Im Jahr 2008 wurde bei 12,7 Millionen Personen Krebs diagnostiziert und 7,6 Millionen sind im selben Zeitraum an Krebs verstorben (GLOBODAN). Ein beträchtlicher Teil der Erkrankungsfälle hätte durch entsprechende Präventionsmaßnahmen vermieden werden können. Prinzipiell stehen mehrere in Tabelle 1 dargestellte Möglichkeiten zur Prävention von Krebserkrankungen zur Verfügung.
Der Begriff Chemoprävention wurde bereits 1976 von Sporn geprägt. Heute wird damit der Einsatz von Medikamenten, Biologika und Nahrungsstoffen gemeint, die in der Lage sind, die maligne Transformation zu verhindern, zu verzögern oder sogar die Initialschritte rückgängig zu machen. Die gegenwärtig verfügbaren Chemopräventiva lassen sich in drei Gruppen einteilen: 1. antihormonelle Substanzen wie Tamoxifen, Raloxifen, Exemestan, Finasterid und Dutasterid, 2. antiinflammatorische Substanzen und 3. eine Gruppe, die weder der 1. noch der 2. Kategorie zuzurechnen ist: Dazu zählen Substanzen wie Selen, Curcumin, Statine, Faserstoffe und Metformin, die geringe oder fragliche Wirkung aufweisen. Würden heute die Möglichkeiten der Chemoprävention voll ausgeschöpft werden, so ließen sich Schätzungen zufolge etwa eine Million Tumorerkrankungen vermeiden.
Brustkrebs ist der häufigste Tumor bei Frauen. Im Jahr 2008 erkrankten weltweit 1.384.000 Frauen, 458.000 sind daran verstorben. In Europa wurde im selben Jahr eine Inzidenz von 332.000 und eine Mortalität von 89.000 festgestellt. Somit steht die Erkrankung im Brennpunkt der medizinischen Forschung, was auch Bemühungen, die Entstehung der Erkrankung von vornherein zu verhindern, mit einschließt. Dementsprechend wurden die bisher umfangreichsten Chemopräventionsstudien bei Frauen durchgeführt. In den meisten Studien wurden Frauen als Risikopersonen eingestuft, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllten: frühe Menarche und späte Menopause, Nullipara bzw. Geburt nach dem 30 Lebensjahr, Strahlenexposition, Karzinome in der Familie, große Körpergröße, Aschkenasi-Juden, Hormonersatztherapie und frühere Brustbiopsie. Zu den Frauen mit hohem Risiko zählen Personen mit atypischer duktaler oder lobulärer Hyperplasie, BRCA1- oder BRCA2-Genmutation und familiärer Brustkrebsanamnese.
Bisher wurden insgesamt 4 große Chemopräventionsstudien mit Tamoxifen durchgeführt, wobei eine Metaanalyse dieser Untersuchungen eine Reduktion der Inzidenz von invasiven Mammakarzinomen um 38 % auswies. Die Risikoreduktion betraf ausschließlich hormonrezeptorpositive Tumoren. Ein Überlebensvorteil ließ sich allerdings selbst nach langer Nachbeobachtung (bis zu 11 Jahre) nicht nachweisen. Als relevante Nebenwirkungen wurden eine Erhöhung des Thromboserisikos und des Risikos für ein Endometriumkarzinom um das 2,5-Fache beobachtet.
Mit Raloxifen wurden ähnliche Resultate beobachtet, wobei die Risikoreduktion für ein invasives Mammakarzinom in den betreffenden Studien 72 %, 66 % und 42 % betrug. Auch hier betraf der Vorteil ausschließlich östrogenrezeptorpositive Patientinnen. Ein Überlebensvorteil konnte nicht festgestellt werden. Im Gegensatz zu Tamoxifen führte Raloxifen zu keiner Erhöhung sekundärer Endometriumkarzinome, das Risiko für thromboembolische Komplikationen war aber mit der in den Tamoxifenstudien beobachteten Risikoerhöhung um den Faktor 2,5 vergleichbar.
Vor Kurzem wurden die Ergebnisse mit dem Aromataseinhibitor Exemestan vorgestellt. Bei 4.560 Frauen, die entweder 25 mg Exemestan oder ein Placebo täglich erhielten, konnte mit der Chemoprävention eine Risikoreduktion von 65 % erreicht werden. Dies galt für östrogen- und/oder progesteronrezeptorpositive Patienten, unabhängig von ihrem HER2neu-Status. Die Prophylaxe wurde ohne relevante Nebenwirkungen toleriert. Insbesondere wurde nach dreijähriger Nachbeobachtung keine erhöhte Rate an Frakturen, Osteoporose oder kardiovaskulären Ereignissen beobachtet. Mittlerweile wird auch der Effekt eines weiteren Aromataseinhibitors, nämlich von Anastrozol, in einem ähnlichen Studienansatz geprüft; konkrete Daten liegen allerdings noch nicht vor.
