Genmutationen bei akuter myeloischer Leukämie 


Somatische Genmutationen können bei einem großen Teil der Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) detektiert werden. Die genaue Kenntnis dieser Aberrationen kann dabei helfen, unser Verständnis der myeloischen Leukämogenese zu erweitern und stellt die Basis zur Entwicklung zielgerichteter Therapien dar. Darüber hinaus kommt ihnen eine herausragende Bedeutung in der Risikostratifizierung dieser Erkrankung zu.

Die AML ist eine heterogene, aggressive Neoplasie der Myelopoese und ist durch die Akkumulation somatischer, genetischer Aberrationen charakterisiert. Die Identifikation und Charakterisierung dieser Läsionen hat in der letzten Dekade massiv zugenommen und wurde durch die Einführung von „Next generation se­quen­cing“-Techniken weiter beflügelt. Dies führte zum vermehrten Verständnis der AML-Biologie und kann die Basis für die Entwicklung zielgerichteter Therapie­schemata darstellen. Die aktuelle WHO-Klassifikation myeloischer Neoplasien aus dem Jahre 2008 hat bereits auf diesen Erkenntnisgewinn reagiert und beschreibt eigene provisorische Subgruppen, die durch Mutationen in NPM1 und CEBPA definiert sind. „FLT3-internal tandem duplications“ (ITD) stellen derzeit zwar noch keine eigene Subgruppe dar, die routinemäßige Testung wird jedoch vor allem aufgrund der prognostischen Wertigkeit empfohlen. In der Zukunft ist eine vermehrte Aufnahme rekurrierender genetischer Aberrationen in Klassifikationsschemata zu erwarten. Von herausragender Bedeutung ist die genetische Charakterisierung in der Risikostratifizierung der AML, im Speziellen bei Patienten der zytogenetisch intermediären Risikogruppe. Patel und Kollegen konnten in einer rezenten Arbeit ein integratives Prognosemodell präsentieren, bei dem die prognostische Aussage durch eine Kombination zytogenetischer und molekularer Marker noch verfeinert werden konnte. Die rasante Entwicklung in diesem Feld wird auch durch eine kürzlich publizierte Arbeit von Grossmann und Kollegen weiter verdeutlicht, in der die Autoren erstmals ein Modell zur Risikostratifizierung der AML vorstellen, welches völlig unabhängig vom Karyotyp nur mit der Analyse molekularer Aberrationen auskommt.

Klassifizierung genetischer Aberrationen

Grundsätzlich werden Mutationen bei AML in so genannte Klasse-I- und -II-Alterationen eingeteilt. Klasse-I-Alterationen betreffen vorwiegend Signaltransduktionsmodule und resultieren in einer Induktion der Proliferation bzw. in einer Inhibierung der Apoptose. Klasse-II-Alterationen beeinträchtigen hingegen die myeloische Differenzierung. Eine gängige Hypothese besagt, dass ein simultanes Auftreten von Klasse-I- und -II-Mutationen für die Entstehung einer AML notwendig ist. Klasse-I-Alterationen (wie zum Beispiel mutiertes RAS) verursachen im Mausmodell zwar eine myelo­proliferative Erkrankung, reichen aber nicht aus, um die Transformation in eine AML zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, ist die gleichzeitige Einbringung von Klasse-II-Mutationen (wie zum Beispiel NPM1) nötig. Darüber hinaus gibt es jedoch auch noch Veränderungen, die sich keiner der beiden Gruppen klar zuordnen lassen. Dazu gehören einerseits Mutationen in Tumorsuppressorgenen, wie zum Beispiel TP53 oder WT1, andererseits aber auch Alterationen in Regulatoren der Epigenetik. In diesem Artikel sollen die häufigsten bei AML beschriebenen Mutationen kurz dargestellt werden.

