Durchbruchschmerz bei Tumorpatienten: Richtig diagnostizieren und effektiv behandeln

Bis zu 80 % der Patienten mit Tumor­erkrankungen leiden unter Schmerzen. Davon berichten annähernd 80 % über tumorbedingte, ca. 17 % über therapiebedingte und ca. 9 % über tumor­assoziierte Schmerzen. Bei bis zu 9 % liegt nicht die Tumorerkrankung, sondern eine andere Ursache für die Schmerzen vor. Die von den Patienten empfundenen Schmerzen sind jedoch nicht nur in Form von Dauerschmerzen charakterisiert, sondern in vielen Fällen leiden Tumorschmerzpatienten zusätzlich an so genannten Durchbruchschmerzen („break­- trough pain“, BTP). Ca. 60–70 % aller Tumorschmerzpatienten klagen trotz laufender analgetischer Therapie über das Auftreten von derartigen Schmerzen. Diese Schmerzen führen häufig zu einer massiven Beeinträchtigung der Lebensqualität und auch zu verstärkter Angst vor weiteren Schmerzen. Dennoch werden Durchbruchschmerzen zum Leid­wesen der Patienten oft unzureichend oder zum Teil auch gar nicht behandelt. Die Gründe dafür sind einerseits, dass Durchbruchschmerzen nicht oder nicht richtig diagnostiziert werden, da es trotz der hohen Inzidenz von Durchbruchschmerzen keine validierten Assessments für die Diagnose von Durchbruchschmerzen gibt. Andererseits werden häufig nicht die für die Behandlung von Durchbruchschmerzen geeigneten Analgetika eingesetzt.

Definition und Auslösemechanismen: Nach Davis und Mitarbeitern (2009) wird Durchbruchschmerz (BTP) als eine vorübergehende Schmerzverstärkung, die spontan oder ereignisabhängig bei relativ stabilem und angemessen behandeltem Grundschmerz auftritt, definiert.
Durchbruchschmerzen können verschiedenste Auslösemechanismen haben: BTP können spontan und so für Patienten unbeeinflussbar auftreten, oder auch durch verschiedenste vorhersehbare, aber auch unvorsehbare stimulusabhängige Faktoren ausgelöst werden (Abb. 1).

 

 

Eine aktuelle multinationale Studie von Davis AN et al. zeigt, dass von 1.000 untersuchten Patienten mit Durchbruchschmerzen 440 Patienten unter ereignisabhängigen Schmerzen, 415 Patienten unter spontanen Schmerzen und 143 Patienten unter gemischten (ereignisabhängigen/spontanen) Schmerzen leiden. Ca. 80 % dieser Patienten gaben an, dass sie aufgrund des BTP im täglichen Leben beeinträchtig sind, wobei Patienten mit ereignisabhängigen BTP vor allem über Beeinträchtigungen beim Gehen oder normalen Arbeiten klagen und die Gruppe mit spontanen BTP insbesondere Beeinträchtigungen auf ihre Stimmung und die Schlafqualität angaben.
Seitens der Ätiologie des BTP überwiegt der somatisch ausgelöste Schmerz, gefolgt vom viszeralen Schmerz, dem „mixed pain“ und neuropathischen Schmerzen.

BTP ist kein „end-of-dose failure“

Die Verläufe von Durchbruchschmerzen sind sehr ähnlich. Sie zeigen einen zumeist plötzlich einsetzenden und schnellen Anstieg des Schmerzniveaus. Das Schmerzmaximum wird im Mittel innerhalb von 3–5 Minuten erreicht. Die Dauer der Durchbruchschmerzen ist ebenfalls kurz (von bis zu wenigen Minuten bis max. 2 Stunden) und liegt im Mittel bei ca. 30 Minuten.
Durchbruchschmerzen müssen jedoch unbedingt von einem so genannten „end-of-dose failure“ unterschieden werden. Schmerzen bei „end-of-dose failure“ treten episodisch jeweils am Ende des Einnahmeintervalls eines retardierten Analgetikums oder bei der Verwendung von opioidhaltigen transdermalen Therapiesystemen auf, wenn deren schmerzlindernde Wirkung nicht im vollen Umfang der vorgesehenen Wirkdauer anhält. Bei dieser Art von Schmerz muss eine Anpassung der Einnahmeintervalle der Basisschmerztherapie erfolgen und keine spezielle Behandlung für Durchbruchschmerzen.

