Ausreichende Therapietreue onkologischer Patienten?

Durch klinische Studien gab es in den letzten beiden Jahrzehnten große Fortschritte auf dem Gebiet der oralen adjuvanten endokrinen Therapie des hormonsensitiven Mammakarzinoms. Aus rezenten Untersuchungen wissen wir jedoch, dass in der täglichen Praxis wie auch innerhalb von Studien die regelmäßige Einnahme der Medikation ein Problem darstellt.

Defizite bei der Medikamenteneinnahme

Zur Senkung des Metastasierungs- und Rückfallsrisikos bei Brustkrebs nach lokaler Therapie mit Operation und Strahlentherapie hat die systemische adjuvante Behandlung einen bedeutenden Stellenwert. In den letzten zwei Jahrzehnten konnten durch klinische Studien, bedeutend hierbei auch die Austrian Breast & Colorectal Cancer Study Group, große Fortschritte auf dem Gebiet der adjuvanten systemischen Therapie erzielt werden. Neben der Chemotherapie stellt die endokrine Therapie beim hormonsensitiven Brustkrebs eine der Standardsäulen in der Behandlung dar. Um jedoch einen optimalen Erfolg zu bewirken, muss diese orale antihormonelle Therapie regelmäßig (täglich) und für zumindest 5 Jahre eingenommen werden. Aus rezenten Untersuchungen wissen wir jedoch, dass ähnlich wie bei anderen chronischen Erkrankungen die Compliance (Therapietreue) Probleme aufweist. Die Medikation wird von circa einem Viertel der Patientinnen im ersten Jahr nach der Operation und von 50 % nach 5 Jahren nicht wie vorgeschrieben eingenommen. Auch ist es ein Faktum, dass selbst innerhalb von klinischen Studien die Therapietreue nicht ausreichend gegeben ist. Um wie vieles wären die Therapieerfolge besser, würden die Compliance wie auch die Adhärenz (Festhalten am vereinten Therapieziel) höher liegen als derzeit in der täglichen Praxis und in klinischen Studien?

Ursachen für diese Defizite in der Medikamenteneinnahme können zum Großteil nur aus praktischen Erfahrungen sowie aus Erkenntnissen von anderen Erkrankungen abgeleitet werden, da die wissenschaftlich fundierte Datenlage speziell in der Situation der adjuvanten Mammakarzinom-Therapie sehr dürftig ausfällt. Ein geringer Teil ist wahrscheinlich durch körperliche sowie kognitive Defizite des Patienten bedingt. Es ist daher unsere Aufgabe als ÄrztInnen, auf diese Aspekte von Anfang an Rücksicht zu nehmen und bei Bedarf zu reagieren. Beispielsweise durch Miteinbeziehen von Angehörigen oder durch Überreichen von Merkbehelfen wie Patienten-Therapieausweisen und dergleichen. Der weitaus größere Teil dürfte jedoch die Ursache auf der kommunikativen (Arzt-Patient-) Ebene und in der psychischen Verfassung des Patienten haben. Dazu gehören beispielsweise Faktoren, die in der Person oder im Verhalten des Arztes begründet sind: Instruktionen im Fachjargon, emotionale oder kognitive Überforderung des Patienten, Motivationsversuch durch Angsterzeugung, Einschüchterung oder Drohung, Angriffe auf das Selbstwertgefühl des Patienten, Missachtung der Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Patienten, mangelhafte Motivation des Arztes oder autoritäre Grundhaltung des Arztes. Ebenso spielen Faktoren, die in der Person oder im Verhalten des Patienten liegen, eine Rolle: ausgeprägte Erwartung von Nebenwirkungen, niedrige Selbsteinschätzung der gesundheitlichen Risiken, negative allgemeine Gesundheitseinstellung, Furcht vor Medikamentenabhängigkeit, Verdrängungsmechanismen als Werkzeug der Krankheitsbewältigung oder ein hoher Pegel an Vorurteilen und Glaubenssätzen. Auch könnte die Non- Compliance mit Faktoren, die direkt oder indirekt auf die Therapie- oder Verhaltensempfehlung zurückzuführen sind, zusammenhängen: abschreckende Wirkung des Beipackzettels, Einschränkungen der Lebensqualität, lästige oder umständliche Therapieformen, Art und Umfang der Nebenwirkungen. Weitere Aspekte stellen Faktoren, die in der Instruktion selbst begründet sind dar: unverständliche, überladene oder unpräzise Instruktionen, Mehrfachinstruktionen und Instruktionen mit „erhobenem Zeigefinger“. Natürlich können auch Einflüsse, die in der Art der Erkrankung selbst begründet sind, entscheidend sein: „Image“ der Krankheit, Ausmaß des Leidensdrucks und objektiver Schweregrad der Erkrankung.

Verbesserung des Status quo

Die Interventionsmöglichkeiten zur Verbesserung der Compliance und Adhärenz in der täglichen Praxis sowie innerhalb von klinischen Studien zur Verbesserung des Therapieerfolgs im Sinne einer Senkung des Rezidivrisikos und einer Verbesserung der Heilungschancen sowie der Lebensqualität basieren grundsätzlich auf drei Säulen. Erstens Optimierung der Kommunikation in fachlicher wie auf emotionaler/psychischer Ebene zwischen ÄrztInnen und PatientInnen einerseits sowie den KrankenhausärztInnen und den niedergelassenen ÄrztInnen anderer seits. Hilfsmittel wie Patienteninformationsbroschüren können neben Patientenveranstaltungen und Fortbildungsveranstaltungen für ÄrztInnen dienlich sein. Die zweite Säule besteht aus Hilfsmitteln, welche regelmäßig an die Medikamenteneinnahme erinnern sollen, beispielsweise Patiententagebücher, Erinnerungsanrufe oder SMS durch Ärzte. Nicht zuletzt sollten drittens große klinische Studien zur Compliance/Adhärenz- Forschung (Ursachen, Interventionsmöglichkeiten etc.) durchgeführt werden, um zukünftig noch gezielter an diese Problematik herangehen zu können. Beispiele für derzeit noch laufende Untersuchungen sind das PACT-Programm (Patients Anastrozol Compliance to Therapy), in welchem seit dem Jahr 2006 ca. 4.600 postmenopausale Patientinnen mit adjuvanter endokriner Therapie in Bezug auf Ausmaß und Ursache der Non- Compliance untersucht werden, sowie die seit 2008 in 18 Ländern durchgeführte CARIATIDE-Studie (Compliance of Aromatase Inhibitors Assessment in daily practice through Educational approach), die klären sollte, welche Maßnahmen zur Verbesserung der Compliance geeignet sind.

 

FACT-BOX

  • Die orale endokrine Medikation wird von 25 % der Patientinnen im ersten Jahr nach der Operation eines Mammakarzinoms und von 50 % der Patientinnen nach 5 Jahren nicht wie vorgeschrieben eingenommen.
  • Diese Problematik besteht auch innerhalb von klinischen Studien.
  • Ursachen dafür – sind körperliche wie kognitive Defizite des Patienten
    – liegen in der Person oder im Verhalten des Arztes und/oder des Patienten
    – sind direkt oder indirekt in der Therapie- oder Verhaltensempfehlung
    – bzw. in der Instruktion selbst begründet
  • Interventionsmöglichkeiten:
    – Verbesserung der Kommunikation (fachlich, emotional)
    – Erinnerungshilfen
    – klinische Studien wie PACT od. CARIATIDE