AYA-Onkologie: Was macht diese Altersgruppe so besonders, was braucht sie?

AYA – eine Begriffsbestimmung

In der Medizin umfasst der Begriff „Jugendliche und junge Erwachsene“ (adolescent and young adult = AYA) die Altersgruppe zwischen 15 und 39 Jahren1. Dass es mittlerweile ein Bewusstsein für die ganz speziellen medizinischen Bedürfnisse dieser Patientengruppe gibt, beweist die Tatsache, dass sich die Anzahl der entsprechenden Publikationen von drei im Jahre 1998 über 45 im Jahre 2008 auf 284 im Jahre 2018 erhöht hat (Medline, 18. 10. 2019). Die Erkrankungen von AYA-Patienten decken ein breites Spektrum an Krebserkrankungen ab – entweder solche, die dem pädiatrischen Krebs sehr ähnlich sind (wie akute lymphoblastische Leukämie [ALL], Sarkome sowie Hirntumoren), oder Krebsarten des Erwachsenenalters (wie Brustkrebs oder Melanom) oder aber onkologische Erkrankungen, die für die jeweilige Altersgruppe einzigartig sind (Hoden- oder Knochenkrebs)1. Darüber hinaus liegt der Höhepunkt der Inzidenz gewisser Krebsarten wie Hodgkin Lymphom oder Keimzelltumoren ebenfalls im AYA-Zeitraum2. In dieser Ausgabe von SPECTRUM Onkologie wird in zwei Beiträgen von Kager und Brodowicz einerseits sowie Engstler, Benkö und Aust andererseits auf solche insbesondere bei AYA häufige Diagnosen im Detail eingegangen.

Krebsinzidenz und Prognose

Mit ca. 66.000 Fällen pro Jahr in Europa tritt Krebs bei AYA-Patienten viermal so häufig wie in der pädiatrischen Altersgruppe auf2. Im Vergleich zu Betroffenen jüngeren Alters haben AYA-Patienten jedoch eine schlechtere Prognose, was einige Krebsuntergruppen betrifft2–4. Dies hat sowohl mit zellbiologischen und Wirtsfaktoren zu tun als auch mit Aspekten der Behandlung (inklusive fehlender Teilnahme an klinischen Studien und fehlender Spezialkenntnisse seitens der behandelnden Onkologen bezüglich besonderer Aspekte des Krankheitsmanagements, was der Seltenheit des Auftretens mancher Krebsarten geschuldet ist1, 3–6). Andererseits sind die klinischen Ergebnisse im direkten Vergleich zwischen pädiatrischen Behandlungsprotokollen und jenen der Erwachsenenmedizin bei manchen Diagnosegruppen (wie z. B. ALL) different, wobei bessere Ergebnisse bei den pädiatrisch geführten Behandlungsstrategien gezeigt wurden7. Dies mag nicht zuletzt daran gelegen sein, dass in der Pädiatrie AYAs als Hochrisikopatienten bezüglich Morbidität und Mortalität behandelt werden4, während sie in der Erwachsenenmedizin jene Patientengruppe mit den üblicherweise geringsten zusätzlichen Problemen darstellen.

