Für mehr als 60 Jahre stellten Vitamin-K-Antagonisten die einzige Möglichkeit einer Therapie mit oral verfügbaren Antikoagulantien dar. Die kürzlich eingeführten neuen oralen Substanzen, welche gegen Thrombin oder Faktor Xa gerichtet sind, haben die therapeutische Landschaft der Antikoagulation völlig verändert, wie im Rahmen eines Symposiums anlässlich der Gemeinsamen Jahrestagung der DGHO/ÖGHO/SHG 2012 berichtet wurde. Praktisch alle Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern benötigen eine Schlaganfallprävention mit Antikoagulantien.1 Neben den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) wurden 2011 von der europäischen Behörde EMA zwei neue Medikamente in dieser Indikation zugelassen: Dabigatran (Pradaxa®), ein oraler Thrombin-Inhibitor, sowie Rivaroxaban (Xarelto®), ein oraler Faktor-Xa-Inhibitor. Für eine dritte Substanz, Apixaban (Eliquis®; ebenfalls ein Faktor-Xa-Inhibitor), erfolgte aufgrund kürzlich publizierter Daten2 ebenfalls die Zulassung in dieser Indikation. Für alle 3 Medikamente liegt eine Zulassung in der Indikation venöse Thromboembolieprophylaxe nach elektivem Knie- und Hüftgelenkersatz vor. Wichtige pharmakologische Eigenschaften und Interaktionen mit anderen Medikamenten wurden von Prof. Wuillemin (Universität Bern) zusammengefasst.
Pharmakologische Parameter: Grundsätzlich ergibt sich für die neuen Antikoagulantien ein Vorteil gegenüber VKA, da sie in einer fixen Dosis ohne Notwendigkeit für eine routinemäßige Kontrolle der Gerinnungsparameter verabreicht werden können. Zusätzlich weisen diese Substanzen weniger Interaktionen mit anderen Medikamenten als VKA auf. Ein weiterer wesentlicher Vorteil für alle neuen Antikoagulantien besteht in der niedrigeren Inzidenz intrazerebraler Blutungen.
Prof. Wuillemin führt weiter aus, dass alle drei Substanzen einen sofortigen Wirkungseintritt aufweisen (Tmax < 4 Stunden); zusätzlich ist – falls medizinisch erforderlich – von einem raschen Wirkungsstopp auszugehen, da die mittlere Halbwertszeit bei Apixaban etwa 12 Stunden, bei Rivaroxaban 7–11 Stunden und bei Dabigatran 12–14 Stunden beträgt. Von pharmakologischer Seite liegen wesentliche Unterschiede der Substanzen in der renalen Elimination vor (hohe renale Clearance von Dabigatran). Aus diesem Grund wird für Dabigatran eine Dosisreduktion empfohlen, wenn eine Kreatininclearance von 30–59 ml/min vorliegt. Eine Kreatininclearance < 30ml/min stellt eine Kontraindikation für Dabigratan dar (Tab. 1). Bei älteren Patienten (> 75 Jahre) wird daher eine Kontrolle der Nierenfunktionsparameter vor Therapiebeginn mit Dabigatran empfohlen; weiters sollten diese Parameter einmal jährlich bzw. bei klinischen Situationen, die eine Verschlechterung herbeiführen können, kontrolliert werden.
Interaktionen mit anderen Pharmaka: Pharmakologische Interaktionen sind lediglich bei Substraten von Cytochrom-P450 sowie P-Glykoprotein zu beachten. Im Speziellen muss laut Arzneimittelinformation Rivaroxaban bei Patienten, welche gleichzeitig mit Antimykotika wie Ketokonazol oder HIV-Protease-Inhibitoren (z. B. Ritonavir) behandelt werden, mit Vorsicht eingesetzt werden. Bei Dabigatran können starke Substrate von P-Glykoprotein (z. B. Amiodaron, Verapamil, Ketokonazol, Clarithromycin) die Plasmakonzentration erhöhen und sind daher teilweise kontraindiziert. Bei einer Kombination mit Pantoprazol wurde zwar eine Reduktion der AUC von Dabigatran beschrieben, diese wird jedoch als nicht klinisch relevant erachtet.
Praktischer Einsatz der neuen Antikoagulantien Prof. Kemkes-Matthes (Universitätsklinikum Gießen und Marburg) zeigte im Überblick praktische Daten zum Einsatz von Rivaroxaban (Tab. 2). Grundlage der Zulassung von Rivaroxaban bei Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern waren die Daten der so genannten ROCKET-AF-Studie, einer prospektiven Phase-III-Studie, in die 14.264 Patienten eingeschlossen wurden.3 Es erfolgte die Randomisierung zwischen Rivaroxaban 20 mg einmal täglich (15 mg täglich bei Niereninsuffizienz, definiert als eine Kreatininclearance von 30–49 ml/min) und VKA mit Zielbereich INR 2–3. Es wurden signifikant weniger Schlaganfälle oder systemische Thromboembolien unter Rivaroxaban (1,7 % pro Jahr) als unter VKA (2,2 % pro Jahr) beobachtet (p < 0,001; HR 0,8). Betreffend das Risiko einer schweren Blutung fand sich zwischen Rivaroxaban (3,6 % pro Jahr) und VKA (3,5 % pro Jahr) kein Unterschied, führt Kemkes-Matthes weiter aus.
Bezüglich Dabigatran (Tab. 3) stammen viele Empfehlungen aus der sogenannten RE-LY-Studie4, in der 18.113 Patienten mit Vorhofflimmern entweder mit VKA oder Dabigatran (110 bzw. 150 mg zweimal täglich) behandelt wurden. Wirksamkeit und Sicherheit zwischen Dabigatran und VKA waren vergleichbar; wegen eines erhöhten Blutungsrisikos unter Dabigatran sollten aber bestimmte Patientengruppen (Tab. 3) mit einer niedrigeren Dosierung behandelt werden.
EINSTEIN-TVT-Studie: Bezüglich der Indikation „Therapie der tiefen Beinvenenthrombose (TVT)“ wurde von Prof. Kemkes-Matthes die so genannte EINSTEIN-Studie zitiert.5 In diese Non-Inferiority-Studie wurden 3.449 Patienten mit symptomatischer TVT eingeschlossen und zwischen der Standardtherapie (Enoxaparin über ca. 5 Tage, gefolgt von VKA mit dem Zielbereich INR 2–3) und Rivaroxaban (15 mg zweimal täglich, gefolgt von 20 mg einmal tgl.) randomisiert (Therapiedauer 3, 6 oder 12 Monate). Der primäre Studienendpunkt war das Auftreten einer Rezidivthrombose, welche bei 2,1 % der Patienten unter Rivaroxaban und bei 3 % der Patienten unter VKA beobachtet wurde (non-inferiority). Bezüglich Sicherheit ergaben sich keine Unterschiede zwischen beiden Behandlungsarmen (Nebenwirkungen gesamt, schwere Blutungsereignisse, Anstieg von Leberparametern).
Fazit für die Praxis: Signifikante Vorteile der neuen Antikoagulantien gegenüber VKA ergeben sich aus der fehlenden Notwendigkeit zur regelmäßigen Kontrolle der Gerinnungsparameter sowie dem niedrigeren Risiko hinsichtlich intrazerebraler Blutungen. Derzeit liegen die Nachteile gegenüber VKA in den fehlenden spezifischen Antidots, den fehlenden Routineparametern zur Erfassung der Wirkung der Substanzen sowie naturgemäß in den fehlenden Daten zu Langzeitnebenwirkungen, resümiert Professor Kemkes-Matthes.