SPECTRUM ONKOLOGIE: Durch die Multikinaseinhibitoren Pazopanib, Sorafenib und Sunitinib, durch die mTORInhibitoren Everolimus und Temsirolimus sowie den antiangiogenetisch wirksamen VEGF-Antikörper Bevacizumab gab es in den Zulassungsstudien einen deutlichen Fortschritt mit signifikanter Verlängerung des PFS. Spiegelt sich der Fortschritt im klinischen Alltag wider?
Univ.-Prof. Dr. Richard Zigeuner: Nicht im Detail ausgewertet, spiegelt sich die Studiendatenlagen auch im klinischen Alltag wider, mit der Einschränkung, dass wir mit Bevacizumab aufgrund der i. v. Verabreichung, die der onkologischen Abteilung vorbehalten ist, keine Erfahrung haben. Bei den peroralen Therapien entspricht das PFS in etwa dem Zeitabschnitt, wie dieser von den Studien zu erwarten war.
Das PFS wird verlängert. Können Sie Aussagen bezüglich des Overall Survival (OS) treffen?
Wir können heute den Krankheitsverlauf deutlich verlängern. Gefühlsmäßig würde ich sagen, dass schon auch das OS günstig beeinflusst zu werden scheint. Das lässt sich aber aus den Studien nicht ablesen, da all diese Studien ein Crossover- Design haben und Patienten, die aus der Studie herausfallen wiederum mit anderen Therapien behandelt werden. Im Vergleich mit historischen Kollektiven vor der targeted Ära zeigt sich schon, dass sich das Gesamtüberleben insgesamt – würde man alle neuen verfügbaren Therapien als Summationseffekt sehen – zu verlängern scheint.
Wie leitliniengerecht wird das mRCC an Ihrer Abteilung (Abteilungsleitung: Univ.-Prof. Dr. Karl Pummer) therapiert?
Wir therapieren genau nach den Leitlinien, da die Krankenkassenpolitik dahin geht, dass nur exakt nach den Leitlinien die Therapien bewilligt werden. Eine nicht leitliniengerechte Therapie würden wir nicht oder nur mit Schwierigkeiten bewilligt bekommen. Das Problem ist allerdings, dass die Leitlinien bei der Zweitlinientherapie enden, da es ab der Zweitlinie keine große Evidenz mehr gibt. Studien in der Drittlinie beginnen erst anzulaufen. Ab der Drittlinie entscheiden wir aktuell individuell und suchen einen Konsens mit den Krankenkassen. Diesbezüglich sind die Krankenkassen heute nicht mehr so restriktiv, da es ein Faktum ist, dass die klinische Realität immer schneller voranschreitet als die Studiendatenlage.
Wie fällen Sie die Entscheidung bei der Drittlinientherapie?
Das hängt von der individuellen Verträglichkeit der bisherigen Therapien ab und wir werden dann eventuell auch wieder den Wechsel der Substanzgruppe in Erwägung ziehen. Unter Umständen kehren wir auch wieder zur verwendeten Erstlinientherapie zurück, da diese wieder wirksam sein könnte.
Je nach verwendeter Substanz gibt es ein breites Spektrum an potenziellen Toxizitäten. In Anbetracht dessen: Was ist das Therapieziel?
Therapieziel ist, die Therapiedosis möglichst beizubehalten und die Nebenwirkungen durch entsprechende prophylaktische Maßnahmen und frühzeitige spezifische supportive Therapien gut in den Griff zu bekommen. Hier holen wir uns die jeweiligen Fachdisziplinen ins Boot, je nachdem, um welche Art der Nebenwirkung (Hypertonie, kardiovaskulär, gastroenterologisch, hämatologisch, dermatologisch) es sich handelt. Nebenwirkungen sollten ohne Dosisreduktion beherrschbar sein. Ist dies nicht möglich, muss eine Dosisreduktion oder eine Pause in Kauf genommen werden.
Untersuchungen zeigen, dass nach Absetzen einer antiangigenetischen Therapie die Gefäßneubildung relativ rasch wieder in die Gänge kommt. Bis derTumor aber effektiv wieder wächst, dauert es noch. Manchmal muss man aber einfach pausieren, z. B. im Zuge einer geplanten Operation. In diesem Fall muss die antiangiogenetische Therapie zwei Wochen vor und zwei Wochen nach der Operation abgesetzt werden, da es sonst zu Problemen bei der Wundheilung kommen würde.
Die Mehrzahl der Studien mit neuen Medikamenten wurde ausschließlich beim klarzelligen RCC durchgeführt. Haben Sie Patienten mit nichtklarzelligem RCC, und welche Therapien kommen zum Einsatz?
Patienten mit nichtklarzelligem RCC sind selten und sind auch schwerer zu behandeln, da die Datenlage relativ schwach ist. Es bieten sich gemessen an der derzeitigen Studiensituation am ehesten Temsirolimus oder Sunitinib an.
Das metastasierte Nierenzellkarzinom ist nicht heilbar. Das heißt, mit allen neuen Substanzen ist man in einer Palliativsituation. Abseits der tumorspezifischen Therapie: wann wird dazu Best Supportive Care eingesetzt?
Dies wird vom Allgemeinzustand, der Symptomatik des Patienten abhängig gemacht. Im Allgemeinen sind die tumorspezifischen Therapien ohnehin nur für Patienten geeignet, die einen ausreichend guten Allgemeinzustand aufweisen. Im Prinzip kommen Best-Suppor – tive-Care-Maßnahmen zum Einsatz, wenn die Patienten die tumorspezifischen Therapien nicht mehr tolerieren und wir keine weitere Option mehr offen haben.
Welchen Austausch haben Sie mit der onkologischen Abteilung betreffend Therapieentscheidung?
Jeder Patient wird bei Erstdiagnose bzw. vor jeder weiteren Therapieentscheidung infolge eines Progress oder bei entsprechender Medikamenten-Toxizität interdisziplinär im Tumorboard diskutiert.
Metastasierte Patienten werden ambulant behandelt, auf der urologischen oder auf der onkologischen Abteilung?
Metastasierte Patienten werden ambulant mehrheitlich an der urologischen Ambulanz behandelt. In fast allen Fällen ist dies auch möglich. Ausnahme sind Patienten mit sehr schweren Nebenwirkungen. Diese müssen je nach Nebenwirkungsprofil stationiert werden.