Kolorektalkarzinome (CRC) stehen an dritter Stelle der häufigen Krebserkrankungen bei Frauen und Männern. Im Jahr 2012 ist global mit mehr als einer Million Erkrankungsfällen und in Europa mit 230.000 Neuerkrankungen und 120.000 Todesfällen aufgrund eines CRC zu rechnen. Diese Krebserkrankung eignet sich für Chemopräventionsmaßnahmen, da bis zur Manifestation eines CRC ein mehrstufiger, über Jahre andauernder Transformationsprozess durchlaufen wird und somit genügend Ansatzpunkte und Zeit für Präventionsmaßnahmen zur Verfügung stehen. Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit von nichtsteroidalen Entzündungshemmern (NSAID), welche die Bildung von Prostaglandin über eine Hemmung von COX-2 (welches häufig in Kolorektaltumoren überexprimiert ist) reduzieren. Aspirin und andere NSAID führen bei der Allgemeinbevölkerung zu einer signifikanten Reduktion der CRC-bedingten Mortalität sowie zur Senkung der Gesamtsterberate. In den meisten Studien wurde bereits nach 5-jähriger Einnahmedauer ein signifikanter Effekt beobachtet. Über die minimal effektive Dosis von Aspirin liegen keine klaren Empfehlungen vor, allerdings konnte in verschiedenen Studien bereits mit Dosen von 75–100 mg ein günstiger Effekt beobachtet werden. In einer rezenten Untersuchung wurde Aspirin in höherer Dosis (600 mg täglich) bei Personen mit hereditärem nichtpolypösem CRC (HNPCC, Lynch-Syndrom) mit Placebo verglichen. Nach längerer Nachbeobachtung wurde eine deutliche Reduktion der CRC-Inzidenz durch die Aspirinprophylaxe beobachtet. Auch bei anderen Formen hereditärer CRC (familiäre adenomatöse Polyposis, FAP) ist mit einer signifikant protektiven Wirkung von NSAID zu rechnen. Nachdem Aspirin bei einer beträchtlichen Zahl von Patienten zu gastrointestinalen Nebenwirkungen führt, wurden spezifische COX-2-Hemmer in Chemopräventionsstudien eingesetzt. Diese führten zu der erwarteten Reduktion der Inzidenz von CRC, leider nach langer Nachbeobachtung auch zu kardiovaskulären Nebenwirkungen, die letztlich den frühzeitigen Abbruch von 2 Studien erzwangen. Celecoxib ist der einzige COX2-Hemmer dieser Substanzklasse, der in den USA für die Chemoprävention bei Patienten mit FAP empfohlen wird.
Das Prostatakarzinom ist der häufigste Tumor beim Mann. Weltweit werden etwa 900.000 Patienten jährlich mit Prostatakarzinom diagnostiziert, davon 323.000 in Europa, wovon 71.000 an der Erkrankung versterben. Für eine Chemoprävention des Prostatakarzinoms bestehen ähnlich günstige Voraussetzungen wie für das CRC oder Mammakarzinom. Bisher liegen allerdings nur Studien mit zwei verschiedenen 5-α-Reduktase-Inhibitoren, nämlich Finasterid und Dutasterid vor. Beide Studien ergaben eine signifikante Reduktion der Inzidenz an Prostatakarzinom. In der Finasteridstudie wurde das Medikament in einer Dosis von 5 mg über 7 Jahre Männern mit einem PSA-Wert von < 3 ng/ml verordnet und damit eine Risikoreduktion von 26 % erreicht (Abb. 2), während Dutasterid über 4 Jahre verordnet wurde. Die erzielte Risikoreduktion lag bei 23 %. Allerdings wurde in beiden Studienpopulationen eine absolut geringfügige, aber statisch signifikante Erhöhung der Inzidenz von undifferenzierten Prostatakarzinomen (Gleason-Score-Grad 8 und 10) beobachtet (1,8 % vs. 1,1 % in der Finasteridstudie), was letztlich zu einer Ablehnung der angestrebten Registrierung beider Medikamente für die Indikation Chemoprävention beim Prostatakarzinom geführt hat. Somit steht derzeit keine zugelassene antihormonelle Präventionstherapie beim Prostatakarzinom zur Verfügung.
Aspirin und andere NSAID haben auch beim Prostatakarzinom präventive Wirkung, die einer jüngsten Metaanalyse zufolge eine Risikoreduktion von 27 % nach sich zieht. Informationen über eine präferenzielle Wirkung bei Patienten mit unterschiedlichem Differenzierungsgrad liegen nicht vor.
Aspirin führt auch beim Ösophaguskarzinom und mit großer Wahrscheinlichkeit auch beim Magenkarzinom zu einer signifikanten Senkung der Inzidenzrate, wie einer rezenten Übersicht (Cuzick et al., Lancet Oncology 2012) zu entnehmen ist. Beim Magenkarzinom ist, wie bei vielen anderen Tumoren auch, eine chronisch persistierende Infektion für die Begünstigung der malignen Transformation verantwortlich. Dementsprechend sollte die Eradikation von Helicobacter-Infektionen auch das Risiko für die Entstehung eines Magenkarzinoms reduzieren. Seit Langem bekannt ist die Rückbildungstendenz von frühen MALT-Lymphomen des Magens nach erfolgreicher antibakterieller Therapie.
Antihormonelle Chemoprävention ist heute eine valide Option bei Frauen mit erhöhtem Risiko für ein Mammakarzinom. Tamoxifen und Raloxifen sind für diese Indikation in den USA zugelassen. Beim Prostatakarzinom ist mit antihormoneller Chemoprophylaxe eine Risikoreduktion von etwa 25 % möglich. Nachdem die Chemoprophylaxe auch mit einer geringfügigen, wenn auch signifikanten Erhöhung der Inzidenz von undifferenzierten Prostatakarzinomen verbunden ist, kann derzeit keine Empfehlung für eine Chemoprävention mit 5-α-Reduktase-Inhibitoren abgegeben werden. Aspirin und andere NSAID führen zu einer signifikanten Risikoreduktion von Kolorektalkarzinomen, Prostata-, Ösophagus- und wahrscheinlich auch Magenkarzinomen. Somit ist die tägliche Einnahme von Aspirin bei Personen ab dem 50 Lebensjahr, die diese Therapie gut tolerieren, ernsthaft zu erwägen.