Aufgrund der außerordentlichen Bedeutung für die personalisierte Medizin sind nachfolgend zwei Pionierarbeiten dargestellt, die BATTLE-Studie und eine Studie von Daniel Von Hoff, die als Paradigmenwechsel eine neue Studiengeneration einleiten und die Umsetzung der Biomarkerforschung in der Klinik beschleunigen können – wie das in bisherigen Studien mit zielgerichteten Substanzen vielfach gefordert wurde, oft retrospektiv und lediglich in Ausnahmefällen prospektiv erfolgt ist. Beide Studien lassen sich in das Jahr 2005 zurückverfolgen und wurden im Jahr 2010 publiziert.1–4
Bislang wurden Studien mehrheitlich so geführt, dass man eine neue Therapie mit einem Goldstandard verglichen hat, in einer verblindeten Phase-III-Studie mit je nach Indikation unterschiedlich vielen Patienten, die jeweils zu einem Teil in den Standard- bzw. investigativen Arm randomisiert wurden. Heute ergibt sich mit molekularen Markern oft auch innerhalb einer Tumorentität ein unterschiedliches Bild. Wird nur ein Marker untersucht, der mutiert oder nicht mutiert ist, können Patienten einer Tumorentität weiterhin in zwei Gruppen aufgeteilt werden, allerdings verringert sich die Patientenzahl. Tritt die Mutation bei 50 % der Patienten auf, können von 100 gescreenten Patienten pro Studienarm nur mehr 25 Patienten zugeteilt werden. Tritt die Mutation seltener auf, wie etwa eine EGFR-Mutation bei NSCLC z. B. in 5 % der Fälle, kommen von 1.000 gescreenten Patienten überhaupt nur mehr 50 in Frage, die dann noch jeweils in zwei Therapiearme aufgeteilt werden. Das bedeutet für jede Studiengruppe eine enorme Herausforderung, nicht zuletzt auch weil die Zahl der notwendigerweise zu screenenden Patienten in keinem Verhältnis zur Target-Population steht. Ein Lösungsansatz besteht darin, dass man verschiedene Mutationen (wie z. B. RAF, ALK oder EGFR) gemeinsam in einem so genannten „Umbrella“-Protokoll erfasst und je nach Vorliegen einer bestimmten Mutation Subgruppen definiert, was den Screening-Prozess erleichtert. Der Ansatz wird z. B. von der SWOG beim Kolorektalkarzinom verfolgt. Wenn aber eine Substanz geprüft werden soll, bei der mehrere Marker einen Einfluss auf die Wirksamkeit nehmen, wird die an sich schon komplexe Situation noch komplizierter, die Aufteilungen immer diffiziler, und wieder kommen nur die wenigsten Patienten überhaupt in Frage. Sodass man heute zwangsläufig in eine Situation kommt, in der trotz vielleicht großer Tumorentitäten einfach nicht mehr genug Patienten für eine Studie vorhanden sind, von seltenen Tumorentitäten wie z. B. dem cholangiozellulären Karzinom gar nicht zu sprechen, bei dem selbst klassische Phase-III-Studien schwer zu beschicken sind und eine Selektion nach Biomarkern in einer sinnvollen Randomisierungszeit gar nicht mehr möglich ist. Tatsache ist aber, dass selbst große Tumorentitäten im Rahmen von Biomarker-Untersuchungen in viele „orphan diseases“ aufgeteilt werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass Zulassungsbehörden kleinere Subgruppen und damit Studien mit geringeren Patientenzahlen anerkennen, wie das bei originären „orphan diseases“ praktiziert wird. So hat die FDA zuletzt eine Phase-II-Studie bei Patienten mit ALK-positivem Bronchialkarzinom als Zulassungsstudie für den ALK-Inhibitor Crizotinib anerkannt (nicht so die EMA; die randomisierte Daten forderte, was die Zulassung um mehr als 1 Jahr verzögerte, Anm.). Subgruppenauswertungen aus Biomarkerstudien mit geringen Fallzahlen werden natürlich ebenfalls erschwert. Die Onkologie ist hier mit einer Entwicklung konfrontiert, die neu ist und zunehmend an ihre Grenzen stößt.