 

 

Genetische Klasse-I-Aberrationen

FLT3

„FMS-like tyrosine kinase 3“ (FLT3) ist ein Rezeptor aus der FMS/Kit-Familie. Über diesen Rezeptor werden intrazelluläre Signaltransduktionskaskaden, wie zum Beispiel das RAS-MAPK/ERK-Modul aktiviert und dadurch wesentliche zelluläre Funktionen wie Proliferation, Apoptose und/oder Differenzierung reguliert. Tandemduplikationen in der Juxtamembran-Domäne, bzw. seltener auch in der Tyrosinkinasedomäne 1 (FLT3-ITD), kommen bei ca. 20–30 % aller AML-Fälle vor. Dies führt zu einer konstitutiven Aktivierung des FLT3-Rezeptors und der nachgeschalteten Signaltransduktionspfade, was zur malignen Transformation von Zellkultursystemen und zur Entwicklung von myeloproliferativen Syndromen bei Mäusen führt. Auch hier bedarf es jedoch sekundärer genetischer Ereignisse, wie zum Beispiel der zusätzlichen Einbringung von AML1/ETO oder PML/RARAα, um eine voll ausgebildete AML zu induzieren. Von klinischer Seite interessant ist der FLT3-ITD-Status vor allem bei Patienten mit normalen Karyotyp. In dieser Gruppe haben Patienten mit FLT3-ITD eine schlechtere Prognose als solche mit Wildtyp FLT3. Weiters zeigt sich der FLT3-Status von Bedeutung bei Patienten mit mutiertem NPM1. Obwohl diese an sich einen guten klinischen Verlauf zeigen, wird dieser durch simultanes Vorliegen einer FLT3-ITD negativ beeinflusst. Von therapeutischer Seite interessant ist, dass bereits spezifische FLT3-Tyrosinkinaseinhibitoren verfügbar sind, entsprechende Phase-II- und -III-Studien sind derzeit im Laufen.
Neben FLT3-ITD wurden auch noch Punktmutationen in der Tyrosinkinasedomäne (FLT3-TKD) bei AML beschrieben. Obwohl die meisten dieser Variationen ebenfalls in einer konstitutiven Aktivierung des FLT3-Rezeptors resultieren, scheinen die funktionellen Auswirkungen doch von FLT3-ITD zu differieren. Die prognostische Wertigkeit der FLT3-TKD-Mutationen ist umstritten und konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden.

RAS

Die Familie der RAS-Proteine (bestehend aus NRAS, KRAS und HRAS) leitet Signale von den Rezeptoren der Zellmembran zu intrazellulären Signaltransduktionskaskaden weiter. Mutationen werden bei ca. 30 % aller menschlichen Tumoren beobachtet und sind auch bei der AML häufig zu finden. NRAS ist bei ca. 10–15 % und KRAS bei ca. 5–10 % der AML-Patienten mutiert, wohingegen HRAS-Mutationen praktisch nicht vorkommen. Onkogene Eigenschaften in Zellkultur- und Maussystemen konnten dabei für die meisten bekannten Mutationen nachgewiesen werden. So entwickeln zum Beispiel Mäuse mit einer auf das hämatopoetische System fokussierten, somatisch induzierbaren Mutation in KRAS eine myeloproliferative Erkrankung, die der CML des Menschen gleicht. Wie für die anderen Klasse-I-Alterationen ist jedoch auch hier die zusätzliche Einbringung einer zweiten genetischen, die myeloische Differenzierung beeinflussenden Veränderung nötig, um die Transformation in eine AML zu ermöglichen. Im Hinblick auf die prognostische Wertigkeit von mutiertem RAS postulierten initiale Studien eine Assoziation mit schlechter Prognose. Dies konnte jedoch in Studien mit größeren Kohorten nicht bestätigt werden.

KIT

Das c-Kit- oder Kit-Gen codiert für die Kit-Rezeptor-Tyrosinkinase (CD117), die auf hämatopoetischen Stamm- und Progenitorzellen exprimiert wird. Über den Aktivierungsstatus dieses Rezeptors und durch die Signalweiterleitung der daruntergeschalteten Signaltransduktionswege werden in der Zelle vorwiegend Proliferation und Apoptose reguliert. Mutationen in Kit werden vor allem mit der Entstehung von Mastzellneoplasien in Verbindung gebracht, werden jedoch auch bei ca. 10 % aller Patienten mit AML detektiert. Am häufigsten sind sie dabei in der Subgruppe der so genannten „Core-binding factor“-Leukämien, also solchen mit t(8;21) oder inv(16). Die onkogenen Auswirkungen dieser Mutationen konnten mittlerweile in diversen In-vitro- und In-vivo-Modellen belegt werden. Von klinischer Seite von Bedeutung ist, dass mutiertes Kit den an sich guten klinischen Verlauf der „Core-binding factor“-Leukämien negativ zu beeinflussen scheint. Weitere Studien zur definitiven Abklärung des prognostischen Potenzials sind aber definitiv noch nötig.

