EHA 2012: Chronisch lymphatische Leukämie, CLL

Grundlagen

Deletionen im Bereich des Chromosoms 17p (del17p), welche zur Dysfunktion von p53 führen, als auch Mutationen in diesem Gen sind bei CLL-Patienten bereits als negative prognostische Marker bekannt. Dieser Einfluss kann auch durch moderne Kombinationstherapien mit dem monoklonalen Antikörper Rituximab nicht überwunden werden. In diesem Bereich hat die tschechische Arbeitsgruppe bereits Ergebnisse durch genaue Mutationsanalysen der verschiedenen Veränderungen am p53-Gen am EHA 2011 gezeigt. Dieses Jahr wurden verschiedene Genanalysen im Krankheitsverlauf gezeigt (Trbusek, Abstr. 578, oral session). Hierbei konnte gezeigt werden, dass neue Mutationen am p53-Gen nur bei Patienten auftraten, die eine Behandlung erhalten hatten und hauptsächlich die „p53 DNA-binding motifs“ des Proteins betrafen. Weiters konnten genauere Analysen mit Deep-Sequen­cing-Untersuchungen durchgeführt werden. Hier zeigte sich, dass die nach der Behandlung mittels Standardsequenzierung neu detektieren p53-Mutationen mit dieser noch genaueren Methode auch bereits zuvor nachgewiesen werden konnten. Dies wurde so interpretiert, dass im Laufe der Erkrankung und Therapie Neumutationen am p53-Gen wohl kaum vorkommen, sondern dass durch die Behandlung resistentere und wohl aggressivere Klone selektiert werden, welche schlechter auf Therapien ansprechen („clonal evolution“).

T-Zell-Reservoir: Ein weiteres Thema waren auch dieses Jahr Veränderungen im T-Zell-Reservoir, welche durch CLL-Zellen hervorgerufen werden. Hier konnte gezeigt werden, dass „effector memory T cells“ nur bei Patienten mit Lymphozyten > 10-mal 109/L wohl zahlenmäßig vermehrt sind, jedoch konnte entgegen der oftmaligen Vermutung eine Beeinträchtigung der Funktion der T-Zellen gegenüber dem CMV-Virus nicht nachgewiesen werden (Te Raa, Abstr. 581, oral session).
Die Salzburger Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass nur ungefähr die Hälfte der Patienten ein normales polyklonales Muster des T-Zell-Rezeptors zeigt, bei den anderen Patienten konnte eine Einschränkung in der Vielfalt ihres T-Zell-Rezeptor-Repertoires gezeigt werden (Egle, Abstr. 719). Auch wurde erneut die Bedeutung von regulatorischen T-Zellen (T-reg), welche zu einer Verminderung der Immunantwort gegen Tumorzellen führen können, bestätigt (D’Arena, Abstr. 717). In Patienten mit einem erhöhten Anteil an T-reg war die Zeit, bis eine Behandlung notwendig wurde, signifikant verkürzt. Dies kann zusätzlich als Bestätigung für die bereits publizierten Ergebnisse der Salzburger CLL-Arbeitsgruppe gewertet werden (Weiss et al., 2011).

Diagnostik

CD200-Expression: Im Bereich der Diagnostik beschäftigten sich gleich drei Untersuchungen mit der Rolle von CD200 in der durchflusszytometrischen Untersuchung von CLL-Zellen.
Es handelt sich hierbei um ein Membranglykoprotein, welches sich auf Endothelzellen und B-Zellen, aber auch auf Subsets von T-Zellen findet. Bedeutsam ist die Einführung von CD200 als Marker für eine Verbesserung der Differenzialdiagnose zum Mantelzelllymphom, was auf Grund des unterschiedlichen Managements und der Prognose von größter Wichtigkeit ist (Catherwood, Abstr. 727; Ferrer, Abstr. 730; Sandes, Abstr. 732). In zwei Berichten zeigten sich alle Fälle von Mantelzelllymphomen CD200-negativ, wohingegen alle Fälle von CLL-Patienten in der Durchflusszytometrie positiv für die Expression von CD200 waren. Die Ergebnisse der dritten Untersuchung waren nicht so eindeutig, da hier doch 25 % der Mantelzelllymphome eine positive, wenn auch deutlich geringere CD200-Expression zeigten.
Weiters wurde die Expression in anderen B-Zell-Lymphomen untersucht. Hier zeigte sich teilweise ein heterogeneres Muster, jedoch dürfte der Marker auch bei fast allen Fällen von Haarzellleukämien positiv sein.

