Chronisch lymphatische Leukämie 


Die chronisch lymphatische Leukämie (CLL) zählt – für die Mehrheit der Patienten betrachtet – weiterhin zu den nicht heilbaren indolenten lymphatischen Neoplasien. Die Therapiestrategien sind hierbei einem ständigen Fluss unterworfen. In diesem Artikel soll der Schwerpunkt auf die aktuell neuen Aspekte in der CLL-Forschung gelegt werden und ein kurzer Ausblick in die mögliche Zukunft der CLL-Therapie gegeben werden.

Im Laufe der letzten Jahre hat sich bereits ein beträchtlicher Fortschritt erzielen lassen. Von der früher geübten reinen Symptom-Palliation, konnten in den 1990er-Jahren durch Fludarabin erstmals erkennbare, wenn auch kleine Raten an kompletten Remissionen mit ­konsekutiv verlängertem progressionsfreiem Überleben erreicht werden. In den 2000er-Jahren wurde durch Kombinationstherapien unter Einschluss von Rituximab ein verlängertes Gesamtüberleben ermöglicht, und es scheint sich unter FCR (Fludarabin, Zyklophosphamid, Rituximab) bei Patienten mit nicht mutiertem IgVH-Status, die eine CR erreicht haben, sogar ein Überlebensplateau abzuzeichnen, wie dies Daten aus der MD-Anderson-Kohorte zeigen.
Trotz steigender Effizienz der Therapien muss die Erkrankung allerdings in den meisten Fällen nicht sofort ab Diagnosestellung therapiert werden. Für alle Patienten ohne Vorliegen einer Therapieindikation wird weiterhin eine „Watch-and-wait“-Strategie verfolgt, ein beobachtendes Abwarten unter regelmäßigen klinischen als auch laborchemischen Kontrollen. Eine Therapieindikation ergibt sich bei Auftreten einer fassbaren klinischen Progression bzw. bei Vorliegen eines relevanten Problems, das durch die Erkrankung verursacht wird. Diese Kriterien wurden durch die National Cancer Institute Working Group 1996 klar definiert, das letzte Update dieser Therapie-Guidelines wurde 2008 in Blood namens des IWCLL (International Workshop on Chronic Lymphocytic Leukemia) publiziert.
Die Therapie wird optimalerweise als kombinierte Chemoimmuntherapie durch­geführt. Die Auswahl des optimalen Therapieregimes erfolgt hierbei vor allem nach Belastbarkeit und Komorbiditäten des Patienten.

Prognose, Risikofaktoren

Welche Aussagen können über die Prognose getroffen werden und sind Risikofaktoren im klinischen Setting für die Wahl der Therapiestrategie hilfreich? 

Hierbei sind aus der Literatur z. B. CD38 als auch der IgVH-Mutationsstatus zu nennen, die über die Zeit bis zur ersten Therapieindikation oder für das Überleben grobe Abschätzungen erlauben, die aber bislang nicht treffsicher genug für die Selektion von Patienten mit sofortiger Therapieindikation sind. Auch existieren noch keine Daten, die in der Folge eine Therapiestratifikation erlauben, sodass solche Parameter außerhalb akademischer Studiensettings eigentlich praktisch keinen Einfluss auf die Therapieplanung haben sollten. Klinisch schon eher bedeutungsvolle Risikofaktoren lassen sich aus der FISH-Zytogenetik ziehen, die klare Risikogruppen separieren kann. Hier gibt es Guidelines, die das Therapieschema nach der FISH-Zytogenetik stratifizieren. Dabei hat vor allem die Deletion 17 eine Bedeutung, die mit einem mittleren Überleben von knapp 36 Monaten die schlechteste Prognose aufweist. Einerseits wird für diese Patienten – je nach klinischer Möglichkeit – eine allogene Stammzelltransplantation im frühen Krankheitsverlauf favorisiert, andererseits ist die Auswahl einer Primärtherapie zur Remissionsinduktion weiter schwierig. Die möglicherweise aktuell interessantesten Ergebnisse hierzu gibt es für Kombinationen aus hoch dosierten Kortikoiden („high-dose“ Methylprednisolon oder Dexamethason) und Alemtuzumab, wobei solche Therapien auf Grund der hohen Infektionsmortalitäten erfahrenen Zentren vorbehalten sein sollten. Neue Risikofaktoren ergeben sich zuletzt aus den Befunden der genomischen Sequenzierung der CLL. Für die Gesamtgruppe der CLL-Patienten konnte durch eine gesteigerte Intensität der Chemoimmuntherapien in einem dafür belastbaren Patientenkollektiv eine Rate kompletter Remissionen bis zu 70 % erreicht werden. Hier schien zuletzt jedoch ein Plateau erreicht, das offensichtlich nicht durch eine weitere Steigerung der Chemotherapieintensität überwunden werden kann. Dafür sind nun genauere Kenntnisse der genetischen Determinanten nötig, die z. B. eine Fludarabin-Refraktärität bedingen. Aus groß angelegten Genomanalysen und Sequenzierungen fand zuletzt beispielsweise die italienische Gruppe um Davide Rossi Mutationen im Bereich mehrerer im CLL-Pathway wichtiger Proteine (u. a. SF3B1, Notch1 und BIRC3), die eine Vorhersage dieser Refraktärität erlauben und einen weiteren Einblick in die Krankheitsentstehung geben sowie in weiter Zukunft potenzielle Ziele neuer spezifischer Therapien darstellen könnten. Solche Marker könnten rasch Eingang in die Definition von Höchstrisikopatienten finden.
Bei jüngeren bzw. belastbaren Patienten gilt aktuell die Kombination der Medikamente Fludarabin, Zyklophosphamid und Rituximab (FCR) als Therapie der Wahl. Diese Kombination konnte im Vergleich zur Therapie mit Fludarabin und Zyklophosphamid (FC) alleine einen Vorteil im Gesamtüberleben zeigen. Bei nicht so fitten bzw. aufgrund von Komorbiditäten nicht ausreichend belastbaren Patienten konnte unter anderem durch eine retrospektive Analyse von Woyach et al. gezeigt werden, welch hohen Stellenwert Rituximab einnimmt. Gefunden wurde – in dieser speziellen Analyse bei Patienten älter als 70 Jahre –, dass hier nicht so sehr die Intensität der Chemotherapie die Prognose bestimmt, sondern die Hinzunahme des Antikörpers CD20-Antikörpers. Das Chemotherapie-Backbone zu Rituximab (z. B. Bendamustin, Fludarabin, Zyklophosphamid) kann dabei nach klinischer Möglichkeit bzw. Behandlerpräferenz gewählt werden.

