Hämatologische Nebenwirkungen im Sinne einer Myelosuppression waren viele Jahre lang die dominierende und am meisten gefürchtete Toxizität bei der medikamentösen Therapie von Krebserkrankungen. Vor allem zytostatische Medikamente sind zu einem hohen Prozentsatz mit einer Myelosuppression unterschiedlichen Ausmaßes assoziiert. Immun-Checkpoint-Inhibitoren haben in den letzten Jahren eine Revolution in der medikamentösen Therapie von Tumoren ausgelöst. Trotz ihres mittlerweile breiten Einsatzes wurden hämatologische Nebenwirkungen unter Immun-Checkpoint-Inhibitoren bisher nur wenig systematisch untersucht und Informationen zu diesem Thema beschränken sich in erster Linie auf Fallberichte. In der folgenden Übersicht werden einige dieser Fallberichte dargestellt und im Hinblick auf ihre pathophysiologische und klinische Relevanz besprochen.
Inzidenzen: Die Inzidenz hämatologischer Toxizitäten bei insgesamt 5.088 Karzinompatienten, die Immun-Checkpoint-Inhibitoren im Zuge ihrer Therapie erhielten, wurde in einer Metaanalyse von 26 Studien ermittelt.1 Das Risiko einer all-grade-Anämie unter einer PD1-Inhibitor-Monotherapie lag bei 5 %, insbesondere bei Patienten mit Nierenzellkarzinom; das Risiko einer all-grade-Thrombopenie bei 2 % und das einer Neutropenie bei 1 %, das Risiko einer hochgradigen hämatologischen Toxizität war jedoch gering. Die Hämatotoxizität unter einer Kombination von PD1-Inhibitoren mit Ipilimumab, Peptidimpfstoff oder Chemotherapie war wesentlich höher und betrug für eine all-grade Anämie 13 %, für eine all-grade Thrombopenie 6 % und Neutropenie 4 %, eine hochgradige Thrombopenie wurde bei 4 % dieser Patienten beobachtet. Aus diesen Studien heraus ist es schwierig, den Pathomechanismus der jeweiligen Blutbildveränderungen zu ermitteln, es ist jedoch zu vermuten, dass Krankheits-assoziierte und Chemotherapie-assoziierte Blutbildveränderungen bei dieser Analyse einen wesentlichen Anteil ausmachten.
Pathomechanismen: Was den Mechanismus von Blutbildveränderungen betrifft, sind Fallberichte in vielen Fällen aussagekräftiger. Hier scheinen Immun-mediierte Blutbildveränderungen die wichtigste Rolle zu spielen. Immunologische Blutbildveränderungen sind v. a. dann zu suspizieren, wenn es sich um isolierte Zytopenien handelt, für die sonst keine Ursachen erkennbar sind. Während der Nachweis einer immunologischen Genese im Falle der autoimmunhämolytischen Anämie (AIHA) durch einen positiven Coombstest leicht gelingt, sind Thrombozytenantikörper im Hinblick auf ihren diagnostischen Wert bei Immunthrombopenie deutlich umstrittener. Der Beweis einer immunologisch bedingten Verminderung der neutrophilen Granulozyten ist mithilfe von Antineutrophilen-Antikörpern in der Regel gar nicht oder, wenn überhaupt, nur mit der Unterstützung einiger weniger Speziallabore zu erbringen. Ein guter Hinweis auf eine immunologische Ursache einer Blutbildveränderung ist jedoch in der Praxis ein deutliches Ansprechen auf eine immunsuppressive Therapie wie Kortikosteroide, auf intravenöses Immunglobulin oder auf Rituximab.2
Im Jahr 2009 wurde erstmals in der Literatur von einem Fall einer Pure Red Cell Aplasie (PRCA) unter einer anti-CTLA4-Therapie mit Ipilimumab bei einem 55-jährigen Mann mit einem Melanom berichtet.3 Der Patient hatte bereits an einer Vaccinestudie im Jahr 2004, einer Studie mit dem FAP-Inhibitor PT100 und einer Studie mit Carboplatin/Paclitaxel plus Sorafenib oder Placebo teilgenommen und erhielt nach einem neuerlichen Progress Ipilimumab in einer Dosis von 10 mg/kg alle drei Wochen. Bei dem Patienten gab es keine Hinweise für eine vorbestehende Autoimmunerkrankung. Er sprach auf diese Therapie an und entwickelte eine Hypothyreose und eine intermittierende Diarrhoe. Im Jahr 2007 erhielt der Patient wegen eines Rezidivs eine Reinduktionstherapie mit Ipilimumab. Zwei Wochen nach dem Beginn entwickelte sich eine transfusionsbedürftige Anämie mit einem Hämoglobinwert (Hb) von 5,4 g/dl und einer absoluten Retikulozytenzahl von 1.720/mcl bei normaler Thrombozytenzahl, normalem Eisen-, B12- und Folsäurespiegel und einem positiven direkten Coombstest. Im Knochenmark (KM) zeigte sich eine ausgeprägte erythroide Hypoplasie einer PRCA entsprechend.
