Karzinome entstehen aus einer Anhäufung angeborener oder erworbener genetischer Veränderungen. Neue Technologien haben es ermöglicht, das molekulare Profil von Tumoren näher zu bestimmen, was es zunehmend ermöglicht, neue Behandlungsstrategien zu entwickeln. Eine molekulare Charakterisierung gewinnt aber auch daher an Bedeutung, dass neuere, zumeist zielgerichtete Therapien entwickelt werden. Diese so genannten „Biologicals“ zeigen aber nicht bei allen Patienten Wirkung – oder aber deren Wirkungsdauer bleibt zeitlich limitiert. Trotz der bekannten Heterogenität von Tumorerkrankungen beziehen sich derzeitige klinische Studien und deren daraus resultierenden Zulassungsindikationen lediglich auf zurzeit gültige anatomische oder histologische Klassifikationen. Als Konsequenz daraus wird zwangsläufig eine große Anzahl von Patienten behandelt, die eventuell nicht von einer Substanz profitieren und/oder einer potenziell toxischen Therapie ausgesetzt werden. Eine individualisierte Therapie hat daher zum Ziel, den therapeutischen Nutzen für den einzelnen Patienten vorhersagen zu können. Ein Paradebeispiel dafür ist die KRAS-Mutation beim Kolorektalkarzinom, die den derzeit bekanntesten prädiktiven molekularen Marker bei dieser Tumorentität darstellt. Die Mutation kann die Effizienz einer Therapie mit einem Anti-EGFR-Antikörper (gegen den epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor) vorhersagen. Es gibt jedoch eine Reihe anderer relevanter Marker für eine Anti-EGFR-Therapie, für die eine Evidenz zur Prädiktion vorliegt. In ähnlicher Weise sind auch molekulare Marker für zytotoxische Substanzen in der Behandlung des Kolorektalkarzinoms verfügbar. Dieser Artikel soll einen Überblick über die wichtigsten molekularen Prädiktoren bieten.
Das Produkt des Onkogens KRAS ist ein kleines G-Protein, das den EGFR mit den großen intrazellulären Signaltransduktionswegen verbindet, nämlich die mitogenaktivierte Proteinkinase (MAPK) und PI3K/Akt (Phosphatidylinositol-3-Kinase). Anti-EGFR-Antikörper verhindern eine ligandeninduzierte Aktivierung dieser Signaltransduktionswege. Mutationen innerhalb des KRAS-Gens, typischerweise am Codon 12 oder 13, bewirken eine dauerhafte Aktivierung von KRAS und somit auch der nachfolgenden Signalwege. Eine solche Mutation liegt bei ca. 40 % aller Kolorektalkarzinompatienten vor1. In mehreren Erstlinientherapie-Studien konnte gezeigt werden, dass ein therapeutischer Nutzen der Zugabe von Cetuximab zu einer Chemotherapie auf KRAS-Wildtyp-Patienten beschränkt war. Dieser Effekt war unabhängig vom „Chemotherapie-Backbone“, also gleichermaßen bei FOLFIRI2 oder FOLFOX-43. Schließlich zeigte sich konsistenterweise auch bei Panitumumab, einem humanen Antikörper gegen EGFR, lediglich eine Wirksamkeit in der KRAS-Wildtyp-Population (z. B. in der Studie PRIME).
Interessanterweise zeigte eine retrospektive Analyse, dass Patienten mit einer G13D-Mutation doch von einer Cetuximab-Zugabe zur Chemotherapie profitieren könnten (Gesamtüberleben 7,6 vs. 5,7 Monate, p = 0,005; De Roock W, JAMA 2010). Im Gegensatz dazu zeigte eine retrospektive Analyse der klinischen Phase-III-Studien mit Panitumumab keinen solchen Benefit in G13D-mutierten Patienten4.
Zusammenfassend lässt sich daher die klare Empfehlung zur Bestimmung der KRAS-Mutation in Codon 12 und 13, jedoch auch der seltenen Mutation in Codon 61 (2 %–3 %) vor Gabe eines Anti-EGFR-Antikörpers aussprechen.