Therapieziele

Welche Entwicklung gibt es bei der Definition von Therapiezielen? 

Im JCO wurden bereits 2005 von Moreton at al. Daten publiziert, die belegen, dass nicht so sehr das klinische Ansprechen, sondern viel mehr die Tiefe der Remission – gemessen mit der sensitiven Methode der Durchflusszytometrie – die Relapswahrscheinlichkeit und damit auch Prognose nach Therapie voraussagen kann. Hierbei ist eine MRD-positive klinische komplette Remission aus Sicht der Relapsrate in die gleiche Größenordnung wie eine MRD-positive klinische partielle Remission einzuordnen. Bei Vorliegen einer MRD-Negativität war das klinische Ansprechen von untergeordneter Bedeutung: Die Überlebenskurven decken sich, egal ob eine klinisch komplette oder „klinische partielle“ Remission vorliegt und separieren sich deutlich von jenen Patienten, die angesprochen haben, jedoch weiterhin MRD-positiv sind. Auch auf dem ASH 2009 bzw. im IJCO 2012 publizierte Daten aus der CLL-8-Studie zeigen, dass die Responsqualität – unabhängig von der Behandlungsmodalität – das krankheitsfreie Überleben und die Relapswahrscheinlichkeit vorhersagen kann. Hier wird sich möglicherweise in Zukunft das gewünschte optimal zu erreichende Therapieziel neu definieren lassen.


Konzept der „Mabtenance“-Studie mit Rituximab: Analog zu dem im Bereich des follikularen Lymphoms bereits etablierten, in der CLL-Therapie jedoch neuen Konzepts der Induktionstherapie ist aktuell die Erhaltungstherapie (Maintenance) in Evaluation. Hierbei gibt es konzeptionell zwei verschiedene Ansätze. Zum einen wird die Induktionsintensität entsprechend der Tolerabilität titriert und anschließend bereits eingeplant die Maintenance eingesetzt, um den Remissionsstatus zu vertiefen. Dies ist eine Strategie, von der viele Patienten profitieren könnten. Zum anderen wird die Strategie verfolgt, eine möglichst intensive Induktion für fitte Patienten durchzuführen, nur die Patienten mit dem geringsten Ansprechen oder der höchsten Relapsrate herauszunehmen und nur diese einer Maintenance zuzuführen. Eine solche Strategie bedient natürlich nur eine sehr selektionierte Population und wird aktuell von der deutschen Studiengruppe favorisiert. Von Salzburg aus wird aktuell das breitere, erste Konzept im Rahmen der internationalen, randomisierten Phase-III-Studie „Mabtenance“ der Arbeitsgemeinschaft medikamentöse Tumortherapie (AGMT CLL-8/A) mit Rituximab untersucht. Hierbei werden Patienten mit Ansprechen auf eine rituximabhältige Induktionstherapie in der ersten oder zweiten Linie (gefordert ist hierbei mindestens eine partielle Remission) in Erhaltungstherapie versus Observation randomisiert. Das Schema der Erhaltung hierbei ist die Gabe von Rituximab alle 3 Monate für 2 Jahre, was 8 Gaben entspricht (Abb.). Als primärer Endpunkt ist das progressionsfreie Überleben, als einer der sekundären Endpunkte unter anderem der Effekt von MRD-Tiefe und -Dynamik auf das klinische progressionsfreie Überleben und Gesamtüberleben definiert. In die Studie konnten mittlerweile schon über 140 Patienten eingeschlossen werden.
Auch Alemtuzumab wurde in der Vergangenheit als Maintenance-Substanz untersucht, hier ist aber die ideale Dosis und das Applikationsschema sicher noch nicht gefunden. Während es an kleinen Fallzahlen ein mögliches Signal für Wirksamkeit gab, war der Preis dafür durchwegs zu hoch: Das Versterben mehrerer Patienten in CR hat dieser Strategie zuletzt mehrheitliche Ablehnung verschafft. Die zuletzt durch die Firma ohne jede Not zurückgezogene Zulassung erschwert nun aber leider auch den Zugang für die Induktionstherapie im Relaps, vor allem bei CLL mit del17p, wo die Substanz einen klaren Stellenwert für eine Subgruppe von Patienten hatte.