Bei einer 52-jährigen Patientin mit einem Rezidiv eines Melanoms im Bereich der Labien wurde der Anti-PD1-Antikörper Pembrolizumab verabreicht.4 Nach der dritten Verabreichung entwickelte die Patientin eine ausgeprägte Anämie mit einem Hb von 6,3 g/dl. Hohe LDH, vermindertes Haptoglobin und positiver direkter Coombstest wiesen auf das Vorliegen einer AIHA hin. Interessant war auch eine ausgeprägte Verminderung der Retikulozytenzahl, die bei Fehlen von erythropoetischen Zellen im Knochenmark als Ausdruck einer gleichzeitigen PRCA zu betrachten war. Die Anämie sprach auf Glukokortikoide sehr gut an, die Patientin verstarb dann allerdings am Progress der Grunderkrankung. Obwohl der genaue Mechanismus für die Entwicklung der PRCA und der AIHA nicht näher abgeklärt wurde, ist in diesem Fall eine Aktivierung von zytotoxischen T-Zellen mit konsekutiver zellulärer und humoraler immunologischer Attacke erythropoetischer Zellen inklusive der erythropoetischen Progenitorzellen im Rahmen der Immun-Checkpoint-Inhibition zu vermuten.
Vor kurzem wurde erstmals über die Exazerbation einer AIHA nach der ersten Dosis von Pembrolizumab berichtet.5 Ein 82-jähriger japanischer Patient mit Lungenkarzinom hatte bereits vor der Behandlung mit Pembrolizumab eine chronische Anämie mit einem positiven direkten und indirekten Coombstest, eine definitive Diagnose einer AIHA wurde jedoch zu dieser Zeit nicht gestellt. 17 Tage nach der ersten Pembrolizumab-Verabreichung wurde der Patient mit einer schweren hämolytischen Anämie (Hb = 3,6 g/dl) aufgenommen. Zwei Wochen nach Beginn einer Glukokortikoid-Therapie stabilisierte sich das Blutbild und die Hämolyseparameter gingen zurück. Dieser Fallbericht weist darauf hin, dass es vor Beginn einer Immun-Checkpoint-Inhibitor-Therapie wichtig ist, den präexistenten Autoimmunstatus des Patienten zu überprüfen. Insgesamt wurde in der Datenbasis der FDA bisher bei 68 Patienten die Entwicklung einer AIHA unter der Gabe von Immun-Checkpoint-Inhibitoren dokumentiert.6
Eine immunologische Zerstörung der Hämatopoese unter einer Immun-Checkpoint-Inhibitor-Therapie scheint jedoch nicht nur auf die rote Zellreihe beschränkt zu sein. Die Entwicklung einer Immunthrombopenie wurde bisher bei zwei Patientinnen berichtet.7 Eine 47-jährige Patientin mit rezidiviertem, BRAF-mutiertem Melanom wurde mit einer Kombination eines anti-PD1-Antikörpers mit einem anti-CTLA4-Antikörper behandelt. Zwei Wochen nach Beginn der Behandlung präsentierte sich die Patientin mit einer Blutungsneigung und Thrombopenie. Die Diagnose Immunthrombopenie wurde durch eine Beckenkammbiopsie bestätigt. Bei fehlendem Ansprechen auf Steroide und Immunglobulin kam es erst nach Rituximab zu einer Verbesserung und Stabilisierung der Thrombozytenzahl. Eine 45-jährige Patientin mit BRAF-Wildtyp Melanom erhielt eine anti-PD1-Monotherapie und wurde 43 Tage danach