Ein zweiter Punkt besteht darin, dass „drugable“ Targets, die sich für zielgerichtete Therapien eignen, bei verschiedenen Tumoren zur Ausprägung kommen und nicht an die anatomischen Grenzen eines Tumors gebunden sind. HER2 beispielsweise wird nicht nur beim Mammakarzinom überexprimiert, sondern in einem gewissen Prozentsatz auch beim Magenkarzinom, was zur Zulassung von Trastuzumab in beiden Indikationen geführt hat. Letztlich geht es darum, ob ein Marker exprimiert ist, ja oder nein. Wenn ja, besteht Hoffnung, dass eine dagegen gerichtete Therapie auch zur Wirkung kommt, unabhängig von der ursprünglichen Indikation. Das gilt zwar nicht immer, HER2 wird z. B. auch beim Urothelkarzinom exprimiert, hat aber in dieser Indikation bislang als Zielstruktur für eine HER2-gerichtete Therapie enttäuscht. Nichtsdestotrotz ergibt sich ein neues Konzept, mit dem die anatomischen Grenzen eines Tumors in den Hintergrund treten. BRAF-Inhibition hat beim BRAF-mutiertem Melanom zur Zulassung geführt. Darüber hinaus findet man BRAF-Mutationen in 5–10 % der Fälle auch beim Kolorektalkarzinom. Es gibt eine biologische Wirkung von BRAF-Inhibitoren auch beim Kolorektalkarzinom, allerdings nicht in der gleichen Ausprägung wie beim Melanom, sodass man – Studien dazu sind am Laufen – das eine Wirkprinzip mit einer zweiten zielgerichteten Therapie koppelt. Das heißt, wir befinden uns derzeit in einem kontinuierlichen Lernprozess, wie die verfügbaren Therapieprinzipien am besten zur Wirkung kommen. Auch hier ergibt sich die Frage, wie man sinnvolle Protokolle aufsetzt, um zu prüfen, ob eine individualisierte Therapie wirkt oder nicht.
Zwei interessante neue Konzepte wurden in der BATTLE-Studie1 und in der Studie von Daniel Von Hoff2 realisiert.
Die BATTLE-Studie, Personalizing Therapy for Lung Cancer3, 4 konzentriert sich auf nur eine Tumorentität, das nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom (NSCLC), bei dem heute zwar schon molekular selektionierte Therapien für eine Subgruppe von Patienten verfügbar sind, bei dem aber noch viel mehr Substanzen in konventionell-randomisierten „All comer“-Phase-III-Studien keinen Erfolg belegen konnten (z. B. auch Bexaroten, Sorafenib, Vandetanib). Nach dem Credo von Daniel Von Hoff gibt es allerdings keine schlechten Substanzen, sondern nur ein schlechtes Studiendesign zur Evaluierung einer Substanz.
In diese prospektive, biomarkerbasierte Phase-II-Studie mit einem Umbrella-Protokoll wurden NSCLC-Patienten nach Aufbrauch aller Standardtherapien eingeschlossen und zur molekularen Charakterisierung des Tumors neu biopsiert („Real time“-Biopsie), was beim Lungenkarzinom sicher eine Herausforderung darstellt, für biomarkerbasierte Studien aber aus verschiedenen Gründen essenziell ist. Nur so erhält man einen unmittelbaren Eindruck über ein gerade vorherrschendes Target; die Biopsie bei der Diagnose, zumal wenn diese lange zurückliegt und verschiedene Therapielinien bereits durchlaufen sind, ist dafür nicht wirklich aussagekräftig. Nach unserer Erfahrung ist es so, dass Patienten, wenn sie gut aufgeklärt sind, in aller Regel bereit sind, Näheres über den Tumor zu erfahren, die Komplikationsraten einer Rebiopsie sind gering, andernfalls würden Ethikkommissionen auch nicht zustimmen. Auf der anderen Seite sind Rebiopsien beim Mammakarzinom bereits Standard, da sich Targets, z. B. Hormonrezeptoren, in der metastasierten Situation ändern können.