Die Proteine NRAS und KRAS sind zu 90 % homolog, wenngleich das intrazelluläre Verteilungsmuster und die jeweiligen biologischen Funktionen unterschiedlich sind5. Eine Mutation des Proteins NRAS liegt bei etwa 2,5 bis 5 % der Patienten vor und schließt eine KRAS-Mutation aus. Eine retrospektive Analyse hat gezeigt, dass NRAS-mutierte Patienten mit chemotherapierefraktärem Kolorektalkarzinom unter Cetuximab plus Chemotherapie eine signifikant schlechtere Ansprechrate hatten (HR 0,087; 95%-KI 0,004 0,51; p = 0,004), ein kürzeres Gesamtüberleben (HR 1,98; 95%-KI 1,08–3,62; p = 0,042) und im Trend auch ein kürzeres progressionsfreies Überleben aufwiesen (HR 1,81; 95%-KI 1,00–3,28; p = 0,069) als NRAS-Wildtyp-Patienten. Da es sich bei dieser retrospektiven Analyse jedoch um eine Single-Arm-Studie handelte, lässt sich keine klare Unterscheidung zwischen einem prädiktiven oder prognostischen Effekt von NRAS treffen.
Das BRAF-Protein, das in der Signaltransduktion dem KRAS nachfolgt, hat in letzter Zeit besondere Aufmerksamkeit erfahren, da seine Mutation als therapeutisches Ziel zur Behandlung von Melanompatienten in der klinischen Routine Eingang gefunden hat6. Die mit Abstand häufigste V600E-Mutation findet sich in 5 %–10 % der Kolorektalkarzinompatienten (aber bei 25 % bis 60 % der sporadischen MSI-H-Tumoren, Tumoren mit Mikrosatelliteninstabilität) und schließt eine KRAS-Mutation aus.
Eine rezente retrospektive Analyse von 845 KRAS-Wildtyp-Patienten der Studien CRYSTAL und OPUS zeigte den Benefit einer Cetuximab-Therapie bei V600E-Mutation (Respons: HR 0,63; 95%-KI 0,38 1,06; p = 0,079; PFS: HR 0,69; 95%-KI 0,33–1,22; p = 0,267; OS: HR 1,6; 95%-KI 0,45–5,67; p = 0,46), obwohl durch die geringe Häufigkeit eine statistische Signifikanz nicht erreicht werden konnte. In einer klinischen Studie hat die Behandlung von V600E-mutierten Kolorektalkarzinompatienten mit einem BRAF-Inhibitor im Vergleich zum Therapieerfolg bei BRAF-mutierten Melanompatienten nur einen moderaten Effekt erzielt7. Weitere laufende Studien mit dualer Hemmung von z. B. BRAF und MAPK werden detailliertere Einblicke in mögliche klinisch bedeutsame Pathomechanismen liefern.
Besonderer Stellenwert kommt der BRAF-Mutation in Hinblick auf ihre prognostische Aussagekraft zu. Die PETACC-3-Studie konnte zeigen, dass der BRAF-Mutationsstatus eng mit dem Gesamtüberleben assoziiert ist (7,5 Monate für BRAF-Mutationsträger vs. 25,2 Monate für Wildtyp-BRAF, p = 1,9e–11)1.
Zusammenfassend stellt die BRAF-Mutation derzeit vor allem einen wichtigen prognostischen Marker dar, der unter Umständen auch anzeigt, ob Patienten von einer Anti-EGFR-Gabe profitieren könnten.
PTEN („Phosphatase and Tensin homolog“), eine Lipid-Phosphatase, ist ein negativer Regulator für den Schlüssel-Signaltransduktionsweg PI3K/Akt. Der Verlust des Tumorsuppressors PTEN führt zu einer dauerhaften Aktivierung dieses für Zellen notwendigen Überlebens-Pathways. Während eine KRAS-Mutation konsistenterweise sowohl im Primärtumor als auch in den Metastasen gemessen werden kann, wird der Verlust von PTEN in erster Linie in Metastasen beobachtet. Während einige Berichte den Verlust der PTEN-Expression mit einer Resistenz gegenüber Anti-EGFR-Therapien assoziieren, haben andere Berichte einen Einfluss auf das Gesamtüberleben beschrieben8, 9. Durch die Schwierigkeit eines bisher fehlenden validierten Antikörpers oder Scoring-Systems sollten diese Daten als experimentell angesehen werden und weitere klinische Validierungen abgewartet werden.