thrombopenisch. Eine dreiwöchige Glukokortikoid-Therapie verbesserte die Thrombopenie, die aber auch in der Folge Steroide benötigte. Nach einem Wechsel auf eine anti-CTLA4-Monotherapie entwickelte die Patientin eine schwere Thrombopenie mit einer intrakraniellen Blutung, die zwar mit Prednisolon, intravenösem Immunglobulin und Rituximab erfolgreich behandelt werden konnte, aber eine Beendigung der Immun-Checkpoint-Inhibitor-Therapie notwendig machte.
Die Kombination einer Anämie und einer Neutropenie wurde bei einem 73-jährigen Mann mit Lungenmelanom und Hirnmetastasen berichtet, der mit Nivolumab behandelt wurde.8 Auch in diesem Fall deutete der Rückgang der Bizytopenie nach Kortikosteroid-Verabreichung auf eine immunologische Ursache dieser Blutbildveränderung hin.
Schließlich ist noch die Entwicklung einer Panzytopenie bei einem 56-jährigen japanischen Patienten mit Lungenkarzinom unter einer Nivolumab-Therapie zu erwähnen.9 In diesem Fall führte jedoch die Verabreichung von Kortikosteroiden und von intravenösem Immunglobulin zu keiner Verbesserung des Blutbildes und der Patient verstarb 118 Tage nach Beginn der Panzytopenie an der Progression des Lungenkarzinoms. Eine immunologische Ursache dieser Blutbildveränderung konnte daher hier nicht eindeutig bewiesen werden.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass immunologische Beeinträchtigungen des Blutbildes durch Immun-Checkpoint-Inhibitoren eher selten sind, aber durchaus klinisch relevant sein können und den Beginn einer immunsuppressiven Therapie erfordern. Es dürfte sich hier um einen Klasseneffekt handeln, da bei Auftreten einer derartigen Nebenwirkung unter einer Immun-Checkpoint-Inhibitor-Therapie auch bei Wechsel auf eine andere Substanz mit einer ähnlichen Problematik zu rechnen ist. Grundsätzlich sprechen die meisten Patienten mit diesen Komplikationen auf immunsuppressive Therapien an, die auch bei immunologischen Blutbildveränderungen anderer Genese angewendet werden und etabliert sind. Je nach Schweregrad kann allerdings eine solche Komplikation die Beendigung einer Immun-Checkpoint-Inhibitor-Therapie erfordern. Immunologische Beeinträchtigungen des Blutbildes durch Immun-Checkpoint-Inhibitoren können jede Zellreihe der Hämatopoese betreffen, am häufigsten ist jedoch die Entwicklung einer AIHA zu beobachten. Es ist also zu vermuten, dass sich die zelluläre und/oder humorale immunologische Attacke gegen die unterschiedlichen Stamm-/Progenitor-zellen oder auch gegen die reiferen Zellen der Hämatopoese (wie im Falle der AIHA) richten kann. Wichtig ist das Wissen der Anwender von Immun-Checkpoint-Inhibitoren, dass es diese Nebenwirkungen gibt, wie sie diagnostiziert und wie sie behandelt werden können. Nur dann kann der klinische Nutzen dieser neuen, vielversprechenden Medikamentenkategorie zum Wohle der von uns betreuten Patienten optimal ausgeschöpft werden.