Genetische Klasse-II-Aberrationen

NPM1

Mutationen im Exon 12 des Nucleo­phos­min(NPM1)-Gens kommen bei ca. einem Drittel aller Patienten mit AML vor und wurden in der 2008 publizierten WHO-Klassifikation der myeloischen Neoplasien als eigene provisorische Subgruppe kategorisiert. Patienten mit mutiertem NPM1 weisen charakteristische genetische, pathologische, immunologische und klinische Merkmale auf und zeigen eine aberrante zytoplasmatische Lokalisation des NPM1-Gens in myeloischen Blasten (NPMc+-AML). Das transformierende Potenzial von NPM1-Mutationen wurde in unzähligen In-vitro- und In-vivo-Modellen getestet und bewiesen. Obwohl transgene Mausmodelle mit mutiertem NPM1 myeloproliferative Neoplasien entwickeln, scheinen diese Mutationen alleine für die Entwicklung einer voll ausgebildeten AML jedoch zuwenig zu sein und bedürfen dafür der Einbringung weiterer kooperierender genetischer Alterationen. Tatsächlich wird auch in Patientenproben häufig eine Koexistenz von NPM1-Mutationen mit anderen Aberrationen wie zum Beispiel mutiertem IDH1 oder der Klasse-I-Alteration FLT3-ITD beobachtet. Die klinische Bedeutung von NPM1-Mutationen wurde vorrangig bei Patienten mit normalem Karyotyp untersucht und zeigte eine ausgesprochen hohe Chemosensitivität mit Remissionsraten von bis zu 80 %. Zumindest bei FLT3-ITD-negativen Fällen resultiert daraus auch eine deutlich verbesserte Prognose: Überlebensraten zeigten sich ähnlich gut wie bei den bekannten „Good risk“-AML mit t(8;21) oder inv(16), was dazu geführt hat, dass diese Patienten in den meisten Fällen nicht mehr als Kandidaten für eine allogene Stammzelltransplantation in der ersten kompletten Remission zu sehen sind.

CEBPA

„CCAAT/enhancer-binding protein alpha“ (CEBPA) ist ein Transkriptionsfaktor, über den essenzielle Prozesse in der Differenzierung myeloischer Zellen reguliert werden. Mutationen finden sich bei ca. 10 % aller Patienten mit AML, bei Fällen mit normalem Karyotyp kann die Häufigkeit jedoch auf bis zu 20 % ansteigen. Wie Mutationen in NPM1 wurden auch solche in CEBPA in der aktuellen WHO-Klassifikation als eigene Subgruppe definiert. Mutationen können einerseits im N-terminalen, andererseits aber auch im C-terminalen Bereich des Proteins auftreten. Während Erstere in einer verkürzten Form des Proteins mit dominant-negativer Aktivität resultieren, verursachen die C-terminalen Veränderungen häufig eine verminderte DNA-Bindungskapazität. Wenn beide Allele eine Mutation aufweisen, spricht man von so genannten biallelischen oder „Doppel-Mutationen“, eine Situation, die bei ca. zwei Drittel aller CEBPA-mutierten Patienten vorkommt. Das transformierende Potenzial von CEBPA-Mutationen im hämatopoetischen System wurde in In-vitro- und In-vivo-Modellen ausführlich untersucht. Es zeigte sich dabei eine defekte myeloische Differenzierung, im Speziellen der granulozytären Reihe, sowie die Induktion von myeloischen Neoplasien inklusive AML. CEBPA-Mutationen sind darüber hinaus von prognostischem Interesse für die AML, da sie bei Patienten mit normalem Karyotyp mit einem guten Krankheitsverlauf und Gesamtüberleben assoziiert sind. Es ist hierbei jedoch zu beachten, dass dies nur für die oben beschriebenen biallelischen Doppelmutationen gilt, während sich die anderen wie unmutiertes CEBPA verhalten.

