auf den Markt bringen. Apeiron würde sich dann verpflichten, vollständige Phase-III-Daten nachzuliefern.
Welche Verbesserungen sind realistisch?
Mit beiden Therapieelementen, d. h. der richtigen Wahl der Hochdosistherapie und dem Einsatz der Immuntherapie mit dem ch14.18-Antikörper (APN311) hoffen wir, die Überlebenschancen für Kinder mit Hochrisikoneuroblastom insgesamt um weitere 30 % anzuheben, sodass ein Überleben für 60–70 % der Kinder in Zukunft realistisch erscheint. Erwähnenswert ist, dass es beim Neuroblastom – da es sich um einen immunogenen Tumor handelt –, manchmal auch zu Spontanheilungen bei Kindern kommen kann.
Welches Nebenwirkungsprofil wird Realität sein?
Das Hauptproblem ist, dass sich das auf dem Neuroblastom exprimierte Antigen auch, wenn auch in geringerer Menge, auf peripheren Nervenendigungen befindet. Dies bedeutet, dass der infundierte Antikörper auch an die peripheren Nervenendigungen bindet, und dies führt meist zu Schmerzen. Kinder erhalten daher im Zuge dieser Therapie routinemäßig effiziente Schmerzmittel. Es laufen derzeit auch Studien in Europa, in denen der Versuch unternommen wird, diese Nebenwirkungen deutlich zu senken. Primär soll dies durch eine langsame 24- Stunden-Dauerinfusion erzielt werden. Bei der Therapie mit dem Immunzytokin APN301 ist die Schmerzproblematik weniger ausgeprägt, allerdings gibt es die charakteristischen Nebenwirkungen von IL2. Noch Zukunftsmusik, aber vermutlich so gut wie nebenwirkungsfrei, wären therapeutische Impfstrategien beim Neuroblastom.
In welchen Spitälern würden die beiden Therapie-Optionen zum Einsatz kommen?
Sicher nur in hochspezialisierten Kliniken, also in Österreich z. B. das St. Anna Kinderspital, sowie große Universitätskliniken. Ist man auf diesem schwierigen Gebiet des Neuroblastoms mit seinen geringen Patientenzahlen klinisch tätig, arbeitet man bereits genau mit jenen Zentren zusammen, die diese Therapien in der Folge auch einsetzen würden. Der Aufbau eines Marketings ist damit faktisch schon passiert.
Könnte der Antikörper noch bei anderen Tumorentitäten zum Einsatz kommen?
Das Antigen GD2, das von dem Antikörper sowie von dem Immunzytokin erkannt wird, wird z. B. auch auf Melanomzellen exprimiert. Aus diesem Grund haben wir in den USA mit dem Immunzytokin bei Erwachsenen auch eine kleine Melanom- Studie laufen und planen eine weitere Phase-II-Studie
Ein weiteres klinisches Projekt läuft derzeit in Graz. Würden Sie dies erläutern?
Es handelt sich um eine topische liposomale Formulierung rekombinanter humaner Superoxid-Dismutase (SOD), die wir zur Prophylaxe bzw. Behandlung von Hautschäden im Zuge von Bestrahlungstherapien bei Krebs testen wollen. Das Projekt (APN201) wird zunächst im Zuge der Bestrahlung bei Brustkrebs in einer Pilotstudie an 20 bis 25 Patientinnen an der Universitätsklinik für Strahlentherapie, Klinikum Graz (Leitung: Univ.-Prof. Dr. K. Kapp) getestet werden. Wir hoffen, sehr bald anfangen zu können; derzeit läuft die Genehmigung durch die Gesundheitsbehörde AGES.
1 Shusterman S et al., JCO 2010; 28:4969–4975
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