 

 

REVLIRIT-Studie mit Lenalidomid: Eine weitere, sowohl für die Induktion als auch für die Maintenance-Strategie interessante Substanz, da oral einzunehmen, ist das immunmodulierende Lenalidomid. Hierbei ist die Rekrutierung der CLL-Studie 5 der AGMT, REVLIRIT, einer der in Salzburg angebotenen Studien, schon abgeschlossen. In der Studie wurde bei unvorbehandelten CLL-Patienten eine Induktionstherapie mit Fludarabin/Rituximab in Kombination mit aufsteigenden Dosen von Lenalidomid durchgeführt und eine Erhaltungstherapie mit Lenalidomid in Höhe der im Rahmen der Induktionstherapie als individuell maximal verträglichen Dosis definierten Menge angeschlossen. Während die Daten der Erhaltungsphase noch nicht reif sind, ist die Induktionsphase bereits am ASH 2011 präsentiert worden: Neben sehr guten Ansprechraten zeigte sich eine insgesamt gute Verträglichkeit der Kombination mit niedrigen Infektionsraten. Allerdings traten nichtdosisabhängige Haut- und Immuntoxizitäten bei etwa einem Drittel der Patienten auf, die dort, obwohl nicht schwerwiegend, dennoch dosislimitierend waren. Interessanterweise ließen sich diese Phänomene mit einem Parameter aus dem immunologischen Setup vor Therapiebeginn vorhersagen, sodass in Zukunft eine Patientenpopulation definiert werden könnte, die Lenalidomid ohne solche Probleme bekommen kann.

Neuer CD20-Antikörper Ofatumumab: Neuerungen ergaben sich zuletzt auch im Bereich der zugelassenen CD20-Antikörper. Mit Ofatumumab erhielt ab April 2010 ein vollständig humanisierter monoklonaler CD20-Antikörper die Zulassung. Er bindet selektiv an den „small loop“ des CD20-Moleküls und kann in einem Teil der Fälle auch Rituximabresistenzen überwinden. Die Zulassung liegt in Fällen von Refraktärität auf Fludarabin und Alemtuzumab und bei fludarabinrefraktärer Erkrankung mit Bulk, wo mit einem Ansprechen auf Alemtuzumab nicht zu rechnen ist, vor.

Neue Kinase-Inhibitoren: Die im letzten Jahr aber bei weitem spannendste Entwicklung war die Präsentation von Daten aus Phase-I-/-II-Studien mit Signaltransduktionsinhibitoren. Diese neuen Substanzen, wie z. B. PI3K-Inhibitoren oder Btk-Inhibitoren, die auf molekularer Ebene gezielt in die immer genauer bekannt werdenden Pathways der Erkrankungsgenese eingreifen, zeigten teilweise fast unglaubliche Ansprechraten für die nodale Erkrankungskomponente bei höchstgradig vorbehandelten Patienten. Teilweise ist die Schrumpfung der Lymphknoten dabei auf eine rasche Umverteilung der Tumorzellen ins periphere Blut zustande gekommen, wo das Ansprechen dann sehr langsam vor sich ging, die Zellen aber sehr angreifbar für andere Strategien werden. Erste Kombinationsdaten wurden auch schon präsentiert und sehen sehr beeindruckend aus. Bemerkenswert ist dabei, dass das Ansprechen bislang unerwartet dauerhaft war und – besonders wichtig – praktisch unabhängig vom Vorhandensein einer del17p erfolgte. Es ist zu erwarten, dass diese Substanzen in den nächsten Jahren eine Revolution in der Therapie der CLL auslösen werden.