Im Laufe der letzten Jahre sind Signaltransduktionsinhibitoren zu einer wichtigen Therapieoption sowohl im refraktären Setting als auch in der Erstlinientherapie geworden und haben entsprechend Einzug in die Leitlinien gefunden.1 Zu den derzeit für CLL zugelassenen Therapien zählen Ibrutinib, ein Bruton-Tyrosin-Kinase-(BTK-)Inhibitor, Idelalisib, ein Hemmer der Phosphoinositid-3-Kinase, sowie Venetoclax, ein Hemmer des B-Cell-Lymphoma-2-(BCL-2-)Proteins.
Bei alten, unfitten Patienten war bisher eine Kombination aus CD20-Antikörpern sowie Chlorambucil eine aufgrund von großen Phase-III-Studien verbreitete Therapie.2, 3
In der Phase-III-Studie RESONATE-2 konnte ein enormer Überlebensvorteil mit der Ibrutinib-Therapie gegenüber dem Vergleichsarm mit Chlorambucil als Einzeltherapie gezeigt werden (Hazard Ratio 0,16, ORR 86 % vs. 35 %).4 Auch wenn der Vergleichsarm nicht ideal gewählt war (Fehlen eines CD20-Antikörpers), so ist Ibrutinib zumindest als gleichwertige Alternative zur Therapie mit CD20-Antikörper + Chlorambucil zu werten. In der iLLUMINATE-Studie wird eine Kombination aus Obinutuzumab mit Chlorambucil gegen die Kombination aus Obinutuzumab mit Ibrutinib in der Erstlinientherapie getestet. Bis jetzt sind noch keine Resultate in der medizinischen Literatur publiziert worden, jedoch hat AbbVie in einer Presseaussendung das Erreichen des primären Endpunkts in dieser randomisiert kontrollierten Studie (PFS-Überlegenheit) bekanntgegeben.5 Die genauen Ergebnisse und ihre Bedeutung für die zukünftige Behandlung der CLL sind abzuwarten.
Fitte Patienten zeigen ein ausgezeichnetes Ansprechen auf die Therapie mit Rituximab, Fludarabin und Cyclophosphamid (R-FC). Diese Therapie war in der CLL10-Studie im direkten Vergleich Rituximab plus Bendamustin überlegen, jedoch mit erhöhter Toxizität vergesellschaftet.6 R-FC wird daher bei jungen, fitten Patienten als Therapiestandard gesehen, während Rituximab/Bendamustin als ausgezeichnete Alternative für ältere, fitte (> 65 a) Patienten sowie jüngere Patienten mit signifikanten Komorbiditäten gilt.1, 4
Patienten mit del17p bzw. mutiertem TP53 zeigten unter den genannten Therapieschemata ein deutlich schlechteres Ansprechen mit einem medianen PFS < 1 Jahr.7, 8 Bei diesen Patienten erzielten sowohl Ibrutinib9 als auch Venetoclax10 deutlich bessere Ergebnisse. Auch wenn der direkte Vergleich in randomisierten Studien fehlt, sollten Patienten mit del17p bzw. mutiertem TP53 daher in erster Linie mit einer der neuen Substanzen behandelt werden, angesichts der Zulassungssituation in den meisten Fällen mit Ibrutinib.
Derzeit gibt es noch keine Klarheit, ob der IGHV-Mutationsstatus11, Nachweis von del11q12 oder andere Prognosefaktoren eine ähnliche Rolle bei der Therapieauswahl spielen sollten.
Bei dem Patientenkollektiv der jungen, fitten Patienten ohne Hochrisiko-Mutationen gibt es zum jetzigen Zeitpunkt keinen randomisierten Vergleich zwischen Immunochemotherapie und den neuen Therapieoptionen. Vor kurzem wurde ein „Cross-trial“-Vergleich multipler Phase-III-Studien publiziert.13 Hier zeigte sich eine Überlegenheit von Ibrutinib auch gegenüber R-FC. Ein solcher Vergleich ersetzt jedoch nicht den Vergleich der Therapieoptionen in einer randomisierten Studie.
