Die translationale Forschung hat die Aufgabe, sowohl biomedizinische als auch sozialwissenschaftliche Erkenntnisse der Grundlagenforschung weiterzuentwickeln und sie für die medizinische Versorgung, also für den Menschen, direkt nutzbar zu machen. Ein wichtiges Ziel in der integrierten Versorgung von an Krebs erkrankten Menschen wäre es, biomedizinische und biopsychosoziale Aspekte des Krankseins und der Bemühung um Gesundung zu „integrieren“.
Aufgrund der erforderlichen spezifischen medizinischen Kompetenzen ist es in Österreich gängige Praxis, dass bei Diagnosestellung einer malignen neoplastischen Erkrankung eine Fachabteilung die zentrale Behandlungskompetenz des Krebspatienten an sich zieht. Aus anekdotischen Berichten geht hervor, dass den Krebspatienten dabei tendenziell die „Ärzte des Vertrauens“ abhanden kommen, da die niedergelassenen Allgemeinärzte häufig vom medizinischen Informationsfluss des onkologischen Teams abgeschnitten sind [JENS R., KLINIK, 2002]. Dies würde dazu führen, dass die Hausärzte ihren Krebspatienten nur eingeschränkt beratend zur Seite stehen können. Dabei geht dem Patienten der „Arzt des Vertrauens“, zumeist der hausärztlich tätige Allgemeinmediziner, verloren, da dieser nicht laufend informiert und in die weitere Entscheidungsfindung eingebunden ist.
Andererseits haben Krebspatienen, wie von Bauer et al. diskutiert, aufgrund der komplexen Natur ihrer Erkrankung und der großen Erfahrung, die für ihre Behandlung notwendig ist, in vielen Fällen auch ein besonders privilegiertes Vertrauensverhältnis zum behandelnden Onkologen bzw. zu onkologisch tätigen Fachärzten [BAUER J, REV MED SUISSE, 2005]. In vielen westlichen Ländern bestehen multidisziplinäre onkologische Teams aus Spitalsärzten unterschiedlicher Fachrichtungen – die niedergelassenen Hausärzte (family physicians) werden dabei hingegen häufig ausgeschlossen [GOPAL R., J SUPPORT ONCOL, 2005], was insbesondere für Österreich gilt. In den meisten Ländern gibt es Regelungen, die vorschreiben, dass zuweisende Ärzte bzw. jene, die für die Nachsorge zuständig sind, genau über die patientenbezogenen Befunde informiert sein müssen. Wenn auch die wechselseitige Information zwischen den Medizinern eine lange Tradition hat, so zeigt sich doch, dass der Informationsaustausch zwischen den Onkologen und den Hausärzten sowie der Aspekt der Einfühlsamkeit bei der Aufklärung von Krebspatienten in Österreich noch verbesserungsfähig ist1, 2.
Eine wichtige Determinante der integrierten Versorgung von Krebspatienten ist die zeitnahe Weiterleitung von im Spital gewonnenen medizinischen Erkenntnissen bezüglich eines bestimmten Patienten (z. B. Krebsart, Stadium, empfohlene Therapie) durch den Onkologen an den Hausarzt. Diese Information erfolgt in Österreich bisweilen ungenügend bzw. nicht zeitnah. Wie in eigenen Arbeiten dokumentiert, ist dies häufig auch die Einschätzung der Krebspatienten: 50,9 % schätzen den Informationsfluss vom Spital zum Hausarzt als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ ein (28,1% als „sehr gut“ oder „gut“, 21,1% antworteten „weiß nicht“), obwohl der Informationsfluss von der überwiegenden Mehrheit (87,5%) der Krebspatienten als sehr wichtig angesehen wird.1 Weibliche Krebspatienten in unserer Studienpopulation legten noch mehr Wert auf Information von – und Kommunikation mit – ihrem Hausarzt seitens des Spitals als männliche (92,1 % Frauen vs. 80,2 % Männer) [LUKOSCHEK P, PATIENT EDUC COUNS, 2003; ARORA NK, SOC SCI MED, 2003; BOUDIONI M, BR J CANCER, 2001]. Entsprechend den Ergebnissen unserer Studie empfand ein hoher Prozentsatz von Krebspatienten in Wien (64,7 % der Frauen, 58,3 % der Männer) die Art und Weise, wie sie von Ärzten über ihre Krebserkrankung aufgeklärt wurden, als „wenig einfühlsam“ oder als „nicht einfühlsam“.
Bezüglich ärztlicher Beratung über die weiterführenden spezifischen medizinischen Maßnahmen zur Krebstherapie geben die in unserer eigenen Studie befragten Patienten allgemein den Krebsspezialisten (Spitalsärzten, gewissen niedergelassenen Fachärzten) den Vorzug1. Die einfühlsame Aufklärung bezüglich des Vorliegens einer Krebserkrankung (Übermittlung schlechter Nachrichten) ist eine für alle klinisch tätigen Ärzte wichtige ärztliche Kompetenz, die an die kommunikativen Fähigkeiten hohe Anforderungen stellt. Allerdings zeigten die Ergebnisse unserer Studie, dass es einen erheblichen Unterschied zwischen den an der Betreuung von Krebspatienten beteiligten Ärzten gibt. Wenn die ärztliche Aufklärung vom Hausarzt durchgeführt wurde, beantworten 81,8 % der KrebspatientInnen die Frage „Wie wurde Ihnen die Tatsache ihrer Krebserkrankung mitgeteilt?“ mit „sehr einfühlsam“ oder mit „einfühlsam“ (Auswahlmöglichkeiten: „sehr einfühlsam“, „einfühlsam“, „wenig einfühlsam“, „nicht einfühlsam“), wohingegen sie dies nur in jeweils 41,2 % der Fälle angeben, wenn sie vom Spitalsarzt oder vom niedergelassenen Facharzt informiert wurden.