Bedarf spezieller AYA-Versorgungsprogramme

All diese Aspekte ergeben sich somit durch die traditionelle Trennung der medizinischen Zuständigkeit in Kinder- und Jugendheilkunde auf der einen Seite und Erwachsenenmedizin auf der anderen Seite. Eine adäquate AYA-Krebsbehandlung würde daher vermehrt verbindende Schnittstellen dieser beiden Bereiche benötigen2. Eine solche Verbindung wurde bereits im Rahmen spezieller AYA-Versorgungsprogramme in den USA sowie in manchen europäischen Ländern realisiert, allerdings nicht überall8. In diesem Zusammenhang liegen bereits jetzt Daten vor, die darlegen, auf welche Art und Weise Behandlungen, die entweder von pädiatrischen Therapiestrategien oder von Erwachsenenmedizin be einflusst werden, den Verlauf mancher AYA-Krebsarten verbessern können2, 7.
In der klinischen Forschung gehen aktuelle internationale Bemühungen daher dahin, dass es hinkünftig möglich sein sollte, klinische Studien für die gesamte AYA-Patientengruppe durchzuführen, ohne eine scharfe Trennung anhand des 18. Geburtstags vorzunehmen (sog. FAIR-Initiative = foster age-inclusive research9). Durch die US-Gesundheitsbehörde FDA wurde im März 2019 eine dahingehende Leitlinie für die Pharmaindustrie veröffentlicht. Auch die Europäische Gesundheitsbehörde EMA verfasste im April 2019 ein Statement, welches bestätigte, dass bei der Entwicklung neuer Medikamente seitens der EMA generell darauf gedrängt wird, frühzeitig Studien auch bei Adoleszenten durchzuführen, und zwar entweder durch ihre Inklusion in Erwachsenenstudien oder eine parallele Studiendurchführung, wann immer dies wissenschaftlich gerechtfertigt erscheint – und somit nicht, wie sonst bei pädiatrischen Studien üblich, zeitlich verzögert erst im Gefolge vorliegender Erwachsenendaten9. Der Zugang zu dieser Thematik seitens des European Forum for Good Clinical Practice (EFGCP) sieht überdies vor, dass es auch möglich sein sollte, junge Erwachsene als eine Erweiterungskohorte in primär pädiatrische, Adoleszenten-orientierte klinische Studien aufzunehmen, wenn dies dazu dient, den rascheren Zugang zu neuen Behandlungsmöglichkeiten für AYA-Patienten zu gewährleisten9. Ein diesbezügliches Umdenken sowie stärker zwischen pädiatrischen und Erwachsenen-Onkologen verzahnte, kooperative Strukturen erscheinen daher dringend erforderlich.

Spezielle Bedürfnisse, Herausforderungen

Ein weiterer Fixpunkt einer wirklich adäquaten AYA-Behandlung ist das Wissen über die speziellen Bedürfnisse und Herausforderungen in dieser Altersgruppe hinsichtlich psychologischer Unterstützung und entsprechende Angebote, die die allgemeine Lebensqualität während und nach der Krebsbehandlung ganz besonders beeinflussen. Die Art der Unterstützung und der Zusatzangebote, die nötig sind, unterscheidet sich jedoch erheblich von denen für pädiatrische oder ältere erwachsene Patienten. AYA-Patienten werden in einer Phase ihres Lebens mit Krebs konfrontiert, in der auch umwälzende biologische und psychosoziale Entwicklungen auftreten10. Wiederkehrende Themen während der Krebstherapie betreffen daher Autonomie und Unabhängigkeit, Gruppenzwang, soziale und sexuelle Reife, Beziehungen, Fortpflanzungsfähigkeit, Ausbildung und Beruf, Karriereplanung und finanzielle Belange10. Es kommt häufig vor, dass sich jüngere AYA-Patienten in der Übergangsphase von der Kinder- und Jugendheilkunde zur Erwachsenenmedizin weder der einen noch der anderen Behandlungseinrichtung zugehörig fühlen. Die neuerliche Abhängigkeit von den Eltern oder die Tatsache, – trotz Volljährigkeit – einfach noch zu jung für eine vollständig autonome Teilnahme am Erwachsenenleben in einer Krisensituation zu sein, erzeugen zusätzlichen emotionalen Druck3. AYA-Patienten sind daher besonders anfällig für Stressreaktionen, Depression und Angstzustände im Zusammenhang mit ihrer Krebsbehandlung3, 10.

