Bewegung und Sport in der onkologischen Rehabilitation

Noch knapp vor der Jahrtausendwende fanden sich in den medizinischen Lehrbüchern Empfehlungen, dass Krebserkrankte sich möglichst schonen sollen und jegliche Art der körperlichen Anstrengung zu vermeiden haben. Die ersten Arbeiten über positive Effekte von Ausdauertraining für Krebsüberlebende wurden 1983 von Maryl Winningham in ihrer Dissertation veröffentlicht. Zahlreiche Arbeitsgruppen konnten seitdem die unterschiedlichsten positiven Effekte von Bewegungstherapie für Krebspatienten nachweisen. Standardmäßig werden heute 150 Minuten moderates oder 75 Minuten intensives Ausdauertraining und 2–3 Einheiten Krafttraining pro Woche sowie Gleichgewichtsübungen an Trainingstagen empfohlen, allerdings ist dies nur eine grobe Richtschnur und muss individuell adaptiert werden. Evidenz besteht für eine Verbesserung von Fatigue, Schmerz, Lymphödem, Muskelkraft, aerobe Kapazität, psychosozialem Disstress, Depression, Angst, Lebensqualität, krebsspezifischer Mortalität und allgemeinem Überleben. Bewegung und Sport sind integraler Bestandteil im Kontinuum der Versorgung bei Tumorerkrankungen, beginnend in der Prähabilitation, bei und nach neoadjuvanten und adjuvanten Therapien, bei Langzeitüberlebenden und im palliativen Setting.

Bedauerlicherweise sind laut zahlreichen nationalen Untersuchungen noch immer mehr als die Hälfte der Patienten inaktiv; in Norwegen machen 47 % der Krebsüberlebenden regelmäßig Bewegung, in Kanada nur 27 %. Dies variiert auch je nach Tumorentität von 51 % nach Melanom, 24 % nach Zervixkarzinomen bis 8 % nach HNO-Tumoren.

Bewegung und Sport im Versorgungskontinuum

In der Prähabilitation, also der Phase zwischen Diagnose und Therapiebeginn, können mit Hilfe physischer und psychischer Assessments bestehende Einschränkungen der Funktionalität und Risikofaktoren für das Auftreten posttherapeutischer Komplikationen erhoben werden. Ein individuelles Trainingsprogramm soll helfen, den Ausgangswert der körperlichen Leistungsfähigkeit und die Funktionalität rascher wieder zu erlangen. Derzeit sind 57 % aller Patienten mit Dickdarmkarzinom auch 6 Monate postoperativ schwächer und 24 % können ihren Aktivitäten des täglichen Lebens nicht mehr im selben Ausmaß nachgehen.

Im neoadjuvanten Setting konnten im Rahmen eines 12-wöchigen überwachten Ausdauertrainings bei Patientinnen mit Mammakarzinom in den Stadien IIB–IIIC signifikante Verbesserungen in der Leistungsfähigkeit, der Lebensqualität und der Fatigue erzielt werden bei einer gleichzeitig größeren Anzahl von Patientinnen, die die Chemotherapien im vorgeschriebenen Umfang erhalten konnten. Ähnliches fand sich auch bei 6-wöchigem Trainingsprogramm bei Dickdarmkarzinom. Der Erhalt der Muskelmasse im Rahmen neoadjuvanter Therapien hat direkten Einfluss auf die Therapietoleranz und das Überleben, z. B. beim Ovarialkarzinom.

Bei adjuvanter Tumortherapie kann in Form von moderatem Ausdauer- und Krafttraining das Auftreten von therapietypischen Nebenwirkungen reduziert werden, u. a. kommt es seltener zum Auftreten behandlungswürdiger Anämien. Die Rate der abgebrochenen oder reduzierten Chemotherapien reduziert sich v. a. bei Mamma- und Kolonkarzinomen. Gelenksbeschwerden und Osteoporose finden sich seltener unter Langzeit-Antihormontherapie bei Brust- und Prostatakrebs, die sexuelle Aktivität und Zufriedenheit erhöhen sich.

Die meisten Studien liegen für die posttherapeutische Phase und für Langzeitüberlebende vor. Nach Brust-, Prostata- und Kolonkarzinomen reduziert sich die tumorspezifische Mortalität um bis zu 37 % bei konsequentem Training, die Rezidivrate sinkt um bis zu 41 %. Verschiedenste Formen der Bewegung, beispielsweise Unterwassertherapie und Yoga, reduzieren die Flush-Symptomatik unter Antihormonen, chronische Fatigue, Obstipation oder Schmerzen, erhöhen die Gedächtnisleistung und die Knochendichte.

Übungsprogramme sind mittlerweile auch fixer Bestandteil der Palliative Care. Besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der individuellen Anpassung der Einheiten an die eventuell täglich wechselnden Bedürfnisse und Fähigkeiten der Patienten, aber auch in gruppenbasierten Programmen wird die Lebensqualität gesteigert, die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit erhalten und Angst, Schlafstörungen und Schmerzen reduziert.

Wie kann das Verhalten geändert werden?

Auch wenn positive Effekte gut belegt sind, stellt sich das Problem der Therapieadhärenz bei Krebsüberlebenden. Interventionen, die am nachhaltigsten Einfluss auf das Bewegungsverhalten genommen haben, haben folgende Charakteristika gemein:

  1. eine Zielvereinbarung, die gemeinsam zwischen Teilnehmenden und Therapierenden erarbeitet wird;
  2. die Aufforderung, die Trainingseinheiten teils ambulant, aber v. a. auch im gewohnten häuslichen Umfeld durchzuführen;
  3. Selbst-Monitoring wie z. B. Schrittzähler oder Führen eines Bewegungstagebuchs;
  4. anfangs zahlreiche Aufforderungen und Erinnerungen durch E-Mails, SMS oder Telefonate.

