Fall: 72 J, männlich, ehemaliger Raucher (25 py), ECOG 0, Vorerkrankungen: KHK mit Z. n. Myokardinfarkt (2014), 1-fach Stent, arterielle Hypertonie, Hypothyreose, Diabetes mellitus, Medis: ASS, Bisoprolol, Simvastatin, L-Thyroxin
Spezifische Vorgeschichte: 04/2018: Erstmalige Makrohämaturie 05/2018: Sonographie: Nierenbeckenkelchektasie III° rechts
Cystoskopie: unauffällig
Cytologie: suspekt für high grade Urothelkarzinom 06/2018: Ureterorenoskopie mit Bestätigung eines Urothelkarzinoms des distalen Harnleiters. Biopsie: high grade Urothelkarzinom.
CT-Thorax/Abdomen: Harnstauungsniere III° rechts bei V. a. distalen Harnleitertumor rechts mit iliacalen LK-Metastasen; kein Hinweis auf Organfiliae. Ansonsten unauffälliger thorako-/abdomineller Untersuchungsbefund. 07/2018: Nephroureterektomie mit ipsilateraler pelviner Lymphadenektomie rechts
Histologie: „Ein 5,5:3,5:2,5 cm messendes Fettgewebsstück, dasselbe aufgebaut aus einem Konglomerat von mehreren, bis zu 1,5 cm im größten Durchmesser haltenden Lymphknoten, diese auf der Schnittfläche grauweißlich, teilweise körnig, teilweise auch fokal nekrotisch“
Abschließende Beurteilung: Urothelkarzinom des distalen Harnleiters rechts
TNM: pT1 pN2(3/3) pMx L1 V1 R0 G3 08/2018: Postoperativ eingeschränkte Nierenfunktion (Krea 1,9 mg/dl, GFR 37 ml/min), daher erfolgte keine adjuvante Chemotherapie
11/2018, CT-Thorax/Abdomen: rechts parailiakale Tumorbildung (DD: Lokalrezidiv, LK Metastase) 80 x 59 mm messend, ansonsten keine weiteren metastasenverdächtigen Läsione
„Cisplatin unfit“ – Wahl der Erstlinientherapie beim metastasierten Urothelkarzinom
Frage 1: Welche weiteren Untersuchungen würden Sie veranlassen?
Georg Hutterer: Ich würde pathologischerseits eine immunhistochemische Testung auf PD-L1-Expression veranlassen – sollte der Combined Positive Score (CPS) ≥ 10 bzw. der IC-Score ≥ 5 % sein, könnte man dem Patienten eine Immuntherapie in Form von Pembrolizumab/Atezolizumab anbieten.
Eine weitere (innovative) Möglichkeit wäre es, den Patienten auf mögliche FGFR-Expression/Mutationen testen zu lassen (Urothelkarzinome des oberen Harntraktes sollen in diesem Pathway gehäuft Alterationen aufweisen) und ihn bei diesbzgl. Positivität in eine klinische Studie mit einem FGFR-Inhibitor einzuschleusen.
Renate Pichler: Bildgebend ist ein Thorax- und Abdomen-CT ausreichend. Einen 24-h-Sammelurin zur Bestimmung der aktuellen Kreatinin-Clearance würde ich trotz eingeschränkter postoperativer Nierenfunktion nochmals veranlassen.
Frage 2: Würden Sie von der im CT von 11/2018 beschriebenen Läsion zunächst eine Biopsie veranlassen?
Georg Hutterer: Nein. Eine denkmögliche chirurgische Option wäre allenfalls die Evaluierung der Durchführbarkeit einer pelvinen Metastasenresektion.
Renate Pichler: Bei guter Zugänglichkeit der verdächtigen Läsion, welche ja immerhin 8 x 6 cm einnimmt, würde ich vor Planung des weiteren Prozederes und zur histologischen Bestätigung einer Metastase des bekannten Urothel-Ca. eine CT- bzw. sonographisch-gezielte Biopsie veranlassen. Bei histologischer Bestätigung der Urothel-Ca.-Metastase ist auch die zusätzliche Bestimmung der PD-L1-Expression (CPS-Score, PD-L1-Immunzellen) der Metastase interessant.
Frage 3: Welche weitere Therapie würden Sie in Abhängigkeit von den obigen Befunden empfehlen?