Das heterodimere Protein PI3K besteht aus einer regulatorischen Untereinheit (p85) sowie einer katalytischen Untereinheit (p110). In Kolorektalkarzinomen findet sich mit einer Häufigkeit von 12 % bis 30 % eine Mutation des PI3KCA-Gens, welches die p110a-Untereinheit codiert. Mutationen sind entweder in Exon 9 oder 20 zu finden und führen zu einer ständigen Aktivierung des PI3K-Signaltransduktionswegs. DeRoock et al. konnten bei 370 KRAS-Wildtyp-Patienten zeigen, dass eine Exon-20-Mutation mit einem schlechteren Therapieansprechen (HR 0; p = 0,008) und Gesamtüberleben (HR 3,3; 95%-KI 1,46–7,45; p = 0,012) auf Cetuximab assoziiert war10. Eine Doppelmutation in Exon 9 und 20 stellt einen unabhängigen prognostischen Marker für das Gesamtüberleben dar (log-rank p = 0,0008; multivariate HR = 2,68; 95%-KI 1,24 bis 5,77)11.
Die Thymidylat-Synthase (TS) stellt einen wichtigen Angriffspunkt für 5-FU dar, dessen aktive Metaboliten daran binden und dabei die Entstehung von Thymidinen blockieren. Dies verhindert die DNA-Synthese bzw. -Reparatur und induziert den Zelltod. Eine Überexpression führt daher zu einer 5-FU-Resistenz, was sich wiederum an einem reduzierten Gesamtüberleben widerspiegelt12.
Der Mechanismus der Nukleotidexzisionsreparatur (Nucleotide Excision Repair, NER) spielt eine wichtige Rolle bei der Reparatur verschiedener Arten von DNA-Schäden, z. B. von DNA-Addukten, die durch ultraviolette Strahlung und durch Exposition gegenüber Tabakrauch und Alkohol, aber auch durch Exposition gegenüber Oxaliplatin entstehen. Niedrige ERCC1-Spiegel zeigen eine bessere Sensitivität gegenüber oxaliplatinhältigen Therapien. So konnte z. B. bei Patienten, die mit FOLFOX plus Placebo im Rahmen der CONFIRM-1- und -2-Studie behandelt wurden, gezeigt werden, dass eine hohe ERCC1-Genexpression mit einem signifikant kürzeren Gesamtüberleben vergesellschaftet war (HR 0,27; 95% KI 0,09–0,85; p = 0,025 in der Erstlinientherapie und HR 0,38; 95%-KI 0,16–0,92; p = 0,03 in der Zweitlinientherapie)13.
Dennoch geht die Bestimmung von ERCC1 mit Herausforderungen einher. Im Gegensatz zum ERCC1-Protein liefert die quantitative Bestimmung der ERCC1-Genexpression konsistente Ergebnisse in Hinblick auf ihren prädiktiven Wert. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass die durchschnittliche ERCC1-Expression in Metastasen höher als in Primärtumoren ist. Weiters gilt es einen Schwellenwert für Oxaliplatin-Sensitivität zu standardisieren (z. B. < 1,7 mal 10–3 bei Shirota und Lenz).
Während derzeit lediglich die Bestimmung des KRAS-Mutationsstatus im Stadium IV des Kolorektalkarzinoms Eingang in die klinische Routine gefunden hat, gibt es bereits jetzt schon eine Reihe von molekularen Markern, die dem behandelnden Onkologen eine nützliche Entscheidungshilfe zur individuellen Therapiewahl liefern. Weitere vor allem prospektiv angelegte klinische Studien sowie die Standardisierung von Testsystemen sind jedoch wichtige Schritte zu einer zukünftig umfassenderen Diagnostik für eine auf den individuellen Patienten angepasste Therapie.