Vielversprechend erscheinen web-basierte Trainingsprogramme und Trainingsgruppen in den neuen sozialen Medien, große prospektive Studien zu diesem Thema sind gerade im Laufen. Multikomponentenprogramme wie Better Exercise Adherence after Treatment for Cancer (BEAT Cancer) mit sechs Einheiten Schulung, acht Wochen betreutem Training und anschließendem selbständigem Training daheim nach Brustkrebs wurden von Patientinnen, die einen Schrittzähler zur Verfügung gestellt bekamen, 6 und 12 Monate nach Programmbeginn häufiger im empfohlenen Ausmaß fortgeführt. Anfänglich beklagte Beschwerden wie Fatigue, Lymphödem und eingeschränkte Teilhabe besserten sich in dieser Gruppe signifikant.

Wesentlich für den Langzeiterfolg der Bewegungsprogramme sind eine exakte Erhebung der möglichen Hindernisse und die Schulung zum Selbst-Management dieser Barrieren sowie die Verhaltensverstärkung durch eine angepasste Zielsetzung im Hinblick auf Messbarkeit, Erreichbarkeit, Alltagstauglichkeit und Relevanz sowie motivationsfördernde Maßnahmen bei Zielerreichung. Begleitung durch fachkundiges Personal ist bei allen Arten von Sport und Bewegung nach Krebserkrankungen erforderlich, selbständiges, unüberwachtes Training empfiehlt sich nur für ausgewählte Patienten. Die Sorgen, die onkologisch tätige Kollegen in Hinblick auf körperliche Belastungen ihrer Patienten äußern, sind nicht unbegründet. Nur bei 21–38 % nach Kolonkarzinom und 32–39 % nach HNO-Tumoren ist eigenständiges Training gefahrlos möglich, dies v. a. durch vorbestehende Komorbiditäten. Die größten Hindernisse für die Bewegungstherapien in einem gemischten Kollektiv von Tumorerkrankten sind Übelkeit, Gelenksteifigkeit (nach Bestrahlung oder Operation), Fatigue, Stoma oder Gefahr einer Hernienbildung, periphere Polyneuropathie, kardiale und pulmonale Ursachen (nach Chemotherapie) und Schmerz.

Praktische Hinweise

Bestuntersucht sind die positiven Auswirkungen des raschen Gehens oder Nordic Walking im Rahmen des Ausdauertrainings bei unterschiedlichsten Tumorentitäten. Es finden sich auch immer bessere Daten zum Thema Krafttraining bei Lymphödem. Ein 12-monatiges Programm, bei dem der Widerstand langsam gesteigert wird, verbessert bei Brustkrebspatientinnen die Körperkomposition im Sinne einer Fettreduktion und Zunahme der Muskelmasse; bestehende Lymphödeme werden reduziert, wenn während des Trainings ein Stützstrumpf getragen wird, und neue Lymphödeme treten deutlich seltener auf; die Therapie bei Ödemen der unteren Extremitäten ist derzeit noch nicht ausreichend untersucht.

Sehr interessant ist ein neuer Ansatz, der Trainingskonzepte der National Aeronautics and Space Administration (NASA) für onkologische Patienten adaptiert. Raumfahrt und Onkologie haben einige gemeinsame Problemfelder. Kardiale Nebenwirkungen, Abnahme der Knochendichte, Anämie, Leukopenie, Gedächtnisstörungen, Muskelabbau und gastrointestinale Beschwerden finden sich auch bei Astronauten, so nimmt z. B. die kardiorespiratorische Fitness bei einem Raumflug innerhalb von 4 Tagen um bis zu 25 % ab. Dieser Leistungsverlust tritt auch auf, wenn bereits ein Jahr vor dem Start mit Training begonnen wird; einzig ein konsequentes, wenn auch eher kurzes Training während des Raumflugs und dessen Fortführung nach der Rückkehr für 3–6 Monate minimiert die Nebenwirkungen. Trainiert wird in der Raumkapsel mit Ergometer und Kraftgeräten, die keine Oszillationen an die Kapsel weiterleiten. Das Konzept wird für onkologische Patienten adaptiert. Beginn 4–6 Wochen vor der Therapie, Ende 8–12 Monate nach der Therapie, 3–5 x pro Woche, 20–60 Minuten, mit 55–75 % der maximalen Leistungsfähigkeit, die alle 2–8 Wochen mittels Fahrradergometer oder, falls nicht möglich, mit einem 6-Minuten-Gehtest erhoben wird – während der laufenden Therapie engmaschiger als danach. Ziel ist es, die kardiorespiratorische Funktion auf mindestens 80 % des Ausgangswertes zu halten. Dieses Konzept lässt sich im klinischen Alltag nicht realisieren, da es zu ressourcenintensiv ist. Es zeigt jedoch, dass es einer kontinuierlichen Betreuung und Anpassung der Belastung im gesamten Verlauf der onkologischen Versorgung bedarf, um optimale Resultate zu erzielen.

Schlussfolgerung

Bewegung und Sport sind integraler Bestandteil der onkologischen Rehabilitation. Strukturierte Therapiekonzepte haben zahlreiche positive Auswirkungen auf die Wiederherstellung der biopsychosozialen Integrität nach einer Krebserkrankung. Empfehlungen zum Ausdauer-, Kraft- und Gleichgewichtstraining haben ihren fixen Platz in den Leitlinien des Versorgungskontinuums. Die Anpassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse an den Alltag von Patienten erleichtert die Therapietreue und somit die Wirksamkeit der Maßnahmen. Voraussetzung ist eine professionelle, interdisziplinäre Zusammenarbeit von rehabilitativem Fachpersonal und Betroffenen.