BiTE-Antikörper Blinatumomab: Eindrucksvolle Ergebnisse zur Behandlung der ALL mit dem bispezifischen Antikörper Blinatumomab wurden bei der 17. Jahrestagung der European Hematology Association (EHA) in Amsterdam im Juni 2012 von Professor Max Topp von der Universität Würzburg präsentiert. Blinatumomab ist ein bispezifischer Antikörper, der sowohl gegen den CD3-Rezeptor der T-Zellen als auch gegen das Oberflächenprotein CD19 der B-Zellen gerichtet ist. Er ist der erste sogenannte BiTE-Antikörper (Bi-specific T-cell engagers), der in klinischen Studien getestet wurde.
MT103-206-Studie: Die Phase-2-Studie MT103-206 untersuchte die Effektivität, die Sicherheit und die Tolerabilität von Blinatumomab bei er wachsenen Patienten mit akuter lymphoblastischer B-Vorläufer-Leukämie bei Rezidiv nach einer konventionellen Standard-Erstlinienbehandlung oder nach allogener Stammzelltransplantation (Topp MT et al., Abstr. 1122). Die Patienten erhielten Blinatumomab für 28 Tage gefolgt von einer zweiwöchentlichen Pause über einen sechswöchentlichen Behandlungszyklus für bis zu fünf Behandlungszyklen. Blinatumomab wurde kontinuierlich mit einer initialen Dosis von entweder 5 oder 15 µg/m2 pro Tag mit einer Dosissteigerung bis hin zu 30 Mikrogramm/m2 für den Rest des Zyklus verabreicht. Primärer Endpunkt der Studie war die Rate der kompletten Remissionen (CR) und die Rate der kompletten Remission mit partieller hämatologischer Rekonstitution (CRh*). Sekundäre Endpunkte beinhalteten die molekulare Ansprechrate, die Dauer des Ansprechens sowie das Gesamtüberleben. Alle 36 Patienten waren bzgl. Effektivität und Sicherheit auswertbar. Sechsundzwanzig der 36 Patienten (72 %), die mit Blinatumomab in allen untersuchten Dosen behandelt wurden, erreichten eine CR/CRh*. Alle bis auf 2 Patienten erreichten ein molekulares Ansprechen, d. h. es waren keine leukämischen Zellen mittels PCR detektierbar. Die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen waren Pyrexie, Kopfschmerzen und Tremor. Medizinisch relevante Ereignisse, die Sicherheit betreffend, waren ein reversibles Zytokin-Release-Syndrom und ZNS-Nebenwirkungen wie Schwindel. Zum Zeitpunkt der Auswertung betrug das mediane Überleben 9,0 (Range 8,2–15,8) Monate mit einem medianen Follow-up von 10,7 Monaten. Die mediane Dauer des Ansprechens bei den 26 respondierenden Patienten lag bei 8,9 Monaten.
Asparaginasebeladene Erythrozyten: Die französische Gruppe um Yann Godfrin stellte die Ergebnisse der GRASPALL/GRAALL-SA2-2008-Studie vor, die sich der Evaluierung der optimalen Dosis von asparaginasebeladenen Erythrozyten (Asparaginase-loaded red blood cells; GRASPA®), kombiniert mit einer Standardchemotherapie nach dem EWALL-Protokoll bei Patienten > 55 Jahren mit neu diagnostizierter Ph-ALL widmete (Godfrin Y et al., Abstr. 1126). Hämatologische, molekulare Ig/TCR-minimale Resterkrankung (MRD) und Überleben waren die sekundären Endpunkte. Insgesamt wurden 30 Patienten von 20 Zentren in Frankreich eingeschlossen. Es zeigte sich, dass zwei Infusionen von GRASPA® in Kombination mit L-Asparaginase und mit einer Standardchemotherapie bei älteren Patienten mit Ph-negativer ALL durchführbar scheinen. Die Dosis von 100 IU/kg demonstrierte eine höhere Wirksamkeit und ein besseres Sicherheitsprofil, wobei prospektive Studien mit dieser neuen Formulierung der L-Asparaginase noch ausständig sind.
GMALL-Studien bei älteren Patienten: Die aktualisierten Langzeitergebnisse der GMALL-Studien bei älteren Patienten mit Philadelphia-positiver ALL (PH+) und einer imatinibhältigen Induktion und Konsolidierung, die meist keine Kandidaten für eine allogene Stammzelltransplantation (HSCT) sind, wurden am diesjährigen EHA von Heike Pfeifer vorgestellt (Pfeifer HP et al., Abstr. 1124) Hier konnte eine Gesamt-CR-Rate von 87 % mit einer medianen Remissionsdauer und einem Gesamtüberleben von jeweils 16,6 Monaten (Range 1–79,4) und 18,3 Monaten (Range 0,5–80) gezeigt werden. Die Wahrscheinlichkeit der Remissionsdauer, des Überlebens und des krankheitsfreien Überlebens (DFS) nach 5 Jahren lagen bei 8 %, 18 % und 8 %. Die Art der Induktionstherapie hatte keinen signifikanten Einfluss auf Gesamtüberleben und DFS. In der univariaten Analyse war lediglich eine Erkrankung der Lunge als Ko-morbidität assoziiert mit einem inferioren Outcome. Bei 11 Patienten wurde eine HSCT in der ersten Remission und bei 6 Patienten als Salvage-Therapie durchgeführt. Das mediane Alter lag hier bei 62 Jahren (Range 54–69). Das 5-Jahres-Überleben der in CR1 transplantierten Patienten war den nicht transplantierten Patienten überlegen (48 % versus 13 %). Interessanterweise lag das Gesamtüberleben der im Rahmen einer Salvage-Therapie transplantierten Patienten jenseits der CR1 nach 3 Jahren bei 43 %. Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 18,7 Monaten (Range 1,3–50) nach HSCT sind 7 Patienten weiterhin in CR mit einem medianen Gesamtüberleben von 34,7 Monaten (Range 16–50), 4 Patienten verstarben in CR, 7 Patienten erlitten ein Rezidiv.