Georg Hutterer: Es handelt sich, in mehrerlei Hinsicht, um einen definitiv Cisplatin-unfitten Patienten (eingeschränkte Nierenfunktion, kardiale Vorgeschichte und Komorbidität) – sollte er auf PD-L1 negativ getestet worden sein (aber auch bei positiver Testung), könnte man ihm eine Chemotherapie mit Carboplatin/Gemcitabin anbieten. Es gibt jedoch keine Studie, welche Carboplatin/Gemcitabin mit einer Immuntherapie verglichen hätte, somit fehlt letztlich eine stichfeste Evidenz, auf die eine oder andere Therapieform zuerst zurückzugreifen.
Sollte der Patient auf PD-L1 positiv getestet worden sein, würde ich tendenziell eher zu einer Immuntherapie als zu einer Chemotherapie greifen, da bei Lymphknotenmetastasen eine gute Response eher zu erwarten wäre und gleichzeitig doch erhebliche kardiale Vorerkrankungen bekannt sind.
Eine weitere Möglichkeit (s. Antwort 1) wäre es, den Patienten bei Positivität auf FGFR-Expression/Mutationen in eine klinische Studie mit einem FGFR-Inhibitor einzuschleusen.
Renate Pichler: Wenn der Patient als „Cisplatin-unfit“ eingestuft wird und sich im Primärtumor bzw. in der Metastase eine hohe PD-L1-Expression bestätigt, dann kommen die Checkpoint-Inhibitoren Atezolizumab (PD-L1-Expression der Immunzellen > 5 %) oder Pembrolizumab (CPS-Score > 10) in der Erstlinie in Frage.
Falls sich dennoch ein „Cisplatin-fit“-Status ergeben sollte (was bei einer postoperativen GFR von 37 ml/min eher unwahrscheinlich ist), wäre natürlich eine Cisplatin-hältige Chemotherapie (Gemcitabin/Cisplatin) die Therapie der 1. Wahl in der Erstlinie.
Frage 4: Sehen Sie noch eine Indikation für die Erstlinien-Chemotherapie beim metastasierten Urothelkarzinom beim Cisplatin-ungeeigneten Patienten?
Georg Hutterer: S. Antwort 3.
Renate Pichler: Wenn sich sowohl im Primärtumor als auch in der Metastase eine geringe PD-L1-Expression (CPS-Score < 10 für Pembrolizumab; PD-L1 < 5 % für Atezolizumab) bestätigt, ist eine Immuntherapie in der Erstlinie im Moment nicht zugelassen. Somit ist in diesem Fall eine Carboplatin-haltige Chemotherapie die Therapie der 1. Wahl (Gemcitabin/Carboplatin; M-CAVI).
Retrospektiv betrachtet wäre der Patient nach den rezenten POUT-Daten mit der Histologie (pN2) möglicherweise ein Kandidat gewesen für 4 Zyklen Gemcitabin/Carboplatin im adjuvanten Setting. Die POUT-Studie inkludierte nämlich fortgeschrittene Urothel-Ca. des oberen Harntraktes nach Nephroureterektomie (T2–T4, N0–N3, M0) mit einer 1:1 Randomisierung (Gem/Cis bei GFR > 50 ml/min oder Gem/Carbo bei einer GFR von 30–49 ml/min) versus Surveillance. Die erste Interimsanalyse zeigte nämlich einen signifikanten Benefit bezüglich metastasenfreien Überlebens und krankheitsfreien Überlebens zugunsten der Chemotherapie (Birtle A et al., Eur Urol Suppl 2018; 17 [2]; e1431).
Frage 5: Gibt es eine Befundkonstellation, in der Sie trotz PD-L1-positivem Tumor eine Erstlinien-Chemotherapie (z. B. Gemcitabin/Carboplatin) durchführen würden?
Georg Hutterer: S. Antwort 3. Sollte der Patient auf PD-L1 positiv getestet worden sein, würde ich tendenziell eher zu einer Immuntherapie greifen, da bei Lymphknotenmetastasen eine gute Response eher zu erwarten wäre und gleichzeitig bei besagtem Patienten doch erhebliche kardiale Vorerkrankungen bekannt sind. Nichtsdestotrotz wäre bei ausgeprägter Metastasenlast und rasch erwünschtem Therapieansprechen auch eine Cisplatin-freie Chemotherapie eine mögliche Therapieoption.
Renate Pichler: Bei Patienten mit möglichen Kontraindikationen für Checkpoint-Inhibitoren (z.B. floride chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, aktive Hepatitis B/C, HIV, Autoimmunerkrankungen mit laufender Kortisontherapie > 10 mg Tagesdosis) ist trotz PD-L1-positivem Status eine Erstlinien-Chemotherapie zu bevorzugen und die Indikation zum Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren als sehr kritisch zu stellen.
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