Adäquate Nachsorge

Während diese psychologischen Faktoren das Selbstbild und die emotionale Gesundheit von Betroffenen lebenslang beeinträchtigen können, haben Überlebende aber unter Umständen auch mit körperlichen Nachteilen und Spätfolgen der Behandlung zu kämpfen3. Es hat sich gezeigt, dass sich AYA-Patienten daher eher mehr als weniger Informationen besonders bezüglich Fortpflanzungsfähigkeit, sexueller Funktion, sozialer Netzwerke von „Survivors“ und bezüglich der Weiterführung bzw. Re-Evaluierung von Ausbildungs- und Berufszielen wünschen11. Mit anderen Worten, die adäquate Nachsorge von AYA-Patienten ist ein Bereich, in dem spezielle Schnittstellen zwischen Kinder- und Jugendheilkunde und Erwachsenenmedizin ganz besonders nötig sind.

In dieser Ausgabe von SPECTRUM Onkologie zeigen Schneider und Mitautoren auf, worauf es im Transitionsprozess nach Krebs im Kindesalter für Survivors ankommt, und Bardi berichtet in ihrem Artikel bezüglich der international akkordierten Leitlinien für eine lebenslange, begleitende Nachsorge von ehemaligen Kinderkrebspatienten, die das Erwachsenenalter erreicht haben. Zumeist betrifft dies eben die Versorgung von Überlebenden im Alter von AYA. Die Ziele sind ähnlich bei Kindern und auch AYA-Patienten: Als Gesundheitsdienstleister müssen wir – z. B. im Kontext von Fortpflanzungsfähigkeit und ihrer Erhaltung – auf diese speziellen Bedürfnisse bei Survivors nach Krebs im Kindesalter und auch den AYA-Patienten eingehen: Denn sie haben noch viel Zukunft vor sich, und es ist nicht zu spät12.

 

1 Sender L, Zabokrtsky KB. Adolescent and young adult patients with cancer: a milieu of unique features. Nat Rev Clin Oncol 2015; 12: 465-480

2 Desandes E, Stark DP. Epidemiology of Adolescents and Young Adults with Cancer in Europe. Prog Tumor Res 2016; 43: 1-15

3 Place AE, Frederick NN, Sallan SE. Therapeutic approaches to haematological malignancies in adolescents and young adults. Br J Haematol 2014; 164 (1): 3-14

4 Testi AM et al. Outcome of adolescent patients with acute lymphoblastic leukaemia aged 10–14 years as compared with those aged 15–17 years: Long-term results of 1094 patients of the AIEOP-BFM ALL 2000 study. Europ J Cancer 2019; 122: 1-11

5 Davis LE et al. Clinical trial enrollment of adolescents and young adults with sarcoma. Cancer 2017; 123 (18): 3434-3440

6 Rotz SJ et al. Challenges in the Treatment of Sarcomas of Adolescents and Young Adults. J Adolesc Young Adult Oncol 2017; 6 (3): 406-413

7 Ampatzidou M et al. Adolescents and young adults (AYAS) with acute lymphoblastic leukemia (ALL) and acute myeloid leukemia (AML): Characteristics and treatment outcome. Memo 2018; 1: 47-53

8 Ferrari A, Barr RD. International evolution in AYA oncology: Current status and future expectations. Pediatr Blood Cancer 2017; 64 (9): e26528

9 https://www.accelerate-platform.org/fair-trials/

10 Lang MJ, David V, Giese-Davis J. The Age Conundrum: A Scoping Review of Younger Age or Adolescent and Young Adult as a Risk Factor for Clinical Distress, Depression, or Anxiety in Cancer. J Adolesc Young Adult Oncol 2015; 4 (4): 157-173

11 Barnett M et al. Psychosocial outcomes and interventions among cancer survivors diagnosed during adolescence and young adulthood: a systematic review. J Cancer Surviv 2016; 10 (5): 814-831

12 Murphy D et al. Why Healthcare Providers Should Focus on the Fertility of AYA Cancer Survivors: It’s Not Too Late! Front Oncol 2013; 3: 248