EHA 2012: Ausgewählte Highlights im Bereich myeloproliferativer Neoplasien

Chronisch myeloische Leukämie, CML

Nilotinib, ENESTnd-Studie

Bezüglich der Zweitgenerations-TKI in der Erstlinienbehandlung ergaben sich keine wirklich neuen Aspekte, außer dass die bereits bekannte Verbesserung der Wirksamkeit von Nilotinib gegenüber Imatinib auch im letzten 3-Jahres-Update der ENESTnd-Studie bestätigt werden konnte. Richard Clarke zeigte, dass mit Nilotinib behandelte Patienten signifikant geringere Progressionsraten aufweisen (2 Patienten im 300-mg-, 3 Patienten im 400-mg-BID-Nilotinib-Arm versus 12 Patienten im Imatinib-Arm). Zudem zeigten sich signifikant weniger CML-assoziierte Todesfälle in den Nilotinib-Armen. Es zeigen sich keine Unterschiede in der Rate an T315I-Mutationen, wobei die Gesamtrate an Mutationen im Imatinib-Arm naturgemäß höher lag. Man kann also davon ausgehen, dass durch die höhere Potenz von Nilotinib das Auftreten von Mutanten reduziert werden kann. Die stärkere Wirksamkeit kann auch an der signifikant höheren Rate an tiefen molekularen Remissionen abgelesen werden (MMR, MR4 und MR4,5). Andreas Hochhaus konnte zudem mit Daten aus der ENESTnd-Studie belegen, dass vergleichbar den bereits bekannten Imatinib-Daten eine frühe Reduktion der BCR-ABL-Transkriptlast nach 3 Monaten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer späteren MMR und MR4,5 sowie auch einer besseren progressionsfreien und Gesamtüberlebensrate assoziiert war. Dabei erreichen unter Nilotinib nach 3 Monaten Therapie 40 % (56 versus 16 %) mehr Patienten ein BCR-ABL-Transkriptlevel von ≤ 1 % und 24 % mehr Patienten (91 % versus 67 %) ein BCR-ABL-Transkriptlevel von ≤ 10 %.

Dasatinib, DASISION-Studie

Vergleichbare Daten konnten von Elias Jabbour aus der DASISION-Studie für Dasatinib präsentiert werden. Auch hier ist die Geschwindigkeit und Tiefe des Ansprechens unter Dasatinib schneller und tiefer, wobei die CCyR nach 3 Monaten und die MMR nach 12 Monaten mit einem besseren progressionsfreien Überleben assoziiert waren.

Bosutinib, BELA-Studie

Weiters gab es interessante neue Daten zum molekularen Ansprechen unter Bosutinib, einem weiteren dualen Zweitgenerations-ABL/SRC-Kinase-Inhibitor. In der BELA-Studie, die Bosutinib randomisiert gegen Imatinib in erster chronischer Phase (CP) getestet hat, konnte gezeigt werden, dass die kumulative zytogenetisch komplette Ansprechrate nach 24 Monaten in der evaluierbaren Population unter Bosutinib um 6 % höher lag. Zudem waren im Bosutinib-Arm die MMR-Rate um 10 % und die CMR-Rate um 6 % höher. Transformationen traten unter Bosutinib in 2 Patienten, im Imatinib-Arm hingegen in 6 Patienten auf. Hauptproblem von Bosutinib ist die diskret schlechtere Verträglichkeit, die insbesondere durch passagere gastrointestinale Toxizitäten charakterisiert ist. Eine zukünftige Testung einer niedrigeren Dosierung von Bosutinib und damit besseren Tolerabilität bei dann aufgrund der kontinuierlicheren Gabe evtl. sogar besseren Wirksamkeit wäre sicher ein wichtiger Schritt, um der Substanz einen Platz in der Erstlinientherapie der CML in chronischer Phase zu ermöglichen. Die Wirksamkeit in der Zweitlinie nach Imatinib oder auch in der Dritt- und Viertlinie ist hingegen gut dokumentiert.

Ponatinib, PACE-Studie

Am interessantesten sind derzeit sicher die Daten zu Ponatinib aus der PACE-Studie, die von Jorge Cortes vom MDACC erneut upgedated wurden und die hohe Effektivität bei Patienten nach Versagen von mehr als zwei (94 % der eingeschlossenen Patienten) oder mehr als drei (57 % der eingeschlossenen Patienten) Tyrosinkinasehemmern verdeutlicht. In dieser intensivst vorbehandelten Patientengruppe erreichen 49 % eine MCyR, 41 % eine CCyR und immerhin 24 % eine MMR. Hierbei schneiden Patienten mit T315I mit höheren Responseraten tendenziell besser ab, wobei bisher nicht geklärt ist, ob diese Beobachtung ein biologisches Phänomen oder ein Phänomen der Patientenselektion ist. Ponatinib ist damit sicher der derzeit effektivste TKI zu Behandlung der CML, und es dürfen mit großer Spannung die Daten der derzeit laufenden Erstlinientherapiestudie bei CML in CP erwartet werden. Die Frage der Wertigkeit von Ponatinib als Erstlinientherapeutikum wird derzeit in einer nichtrandomisierten Studie am MDACC (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT01570868) und einer randomisierten Phase-III-Vergleichsstudie (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT01650805) untersucht.