Dasatinib kombiniert mit Chemotherapie: Eine prospektive Phase-2-Studie aus Korea untersuchte Dasatinib als Erstlinientherapie kombiniert mit konventioneller Chemotherapie für Patienten mit neu diagnostizierter PH+ ALL (Lee S et al., Abstr. 1123). Am diesjährigen EHA-Kongress wurde die Interimsanalyse dieser Studie vorgestellt, die Patienten zwischen 15 und 65 Jahren einschließt, die Dasatinib (100 mg/d für 4 Wochen) als Alternativschema nach jedem konventionellen Chemotherapiezyklus (abwechselnd modifiziertes Hyper-CVAD und HiDAC/Mitoxantron) erhalten. Patienten mit verfügbarem Spender werden einer HSCT zugeführt. Bei jenen Patienten ohne verfügbaren Spender wird die Therapie mit Dasatinib plus konventioneller Chemotherapie bis zu 4 Zyklen fortgeführt, gefolgt von einer Dasatinib-Erhaltungstherapie für bis zu 2 Jahre. Von 51 Patienten waren 39 Patienten auswertbar. Bei 26 Patienten (26 %) lagen chromosomale Anomalien vor. Alle Patienten erreichten CR nach dem ersten Dasatinib-Zyklus und hiervon erreichten 18 Patienten (46 %) ein gutes molekulares Ansprechen („major molecular response“, MMR; mit 7 kompletten molekularen Ansprechen, CMR). Mit dem 2. Dasatinib-Zyklus erreichten 30 Patienten (77 %) eine MMR (17 CMR). Insgesamt haben 30 Patienten (77 %) eine allogene Transplantation in CR erhalten. Mit einem medianen Follow-up von 14 Monaten sind 34 Patienten am Leben und 31 weiterhin in CR; 5 Patienten verstarben in CR. Die kumulative 1-Jahres-Relapsinzidenz lag bei 10 %, und das krankheitsfreie 1-Jahres- sowie das Gesamtüberleben lag bei 75 % und 84 %.
Prognoserelevanz der Remissionstiefe unter Imatinib: Eine weitere Studie aus Korea untersuchte den Einfluss der Tiefe der Remission (MRD) während der Erstlinientherapie mit Imatinib auf das Langzeitüberleben von Patienten mit PH+ ALL nach allogener HSCT (Lee S et al., Abstr. 0016). Insgesamt 95 Patienten mit einem medianen Alter von 34 Jahren (Range 15–59) mit neu diagnostizierter PH+ ALL, die eine allogene HSCT gefolgt von Imatinib 400 mg/d für 4 Wochen in jedem Zyklus plus konventionelle Chemotherapie erhielten, wurden eingeschlossen. Alle Patienten wurden nach dem 2. Zyklus Imatinib allogen transplantiert (Geschwisterspender oder passender Fremdspender; < 2-Allel-Mismatches). Nach dem ersten Zyklus Imatinib erreichten 33 von 95 Patienten (34,7 %) mindestens eine MMR (12 CMR). Nach dem 2. Zyklus konnten sogar 68 Patienten (71,6 %) mindestens eine MMR (27 CMR) erreichen. Die verbleibenden 27 Patienten zeigten einen ungenügenden molekularen Respons (1 % bis < 0,1 %; n = 9; 9,5 % und < 1 % ; n = 18; 18,9 %).
88 (92,6 %) von 95 Patienten erhielten eine HSCT in erster kompletter Remission. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 60 Monaten lag die kumulative 5-Jahres-Relapsinzidenz und Non-Relapse-Mortalität bei 24,9 % und 18,8 %, und das krankheitsfreie 5-Jahres-Überleben sowie die Gesamtüberlebensraten betrugen 61,5 % und 65,8 %. Das Erreichen eines guten molekularen Ansprechens (MMR und CMR) nach dem 2. Zyklus Imatinib war der stärkste prädiktive Faktor mit Einfluss auf die Relapswahrscheinlichkeit, auf das krankheitsfreie Überleben und auf das Gesamtüberleben (p < 0,001). Insgesamt könnten durch die prospektive Evaluierung der MRD-Reduktion bei Transplantpatienten Subgruppen identifiziert werden, die ein hohes Risiko für ein Rezidiv aufweisen.