RUNX1

„Runt-related transcription factor 1“ (RUNX1 oder AML1) ist ein für die hämatopoetische Differenzierung essenzieller Transkriptionsfaktor. Der Umstand, dass dieses Gen bei chromosomalen Translokationen (zum Beispiel AML1-ETO) betroffen sein kann, war bereits seit Langem bekannt. Erst kürzlich zeigte sich jedoch, dass unabhängig davon Punktmutationen bei ca. 10 % aller AML-Patienten vorkommen. Diese Aberrationen resultieren in einer Inaktivierung des RUNX1-Proteins, was wiederum zu einer gestörten Differenzierung führt und dadurch zur Leukämogenese beitragen kann. Im Einklang mit diesen Beobachtungen sind Mutationen in RUNX1 vorrangig mit undifferenzierten Subtypen assoziiert. Die Auswirkungen auf die Prognose sind bisher nicht genügend untersucht.

Andere Aberrationen

TP53

Das Tumorsuppressorgen TP53 ist wohl eines der am besten untersuchten und charakterisierten Gene in der Entwicklung menschlicher Karzinome. Bei der AML sind Mutationen in TP53 bei ca. 10 % der Patienten zu finden. Vorrangig kommen sie bei Patienten mit komplexen Karyotypen vor und sind mit einem schlechten klinischen Verlauf und einem deutlich verkürzten Gesamtüberleben assoziiert. Die funktionellen Auswirkungen von Mutationen in TP53 wurden vorrangig bei soliden Karzinomen untersucht. Dabei führen sie häufig zu einer Inaktivierung des p53-Proteins, was wiederum essenzielle zelluläre Funktionen, allen voran Apoptose und Zellzyklus stört. Es ist jedoch zu erwähnen, dass die mechanistische Rolle von mutiertem TP53 in der Entwicklung der AML noch ungenügend geklärt ist. Eine besondere Rolle nehmen TP53-Keimbahnmutationen in der Tumorprädisposition ein. Erst kürzlich konnte von unserer eigenen Gruppe gezeigt werden, dass die therapieassoziierte AML mit Tumorfamilien, die durch mutiertes TP53 gekennzeichnet sind, vergesellschaftet sein kann.

WT1

Das Wilms-Tumor-1-Gen (WT1) ist ein Transkriptionsfaktor, der in die Regulation der Apoptose, der Proliferation sowie der Differenzierung hämatopoetischer Zellen involviert ist. Bei AML kommen WT1-Mutationen mit einer Häufigkeit von ca. 10 % vor. Viele Studien berichten einen negativen Einfluss von WT1-Mutationen auf den klinischen Verlauf, dies wird jedoch durchaus noch kontroversiell diskutiert.

DNMT3A

DNA-Methyltransferase 3A (DNMT3A) ist ein Regulator der DNA-Methylierung und weist Mutationen in ca. 20 % aller Patienten mit AML auf, die meisten davon die Aminosäurenposition 882 betreffend. Diese Mutationen haben funktionelle Auswirkungen auf die Enzymaktivität von DNMT3A und können in Zellkultursystemen zu maligner Entartung führen. Von klinischer Seite konnte gezeigt werden, dass DNMT3A-Mutationen mit monozytärer Differenzierung der AML assoziiert sind, ihre Auswirkung auf die Prognose der AML ist bisher ungeklärt.

IDH1/2 und TET2

Mutationen in der Isocitrat-Dehydrogenase Typ 1 und 2 (IDH1 und IDH2) kommen bei ca. 10–15 % aller Patienten mit AML vor und finden sich in bis zu einem Drittel der Patienten mit normalem Karyotyp. Mutiertes TET2 findet sich in einer ähnlichen Häufigkeit (insbesondere bei zytogenetisch normaler AML). Bemerkenswert ist, dass entweder IDH- oder TET2-Mutationen, aber niemals beide Mutationen zusammen vorkommen. Funktionell zeigen diese Mutationen Auswirkungen auf den Methylierungsgrad der DNA in AML-Zellen, in erster Linie über die Beeinflussung der Hydroxylierung von Methylcytosin. Die prognostische Bedeutung dieser Mutationen ist noch nicht endgültig geklärt.

ASXL1

Das ASXL1-Protein ist in die epigenetische Regulation der Genexpression involviert. Mutationen in ASXL1 findet man bei ca. 10 % der AML-Fälle, wobei die funktionellen Auswirkungen dieser Mutationen auf die Hämatopoese noch weitgehend ungeklärt sind. Von klinischer Seite scheinen ASXL1-Mutationen eher mit ungünstigem Verlauf vergesellschaftet zu sein, genauere Studien diesbezüglich sind derzeit im Laufen.

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