Ideale Medikation: schnell und kurz wirksam

Sollten Durchbruchschmerzen nicht durch nichtmedikamentöse Methoden, wie z. B. Lagewechsel oder Ähnliches ausreichend gelindert werden, bedarf es eines Analgetikums, das mehrere Kriterien erfüllt. Auf Grund des raschen Beginns und oft schnellen Abklingens von Durchbruchschmerzen muss das Schmerzmittel einerseits einen schnellen Wirkeintritt und andererseits eine kurze Wirkdauer aufweisen. Gänzlich kontraindiziert für die Behandlung von Durchbruchschmerzen sind daher retardierte Analgetika. Um die zum Teil hohen Schmerzintensitäten ausreichend senken zu können, bedarf zudem es einer hohen analgetischen Potenz. Darüber hinaus sollte diese Substanz möglichst ohne aktive Metaboliten eliminiert werden und in einer einfachen Applikationsform vorliegen.
Betrachtet man die bisher bekannten Studiendaten in Bezug auf die Schmerzverläufe bei Durchbruchschmerzen, wird verständlich, dass in den meisten Fällen eine Behandlung mit den gängigen kurzwirksamen Opioiden („short-acting opioids“, SAO) zu keiner befriedigenden Schmerzlinderung führen kann, da SAO bis zu 30 Minuten benötigen, um eine ausreichende schmerzlindernde Wirkung zu erreichen. Vor allem der durch die orale Applikation und die langsame Resorption vorgegebene verzögerte Wirkeintritt scheint hier das größte Hindernis zu sein. Die oral verfügbaren SAO erfüllen daher nur einen Teil der für die Behandlung von Durchbruchschmerzen notwendigen Anforderungen.
Die bereits seit Langem bekannte Substanz Fentanyl erfüllt ebenfalls die oben angeführten Kriterien, allerdings lag Fentanyl lange Zeit nur in parenteral verfügbarer Applikationsform vor. In den letzten Jahren wurden jedoch neue Applikationsformen von Fentanyl entwickelt, die bei transmuköser Applikation (Mund- oder Nasenschleimhaut) einen raschen Wirkeintritt aufweisen. Diese so genannten „rapid-onset opioids“ (ROO) zeigen bereits nach ca. 8 Minuten einen ausreichenden Wirkspiegel und erreichen dadurch eine ausreichende Schmerzlinderung.
Um bei Durchbruchschmerzen mit einem schnell erreichten Schmerzmaximum einen ausreichend raschen Wirkeintritt zu gewährleisten, sind daher ROO den SAO vorzuziehen (Tab.).

 


SAO können jedoch durchaus bei Schmerzzunahme mit schleichendem Anstieg der Schmerzintensität und auch zur Dosisfindung eingesetzt werden. Empfohlen wird in diesem Fall eine additive Gabe des SAO mit 1/6 der Tagesdosis des oral applizierten Opioids, welches für die Basistherapie eingesetzt wird.
Für die Dosierung von ROO liegen keine absolut gültigen Dosiswerte vor. Es wird empfohlen, schrittweise von einer zunächst kleinen Dosis auf die nächsthöhere Dosis hochzutitrieren (Abb. 2).

 

 

Fazit: Durchbruchschmerzen (BTP) treten bei mehr als 60 % aller Tumorschmerzpatienten auf und müssen daher richtig diagnostiziert und effektiv behandelt werden. BTP erreichen zumeist innerhalb weniger Minuten ihr Intensitätsmaximum und dauern im Mittel 30 min an. Daher ist ein rasch und kurz wirksames potentes Opioid (transmukös appliziertes Fentanylzitrat) das Mittel der Wahl bei der Behandlung von (BTP).