Therapie

Ibrutinib-Monotherapie: Wie schon auf der Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für Hämatologie im Dezember beeindruckten die Ansprechraten des Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitors (BTK-Inhibitors) bei stark vorbehandelten Patienten das Auditorium. Das Medikament Ibrutinib, vormals PCI-32765, erreicht auch bei sehr vorbehandelten Patienten (mindestens 2 Vortherapien) ein Gesamtansprechen („complete response“ und „partial response“) von 67–68 % je nach Dosisstufe (O’Brien, Abstr. 542, oral session). Zusätzlich erreichten mehr als 20 % der Patienten einen Rückgang der Lymphknoten bei persistierender Lymphozytose. In dieser noch kleinen Untersuchung des MD Anderson Cancer Center mit 92 Patienten besteht bislang noch ein kurzes Follow-up mit einem Median von ungefähr 12 Monaten, jedoch zeichnet sich schon ab, dass das Ansprechen bei vorbehandelten Patienten als auch bei unbehandelten Patienten über mehrere Monate anhält. So betrug die Rate zum progressionsfreien Überleben bei vorbehandelten Patienten (trotz einer hohen del17p-Rate von 33 %) nach einem Median von 12 Monaten 88 %. Bemerkenswert ist das bislang bei anderen Medikamenten nicht vorbeschriebene Phänomen, dass ein Ansprechen der Patienten mit einem initialen Ansteigen der Lymphozytenwerte gefolgt von einem Schrumpfen der Lymphknoten gekennzeichnet ist. Hierzu besteht die Vermutung, dass Ibrutinib die Vernetzung der Tumorzellen im Lymphknoten beeinträchtigt und es initial zu einem Ausschwemmen der Zellen in die Peripherie kommt.

Ibrutinib-Kombinationstherapie: Um das Ansprechen weiter zu verbessern, wurde Ibrutinib in einem nachfolgenden Protokoll in Kombination mit Rituximab und Bendamustin getestet (Brown, Abstr. 543, oral session). In dieser eher kleinen Kohorte mit 30 vorbehandelten Patienten zeigte sich die Kombination als verträglich und als sehr effektiv mit einem Gesamtansprechen von 90 %, wobei hier das Follow-up mit knapp 5 Monaten sicher noch zu kurz ist, um eine definitive Bewertung vorzunehmen. Insgesamt erscheint das Konzept, Ibrutinib mit einem Medikament wie Rituximab zu kombinieren, das die Lymphozyten peripher effektiv vermindert, jedoch als vielversprechend.

Metaanalyse zu Rituximab: Eine Coch­rane-Metaanalyse beschäftige sich weiters mit der Rolle von Rituximab als Kombinationspartner von zytostatischen Therapien (Bauer, Abstr. 751). In den letzten Jahren konnte sich als Folge der CLL-8-Studie der deutschen CLL-Studiengruppe die Kombination von Fludarabin, Zyklophosphamid und Rituximab (FCR) als neuer Standard als Erstlinientherapie etablieren und zeigte einen Überlebensvorteil der Kombinationstherapie. In der nun präsentierten Metaanalyse der Cochrane-Gruppe von Andreas Engert konnte dieser Überlebensvorteil bei 1.421 Patienten (ohne Steigerung der therapieassoziierten Mortalität) bestätigt werden.

Mabtenance-Studie: Basierend auf den oben genannten Ergebnissen und in Analogie zu den Ergebnissen bei follikulären Lymphomen wird die Wertigkeit einer Rituximab-Erhaltung nach Ende der Induktionstherapie diskutiert. Hierfür steht in Österreich die Möglichkeit zur Einbringung in die Mabtenance-Studie der Arbeitsgemeinschaft medikamentöse Tumortherapie (AGMT), einem internationale Protokoll mit einer geplanten Größe von über 250 Patienten, zur Verfügung. In dieser Studie wird nach einer auf Rituximab basierenden Erst- oder Zweitlinientherapie 1 : 1 zwischen einer Rituximab-Gabe alle 3 Monate für 2 Jahre gegen Beobachtung randomisiert. Eine MRD-Verlaufsmessung wird über die gesamte Studienzeit durchgeführt (Abb.).

 

Fazit

Der EHA 2012 hat einen weiteren Ausblick in die Zukunft des modernen CLL-Managements gegeben. Bei der Risikoeinschätzung wird die Bewertung der Aggressivität der Erkrankung mittels Genanalysen und durch die verfeinerte Diagnostik mittels CD200-Analyse in Zukunft eine Rolle spielen. In der Therapie wird Ibrutinib als Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor eine sehr effektive Substanz für Hochrisikopatienten darstellen. Weiters wurde die Bedeutung von Rituximab in der Behandlung der CLL wieder be­stätigt.