Interdisziplinarität in Palliative Care aus Sicht der Palliativpflege

Innehalten: Wenn du an das Bett eines sterbenden Menschen kommst, dann verschränke zuerst deine Hände am Rücken und frage dann: „Was kann ich für dich tun?“ (Cicely Saunders)
„Innehalten“ bedeutet es auch für die Pflege, wenn sie im interdisziplinären Kontext Palliative Care tätig ist.
Es bedeutet, sich der Haltung bewusst zu sein, die es erfordert, um gemeinsam mit den KollegInnen der anderen Professionen PalliativpatientInnen und deren Angehörige zu betreuen.
Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um Palliative Care lebbar zu machen. Das Leitbild der Palliativpflege ist im Wesentlichen durch drei Schwerpunkte definiert (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin):

Der Mensch: Der Mensch wird als ganzheitliches Wesen wahrgenommen. Psyche, Physiologie, Spiritualität und soziale Einbindung prägen ihn. Seine Einzigartigkeit als Mensch und im Erleben der Krankheit wird respektiert und geachtet. Ziel und Aufgabe der Palliativpflege ist es, eine professionelle, ganzheitliche, individuelle und kreative Pflege anzubieten, dabei die Autonomie der PatientInnen zu wahren und zu fördern und jeden Tag für sie den Möglichkeiten entsprechend so gut es geht lebbar zu machen.

Die Angehörigen: Sich Zeit nehmen für die Angehörigen, ihre Bedürfnisse und Ängste erkennen und sie in den Pflegeprozess mit einbinden ist eine weitere wesentliche Aufgabe.

Das Team: Palliativpflege ist durch die Arbeit im interdisziplinären Team gekennzeichnet.

„Wir tragen zu einer klaren Rollen- und Aufgabenverteilung bei. Regelmäßige Patientenbesprechungen, Teamgespräche und Supervisionen sind fester Bestandteil. Wir unterstützen uns gegenseitig, akzeptieren unsere Grenzen, unsere Stärken und Schwächen. Wir arbeiten und kommunizieren offen miteinander.“ (Auszug Leitbild Palliativpflege).

Teamarbeit praxisnah Fallbericht einer Patientin mit Mammakarzinom

Was bedeutet oben Gesagtes in der Betreuung dieser jungen Patientin? Eine umfassende Einsicht in die Krankheitssituation ist Voraussetzung für das Umsetzen einer individuellen und bedürfnisorientierten Pflege. Welche Symptome und Komplikationen können auftreten, und welche Therapiemöglichkeiten gibt es? Wie gut ist die Patientin über ihre Erkrankung aufgeklärt, welche Sorgen, Bedürfnisse und Erwartungen beschäftigen sie, und in welches soziale Gefüge ist sie eingebunden?
Um von Anbeginn der Betreuung ein gutes Fundament zu schaffen ist es sinnvoll, das erste Gespräch mit der Patientin gemeinsam mit ÄrztIn und Pflege zu führen.
Im weiteren Verlauf ist es neben der täglichen PatientInnenbesprechung notwendig, jederzeit mit dem/der zuständigen ÄrztIn Rücksprache halten zu können, um auf akut auf tretende Symptome oder Veränderungen der Patientin schnellstmöglich reagieren zu können.
Schmerzen, Dyspnoe, Angst, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Müdigkeit, Schwäche und Ödeme sind nur einige der Symptome, die die Patientin massiv belasten können.
Die Durchführung einer weiteren Chemotherapie steht als Frage vorerst für die Patientin noch im Raum. Welche Erwartungen und Hoffnungen sind damit verbunden, werden dadurch ausgelöst? Welche Therapie ist in der jetzigen Situation angemessen und sinnvoll?
Gemeinsame Visiten von ÄrztInnen und Pflege bei der Patientin gewährleisten einen gleichwertigen Informationsstand und ermöglichen es der Pflege, für die Patientin in der weiteren Betreuung eine ehrliche und empathische Gesprächspartnerin zu sein. Eingebunden in pflegerische Tätigkeiten kann eine Atmosphäre entstehen, die es der Patientin möglich macht, Fragen zu stellen oder Gefühle auszusprechen, die in einem anderen Rahmen nicht so leicht zur Sprache kommen.
„Die Pflege weiß, was besprochen worden ist, und kann mit dem Patienten jetzt auch ganz offen weitergehende Fragen diskutieren. Können wir wirklich auf diese Art von Informationen und Teamgeist verzichten?“1
Durch die Bezugspflege ist es möglich, eine sehr individuelle auf die Patientin abgestimmte Pflege zu ermöglichen – u. a. ressourcenunterstützende Körperpflege, Einreibungen und Lagerungen – die neben der medizinischen Therapie zu einer wirkungsvollen und ganzheitlichen Symptomkontrolle beitragen. Die regelmäßige Evaluierung der durchgeführten Tätigkeiten ist dabei ein wichtiges Qualitätsmerkmal der Pflege.
Die Patientin möchte nach Hause ihrer Familie jedoch nicht zur Last fallen, die Sorge um ihre Kinder, ihren Mann, die Dimension des Schmerzes geht weit über die des physischen hinaus.
Um den Tagen zu Hause so viel Qualität wie möglich zu geben, ist es wichtig, gemeinsam mit der Patientin und ihrer Familie, der ÄrztIn, der SozialarbeiterIn und der Pflege zu erheben, welche Unterstützungsmöglichkeiten notwendig sind. Das Einbinden der Familie in pflegerische Tätigkeiten vermittelt Sicherheit und hilfreich zu sein.
In der Dichte dieser Betreuungssituation ist es notwendig, kurze und flexible Kommunikationswege zwischen der Pflege und den anderen Professionen zu gewährleisten.
Die deutliche Verschlechterung der Patientin innerhalb weniger Tage und der beginnende Sterbeprozess erfordern vom gesamten Team andere Prioritäten. Die ganzheitliche Betreuung der Patientin im Sterben, ein Zurücknehmen pflegerischer Tätigkeiten auf ein sinnvolles „Weniger ist mehr“ (z. B. kreative Mundpflege, Mikrolagerung), eine bestmögliche Symptomkontrolle und die Begleitung der Familie fordern die vielfältigen Kompetenzen, Ressourcen und Persönlichkeiten des interdisziplinären Teams.

1 Peter Fässler-Weibel/Alexander Gaiger, 2009 „Über den Schatten springen“ S. 51/52