Der bisherige Therapiestandard mit R-FC kann, vor allem, wenn auch andere prognostische Faktoren für eine Niedrigrisiko-Erkrankung sprechen, bei einem Teil der Patienten eine viele Jahre andauernde Remission ohne weiteren Therapiebedarf bewirken.8, 12
Ein wichtiger Vorteil der Immunchemotherapie ist die begrenzte Dauer der Therapie, im Gegensatz zur Therapie mit Ibrutinib, welche zum jetzigen Zeitpunkt als Dauertherapie konzipiert ist.
Das Nebenwirkungsprofil ist ebenfalls ein wichtiger Faktor. Dieses ist bei den Immunchemotherapien – auch dank langjähriger Erfahrung mit den Therapieschemata – bekannt und meist beherrschbar. Im Fall von R-FC handelt es sich hauptsächlich um Myelotoxizität (Grad-3/4-Neutropenie bei 34–85 %) sowie Infekte (≥ Grad 3 bei ~25–40 %).7, 8 Im weiteren Verlauf ist vor allem der Auftritt von sekundären Leukämien (2 %) gefürchtet.8 Ein ähnliches Bild, jedoch bei deutlich niedrigeren Inzidenzen, zeigt sich bei Rituximab plus Bendamustin (Neutropenien ≥ Grad 3 bei 19,7–59 %, Infekte ≥ Grad 3 bei 7,7–26 %).6, 14
Die neuen Wirkstoffe zeigen ein anderes und für jeden der Wirkstoffe einzigartiges Nebenwirkungsprofil. Hämatologische Toxizitäten sind unter Ibrutinib deutlich seltener als unter Immunochemotherapie (~15 % Grad-3/4-Neutropenie).15 Dennoch sind in einer retrospektiven Analyse von 378 Patienten unter Ibrutinib schwere (≥ Grad 3) Infektionen bei 11 % der Patienten aufgetreten, darunter ein hoher Anteil an Pilzinfektionen (27,2 % aller Infekte), u. a. PCP, Kryptokokken und invasive Aspergillose.16
Vorhofflimmern tritt unter Ibrutinib bei 5–9 % der Patienten auf.17 Zudem zeigen sich unter Ibrutinib vermehrt Blutungskomplikationen17, 18, sodass das Gerinnungsmanagement bei Vorhofflimmern einer sorgfältigen Nutzen-Risiko-Abwägung bedarf. Andere häufige, auch zum Therapieabbruch führende Nebenwirkungen sind Durchfall sowie Arthralgien.19, 20 Auch wenn sich Ibrutinib innerhalb klinischer Studien insgesamt als gut verträglich erwiesen hat, so haben doch in einer vor kurzem veröffentlichten retrospektiven Analyse von 616 mit Ibrutinib behandelten Patienten nach einem medianen Follow-up von 17 Monaten 41 % der Patienten die Therapie mit Ibrutinib abgebrochen, davon mehr als 50 % aufgrund von Nebenwirkungen.20
Auch Idelalisib hat sich in Kombination mit Rituximab als effektiv in der Behandlung von CLL in der Erstlinientherapie erwiesen. Jedoch kam es unter dieser Therapie zu schweren Nebenwirkungen.21 In retrospektiven Analysen entwickelten bis zu 2,5 % der Patienten eine PCP22, und auch CMV-Infektionen zeigten sich gehäuft.23 Neben den infektiösen limitieren vor allem immunologisch vermittelte Nebenwirkungen den Gebrauch dieser Therapie. 14–19 % aller Patienten entwickeln Grad-3–5-Diarrhöen sowie 4 % der Patienten eine autoimmunvermittelte Pneumonitis, mit teilweise tödlichen Verläufen. Zudem zeigt sich bei 14 % aller Patienten eine schwere, selten auch tödliche Hepatotoxizität.17 Daher ist diese Therapie nur dann indiziert, wenn eine Therapie mit Ibrutinib nicht möglich ist.24
Venetoclax zeigt eine ausgeprägte hämatologische Toxizität (Grad-3/4-Neutropenien in ~40 % der Fälle als Monotherapie, 58 % in Kombination mit Rituximab).10, 25, 26 Eine weitere gefürchtete Nebenwirkung ist das Tumorlysesyndrom, welches jedoch durch eine adäquate „Ramp-up“-Phase vermieden werden kann.27 In der Erstlinientherapie ist Venetoclax nur bei Patienten mit del17p/TP53-Mutation zugelassen, die für eine B-Zell-Rezeptor-gerichtete Therapie nicht in Frage kommen.