Biomarkerprofil und Substanzwahl: In der BATTLE-Studie wurde ein klinisch praktikables und weitgehend überschaubares Biomarkerprofil erstellt. Die Auswahl der Substanzen reicht in das Jahr 2005 zurück, also etwa in jene Zeit, als Erlotinib noch ohne Biomarker-Selektion für das Gesamtkollektiv aller NSCLC-Patienten zugelassen wurde. Das Biomarkerpanel bestand aus EGFR, KRAS/BRAF, VEGF/VEGFR-2, Retinoid-X-Rezeptor/Cyclin D1. Die aus Phase-II/III-Studien bereits bekannten Therapien waren Erlotinib (ein EGFR-Tyrosinkinasehemmer, der heute bei NSCLC mit EGFR-aktivierenden Mutationen eingesetzt wird), Vandetanib (ein dual wirksamer VEFGR-EGFR-Tyrosinki
nasehemmer mit Zulassung beim medullären Schilddrüsenkarzinom), Bexaroten (ein Retinoid-Analogon für das kutane T-Zell-Lymphom) sowie Sorafenib (ein Multikinasehemmer mit antiproliferativer und antiangiogenetischer Wirkung, zugelassen beim Nieren- und Leberzellkarzinom).
Bayesianische Statistik: Es wurde in der Studie eine selbstlernende Statistik verwendet, das Bayesian-Modell, das sich für diese Art von Studien durchsetzen dürfte. Es handelt sich um ein Modell, mit dem die Ergebnisse einzelner Patienten, z. B. Ansprechen oder Nichtansprechen einer Therapie auf bestimmte Biomarker, in die nächste Therapieentscheidung bereits einfließen, was die Wahrscheinlichkeit eines Benefits erhöht (adaptive mehrstufige Randomisierung); das heißt, anders als bei einer verblindeten Studie wird eine Substanz, die bei etlichen Patienten keinen Benefit zeigt, unter den gegebenen Voraussetzungen auch nicht mehr eingesetzt.
Ergebnisse der Battle-Studie: Die Besonderheit besteht darin, dass die individuellen Marker (Targets) eine bessere Krankheitskontrolle mit einer bestimmten Substanz vorhersagen konnten und dass die Krankheitskontrolle (Tumorstabilisierung) nach 8 Wochen mit einem längeren Gesamtüberleben einherging. Beispielweise war dies bei EGFR-Mutationen mit Erlotinib der Fall, das heißt, man hatte in dieser ersten prospektiven Studie zur personalisierten Medizin mit einem neuen Studiendesign schon Hinweise auf den heutigen Standard in Händen – die Anwendung von Erlotinib bei NSCLC mit EGFR-aktivierenden Mutationen. Umgekehrt wurde mit Sorafenib (das bei NSCLC nicht zugelassen ist) eine sehr hohe Krankheitskontrollrate bei EGFR-Wildtyp-Patienten festgestellt (nicht aber bei Patienten mit EGFR-aktivierenden Mutationen). Auf der anderen Seite hat eine primär antiangiogenetische Substanz, Vandetanib, bei EGFR-Mutationen ebenfalls eine gewisse Wirkung zeigen können, letztlich als Ausdruck dessen, dass Multityrosinkinasehemmer keine wirklich spezifischen Substanzen sind und dosisabhängig mehrere Tyrosinkinasen erfassen (Abb. 2).
Ein zweites Konzept wurde in der Pilotstudie von Daniel von Hoff1, 2 umgesetzt. Auch hier wurden Patienten nach Durchlaufen der jeweiligen Standardtherapien eingeschlossen, und auch hier wurde eine „Real time“-Biopsie durchgeführt, d. h. die Patienten sind zur Erstellung eines Tumorprofils neuerlich biopsiert worden. Die molekularen Analysen wurden in einem zertifizierten Labor durchgeführt und die Ausrichtung der Therapie erfolgte danach orientiert, ob eines der gefundenen Targets einer zielgerichteten Therapie zugeführt werden kann. Last, not least wurden die molekular orientierten Therapievorschläge mit jenen Therapiemaßnahmen verglichen, die erfahrene Kliniker in der jeweiligen Situation durchgeführt hätten – in dieser Hinsicht gab es kaum Übereinstimmungen.