Mutationsvielfalt bereits bei Diagnose: Aus biologischer Sicht ist dabei noch zu erwähnen, dass Maria Soverini mittels Next Generation Sequencing in 25 TKI-resistenten und 5 TKI-sensitiven Patienten zeigen konnte, dass eine erstaunliche Vielfalt an mutierten Klonen bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung vorliegt. Diese sind teilweise als Compound-Mutanten oder parallel als verschiedene Klone vorliegend, die dann unter Therapie entsprechend dem TKI-Wirkungsspektrum selektiert werden. Die später im klinischen Setting durch die klassische Sanger-Sequenzierung nachzuweisende Mutation stellt nur die Spitze des Eisbergs der zahlreichen in vivo auftretenden Subklone dar. Die Beobachtung verdeutlicht einmal mehr die hohe genetische Instabilität von CML-Zellen, die offensichtlich von Beginn an durch die BCR-ABL-Mutation sowie durch bisher noch nicht bekannte genetische Ereignisse zur Akkumulation mutierter Klone führt. Ponatinib wird aufgrund seines Wirkspektrums mit großer Wahrscheinlichkeit nur mehr zum Auswachsen des T315I-mutierten Klons führen. In dieser Situation sind dann neue T315I-wirksame TKI bzw. andere Wirkstoffe (z. B. Aurora-Kinase-Inhibitoren) für nichttransplantable Patienten dringend erforderlich. Alle anderen Pateinten sollten in einer solchen Situation derzeit einer allogenen Stammzelltransplantation zugeführt werden.

Philadelphia-negative MPN (Myelofibrose)

JAK-Inhibition mit Ruxolitinib

Neue Kombinationstherapie: Ruxolitinib ist gerade von der EMA für die Behandlung der symptomatischen Myelofibrose (primäre und sekundäre MF) oder der Splenomegalie bei MF zugelassen worden. Hierbei ist die antiklonale Aktivität der Substanz zwar nachweisbar, jedoch limitiert, sodass eine Kombination des Wirkprinzips der JAK-Inhibition mit anderen „targeted therapies“ hochinteressant ist. Harrison konnte in einer Phase-Ib-Studie zeigen, dass die Kombination von Ruxolitinib mit dem HDAC-Inhibitor Panobinostat in Patienten mit primärer oder sekundärer MF und einem IPSS-Score Int-1, Int-2 oder Hochrisiko machbar ist.
In die erste Kohorte der Studie wurden 5, in die zweite Kohorte 8 Patienten eingeschlossen. Die Tolerabilität ist akzeptabel, wobei als dosislimitierende Toxizität in der ersten Kohorte eine Grad-IV-Thrombopenie auftrat. Die Studie läuft derzeit noch und ist eine interessante Basis für die daran anschließenden Phase-II-Studien zur Testung der Wirksamkeit und Verträglichkeit der gefundenen optimalen Kombinationsdosis.

Low-Platelet-Studie: Da Thrombozytopenie als eine der relevantesten Nebenwirkungen der Ruxolitinib-Therapie angesehen wird, wurden in die COMFORT-Zulassungsstudien nur Patienten mit Thrombozytenzahlen > 100 G/L eingeschlossen. In der klinischen Realität haben jedoch viele der MF-Patienten geringere Thrombozytenwerte, sodass Moshe Talpaz erste Daten einer Low-Platelet-Studie vorgestellt hat, in der MF-Patienten mit Thrombozytenwerten von 50–100 G/L eingeschlossen wurden. Hierbei wurde Ruxolitinib mit 5 mg BID begonnen und konnte je nach Thrombozytenwerten alle 4 Wochen um 5 mg gesteigert werden. Diese Strategie erwies sich als sicher und wirksam, mit einer mittleren Milzgrößenreduktion von 22 % zur Woche 4 und 27 % zur Woche 8. Zudem zeigten sich auch die Symptom-Scores signifikant verbessert. Es traten keine Grad-4-Thrombozytopenien auf, womit die Strategie, bei diesen Patienten vorsichtig und langsam einzudosieren, offensichtlich eine sichere und wirksame Option darstellt.

Literatur:
– Clarke et al., Abstr. #0583, EHA 2012
– Hochhaus et al., Abstr. #0584, EHA 2012
– Brümmendorf et al., Abstr. #0587, EHA 2012
– Cortes et al., Abstr. #1104, EHA 2012
– Soverini et al., Abstr. #1103, EHA 2012
– Jabbour et al., Abstr. #1106, EHA 2012
– Talpaz et al., Abstr. #0597, EHA 2012
– Harrison et al., Abstr. #0364, EHA 2012