Die Entscheidung zwischen den möglichen Therapieformen wird in Zukunft auch durch die Kostenfrage geprägt werden. Die Kosten einer Ibrutinib-Therapie liegen substanziell über den Kosten von R-FC. In einer IQWiG-Bewertung werden die Kosten der Ibrutinib-Therapie mit rund 96.000 Euro pro Patient pro Jahr angegeben.28
Derzeit wird für junge, fitte Patienten ohne del17p/TP53-Mutation in den ESMO-Leitlinien noch R-FC als Therapiestandard beschrieben.24 Mit Spannung werden Ergebnisse aus wichtigen Phase-III-Studien erwartet: aus der Studie ECOG-E1912 (NCT02048813) mit dem direkten Vergleich zwischen R-FC und einem experimentellen Arm mit Rituximab/Ibrutinib in der Erstlinienbehandlung der CLL sowie Ergebnisse aus der Phase-III-Studie A041202 (NCT01886872), in welcher der Standardarm mit Rituximab/Bendamustin gegen zwei experimentelle Arme mit Ibrutinib bzw. Rituximab/Ibrutinib getestet wird.
Nicht nur die Monotherapie von Ibrutinib oder die Kombination mit CD20-Antikörper, sondern auch die Kombination von CD20-Antikörper + Ibrutinib mit Immunochemotherapie oder Venetoclax wird als möglicher neuer Therapiestandard bei jungen, fitten Patienten getestet. Mehrere Phase-II-Studien zeigten beeindruckende Ergebnisse für die Kombination aus R-FC mit Ibrutinib.29, 30 In der deutschen CLL13-Studie wird aktuell die Standardtherapie mit R-FC gegen Rituximab/Venetoclax, Obinutuzumab/Venetoclax sowie Obinutuzumab/Ibrutinib/Venetoclax getestet.
Ibrutinib und/oder Venetoclax werden in Zukunft eine tragende Rolle in der Erstlinienbehandlung auch von jungen, fitten CLL-Patienten ohne Hochrisiko-Genetik spielen. Ob, und wenn ja, welche der möglichen Kombinationen sich hier als neuer Standard etabliert, ist derzeit noch abzuwarten.
In der Erstlinienbehandlung von Patienten mit del17p/TP53-Mutation ist die Behandlung mit Ibrutinib als Therapiestandard anzusehen, während Rituximab/Idelalisib und Venetoclax ausgezeichnete Alternativen bei Patienten darstellen, die Ibrutinib nicht erhalten können oder nicht vertragen.
In der Behandlung von älteren Patienten ohne derartige Hochrisikomutation ist Ibrutinib, auch wenn ein direkter randomisierter Vergleich mit dem Therapiestandard CD20-Antikörper plus Chlorambucil derzeit noch fehlt, zumindest als gleichwertige Alternative zu werten.
Bei jungen, fitten Patienten ist derzeit R-FC noch als Therapiestandard zu sehen, doch auch hier sind in näherer Zukunft Publikationen von Phase-III-Studien zu erwarten, durch die dieser Therapiestandard mit Ibrutinib und/oder Venetoclax (+/– CD20-Antikörper) ersetzt werden könnte.