Dass das SCLC in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich eine Domäne der internen Onkologie war, ist vor allem einer alten Lancet-Studie von Fox aus dem Jahre 1973 zuzuschreiben1. Neben der sonst üblichen Stadieneinteilung nach TNM wie beim NSCLC war bei medizinischen Onkologen lange Zeit eine vereinfachte Einteilung in limitierte Erkrankung und fortgeschrittene Erkrankung gebräuchlich („limited disease“ [LD] und „extensive disease“ [ED]). LD umfasst Tumorstadien egal welcher Größe bis hin zum N3-Befall, weswegen retrospektive Analysen mit äußerster Vorsicht zu bewerten sind. Diese Kritik an einer wenig differenzierten Stadieneinteilung gilt auch für die oft zitierte Fox-Studie.
Eine von der Lung Cancer Study Group 1994 von Lad in Chest veröffentlichte Studie wird ebenfalls immer wieder zum Beweis der geringen Wirksamkeit von chirurgischen Maßnahmen beim SCLC zitiert2. In dieser Analyse wurden Patienten mit einem regionalen Lymphknotenbefall (T3N1–2M0) nach 5 Zyklen neoadjuvanter Chemotherapie operiert und bestrahlt oder primär einer definitiven Radiotherapie unterzogen. Nachdem das 2-Jahres-Überleben in beiden Armen mit 20 % ident war, wurde keine weitere Rechtfertigung für ein chirurgisches Vorgehen beim SCLC gesehen. Somit galt seit Jahrzehnten fast uneingeschränkt das Dogma, dass das SCLC am Chirurgen vorbeigeschleust werden sollte. Bei einer kritischen Analyse dieser Studie müssen allerdings zwei Aspekte hervorgehoben werden. Erstens wurden alle Patienten, auch jene mit fehlender N2-Besiedelung, einer Bestrahlung unterzogen und somit einer möglichen negativen Beeinträchtigung ausgesetzt. Zweitens fand die Rekrutierung der Patienten dieser Studie noch vor der Ära der platinbasierten Chemotherapien statt, sodass heute von vollkommen anderen Voraussetzungen ausgegangen werden muss.
Eine Serie von Arbeiten aus der Innsbrucker Klinik hat in den frühen 1990er-Jahren zum Thema multimodale Therapie des SCLC Stellung bezogen3, 4. Die dabei erhobenen Befunde standen in klarem Widerspruch zur damals gängigen Literatur. In einer prospektiven, nichtrandomisierten Studie konnte mit der Kombination von Radiochemotherapie und chirurgischer Resektion ein 5-Jahres-Überleben von 57 % im Stadium I und 34 % im Stadium IIIa erzielt werden5. Patienten, die alle drei Modalitäten erhielten, erreichten sogar ein 5-Jahres-Überleben von 56 % unabhängig vom Tumorstadium. Die Autoren schlugen deshalb vor, ein chirurgisches Vorgehen in die Behandlung zumindest von Stadium I und II des Kleinzellers miteinzubeziehen.
SEER-Datenbank: Schreiber hat über 14.000 Patienten aus der SEER-Datenbank (Surveillance, Epidemiology, and End Results Program of the National Cancer Institute; Bethesda, Md, USA) analysiert, die zwischen 1988 und 2002 wegen eines SCLC behandelt worden waren6. Dabei wird klar, dass operativ behandelte Patienten im Stadium I mit 44,8 % ein hervorragendes Überleben aufwiesen. Sogar N(1–2)-positive Patienten zeigten ein 5-Jahres-Überleben von 26,3 %. Besonders gut war das Abschneiden jener Patienten, die lobektomiert worden waren (52,3 % im Stadium I). Weiters wurde festgestellt, dass N1-Stadien besser abschneiden, wenn sie operiert wurden, als N2-Stadien. Eine zusätzliche postoperative Strahlentherapie war in Bezug auf das Überleben von Vorteil. Der Nachteil dieser retrospektiven Analyse ist aber eindeutig, dass im SEER keine Aussagen über chemotherapeutische Modalitäten gemacht werden.
Rezente Untersuchungen aus demselben Register scheinen ebenfalls eine Lanze für die Chirurgie zu brechen. Weksler analysierte in einer kürzlich erschienenen retrospektiven Studie 3.566 SCLC-Patienten7. Hierbei fand sich bei operierten Patienten ein besseres Überleben als bei nicht operierten. Das mediane Überleben nach Lobektomie oder Pneumonektomie betrug 39 Monate vs. 16 Monate für nicht operierte Patienten. Selbst Patienten, die lediglich einer Wedge-Resektion unterzogen wurden, zeigten mit 28 Monaten bessere Überlebensraten.
Naturgemäß sind retrospektive Analysen großer multizentrisch generierter Datenbanken immer kritisch zu hinterfragen und Schlüsse daraus nur bedingt abzuleiten. Der positive Einfluss chirurgischer Maßnahmen auf das Gesamtüberleben wird aber auch durch eine Reihe neuerer Untersuchungen untermauert, im Rahmen derer chirurgische Resektionen mit modernen Chemotherapien erprobt wurden8–10. Dabei scheinen vor allem Stadium-I-Patienten mit neoadjuvanten Konzepten 5-Jahres-Überlebensraten zu erzielen, die denen des NSCLC fast gleichkommen. Einschränkend wird aber festgehalten, dass keine dieser Arbeiten einem Evidenzlevel I entspricht.
Aufgrund der Datenlage und der bisherigen Usancen ist es nicht möglich, ein chirurgisches Standardverfahren beim SCLC zu propagieren. Bei frühen Stadien (I und II) kann aber eine adjuvante Chemotherapie mit konsekutiver Ganzhirnbestrahlung vertreten werden. Wenn allerdings die histologische Diagnose eines SCLC schon präoperativ gesichert ist, soll einem neoadjuvanten Vorgehen dem primär operativen der Vorzug gegeben werden. Die Chirurgie scheint in diesen Stadien eine bessere lokale Kontrolle der Tumorerkrankung zu gewährleisten als die Bestrahlung, wobei moderne Verfahren wie die extrakranielle stereotaktische Bestrahlung im Besonderen für N-negative Patienten in Konkurrenz zur Resektion stehen. Für ein chirurgisches Vorgehen bei niedrigen Stadien spricht aber die Unsicherheit des klinischen Stagings in Bezug auf die N1-Situationen. Ob ein resektives Verfahren auch für IIIa-Patienten im Rahmen eines multimodalen Konzepts einen Vorteil bringt, muss erst durch weitere Studien beantwortet werden11.