„Crossing anatomic border“-Design: Bemerkenswert an dieser Studie ist das „Crossing anatomic border“-Design, d. h. es sind Patienten mit jeglicher Tumorentität aufgenommen worden, die dadurch auch unterschiedliche Lebenserwartungen hatten. Die Strategie war daher, dass die jeweiligen Patienten als eigene Kontrolle dienten, in dem Sinn, dass das progressionsfreie Überleben unter der aktuellen Therapie um das 1,3-Fache besser sein musste als unter der unmittelbar zuvor verabreichten Therapie – was prinzipiell nicht leicht zu erreichen ist, weil die Erfahrung zeigt, dass das progressionsfreie Überleben mit fortschreitenden Therapielinien kürzer wird und nicht länger. D. h. in diesem Studienkonzept ist der Patient seine eigene Kontrolle, wodurch unterschiedliche Tumorentitäten mit unterschiedlichen Biomarkerprofilen in eine Studie einfließen können. Bei 66 Patienten wurde ein therapierbares („drugable“) Target gefunden und eine darauf beruhende individualisierte Therapie durchgeführt. Die Studie war positiv, knapp ein Drittel der konventionell therapierefraktären Patienten hatte ein mehr als 1,3-fach längeres progressionsfreies Überleben als unter der Vortherapie. Die Therapieprinzipien, die zur Anwendung kamen, sind nach unserem konventionellen Zugang sehr ungewöhnlich. So wurde beispielsweise bei einem Patienten mit ekkrinem Schweißdrüsenkarzinom Sunitinib verabreicht, ein anderer Patient mit Kolonkarzinom hat Mitomycin und Sunitinib erhalten, und zwar aufgrund einer BCR2-Mutation (Mitomycin) und c-Kit-Überexpression (Sunitinib). Ein Patient mit cholangiozellulärem Karzinom hat Cetuximab und Irinotecan bekommen, weil EGFR überexprimiert war (Cetuximab) und eine Topoisomerase-I-Mutation vorlag (Irinotecan). Das sind zwar einerseits unkonventionelle Therapiekonzepte, auf der anderen Seite war die Studie positiv, was die Richtigkeit der biomarkergestützten Therapieentscheidung belegen kann. Das heißt, man geht hier einen neuen Weg, zugleich wird in dieser neuen Studiengeneration auch das tumorspezifische molekularbiologische Wissen besser abgebildet als bisher.
An der MedUni Wien läuft derzeit ein „Umbrella“-Protokoll namens „Humphrey“, das sich ausschließlich mit der optimalen molekularen Diagnostik beschäftigt, die nicht immer invasiv sein muss, sondern z. B. auch die Serumdiagnostik zirkulierender Tumorzellen beinhaltet und der molekularen Profilerstellung eines Tumors dient. In Subprotokollen könnte man Patienten mit einer BRAF-Mutation einen BRAF-Inhibitor verabreichen, und zwar unabhängig von der Tumorentität. Eine weitere Studie ist das EXACT-Protokoll, mit dem wir in ähnlicher Weise wie Daniel Von Hoff den personalisierten Therapieansatz auf eine tragfähige wissenschaftliche Basis stellen möchten. Tragfähige wissenschaftliche Basis heißt, dass es sich hierbei nicht um einen „individuellen Heilversuch“ im klassischen Sinn handelt, bei dem man eine Therapie mehr oder weniger aus einem Gefühl heraus verabreicht, sondern um ein evidenzbasiertes Konzept mit immunhistochemischen und molekularbiologischen Analysen zur Profilerstellung von Tumoren mit darauf basierter Therapie und gleichzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. So eröffnen sich Chancen zur prospektiven Evaluierung von Biomarkern für das Therapieansprechen, was einer fundamentalen onkologischen Forderung entspricht, die in der bisherigen Herangehensweise aber nur langsam voranschreitet – weshalb bei 930 neuen zielgerichteten Substanzen in klinischer Evaluierung ein Paradigmenwechsel unumgänglich ist.