Weiters bejahten mehr als doppelt so viele Patienten der Hausärzte (im Vergleich zu jenen der Fachärzte) die Frage: „Hat Ihnen der Arzt genug Gelegenheit gegeben, Fragen zu stellen, die für Sie wichtig sind?“ Wenn Spitalsärzte das Aufklärungsgespräch mit dem Krebspatienten durchgeführt hatten, bejahten 43,5 % die Frage „Hat Ihnen Ihr Arzt im Rahmen des Aufklärungsgesprächs ausreichend Zeit und die Möglichkeit gegeben, die Ihnen wichtigen Fragen anzusprechen?“; beim niedergelassenen Facharzt bejahten diese Frage 44,3 % und beim Hausarzt 81,8 % (alle Unterschiede waren statistisch signifikant).
Wie kann also das Phänomen, dass Krebspatienten Hausärzte als einfühlsamer empfinden als Fachärzte, erklärt werden? Der Unterschied könnte in der vorbestehenden Arzt-Patient-Beziehung oder im unterschiedlichen Stil der Gesprächsführung liegen. Der patientenzentrierte Kommunikationsstil steht bisweilen im Gegensatz zur den praktischen Aufgaben im stationären Bereich, bei dem vorgesehene Arbeitsschritte „abgearbeitet“ werden müssen. Neben dem unterschiedlichen Gesprächstil wären auch die beim Hausarzt vorbestehende Arzt-Patient-Beziehung und die Tatsache, dass in Spitalsambulanzen häufig keine Kontinuität des ärztlichen Ansprechpartners gegeben ist, als mögliche Faktoren zu nennen.
Slingsby et al. begründen das Festhalten an einem „definierten“ Kommunikationsstil – also einen nicht angepassten Stil, der sich über die Verschiedenheit der Persönlichkeitstypen der Patienten hinwegsetzt, mit der „Gläubigkeit“ an eine technische Medizin, die technische Befunde in den Vordergrund stellt [SLINGSBY B.T., J GEN INTERN MED. 2006] Schmid Mast et al. konfrontierten ihre Studienteilnehmer – weibliche Studenten, die sich in die Lage von Patienten versetzen sollten, die schlechte Nachrichten bezüglich ihrer Brustkrebserkrankung vermittelt bekommen – mit drei prototypisch verschiedenen Kommunikationsstilen, nämlich den patienten-, krankheits- oder emotionszentrierten (patient-, diseaseor emotion-centred) [SCHMID MAST M, PATIENT EDUC COUNS, 2005]. Sie fanden, dass der patientenzentrierte Kommunikationsstil am einfühlsamsten und am wenigsten dominant war sowie am ehesten ein Gefühl der Hoffnung und Zuversicht vermittelte. Weiters berichteten sie, dass beim patientenzentrierten Stil die Zufriedenheit mit dem Gespräch am höchsten war und dass die Studenten in der Rolle des Patienten am zufriedensten waren und kaum negative Gefühle angaben.
Dowsett et al. identifizierten 11 Verhaltensdimensionen, welche die patientenoder arztzentrierte Kommunikation charakterisieren [DOWSETT S, PSYCHO-ONCOLOGY, 2000]. Anhand von Videos, bei denen Schauspieler den patientenzentrierten oder arztzentrierten Gesprächstil annahmen, konnte gezeigt werden, dass Krebspatienten und ihre Angehörigen die patientenzentrierten Ansätze bevorzugten. Diese beinhalteten eher affektive Verhaltensweisen wie Empathie, Offenheit, Zuversicht und eine größere Einbeziehung der Patienten in Entscheidungsprozesse, wohingegen der arztzentrierte Stil eher aufgabenzentriert war.
Die Ergebnisse unserer Befragung von Krebspatienten bei der Wiener Krebshilfe2 sind mit den experimentellen Ergebnisse von Schmid Mast et al. und Dowsett et al. gut vereinbar. Die kommunikative und die inhaltliche Schwerpunktsetzung von Allgemeinärzten unterscheiden sich sehr deutlich von jener, die von Fachärzten klinischer Sonderfächer praktiziert wird. Die Weltorganisation für Allgemeinmedizin (WONCA) gibt in ihrer Definition des Faches Allgemeinmedizin/ Hausarztmedizin gewisse Attribute für den Konsultationsstil an (person-oriented, community-oriented, comprehensive, holistic modelling), der in der Hausarztmedizin verwendet wird. Die Ergebnisse der oben rezensierten Befragung von Krebspatienten geben einen Hinweis darauf, dass Hausärzte in Österreich (Wien) beim ärztlichen Gespräch tatsächlich anders vorgehen, was sich in der unterschiedlichen Zufriedenheit von Krebspatienten mit der Beratung ausdrückt.
Ein effizientes Gesprächstraining für Allgemeinmediziner wird in Österreich kaum angeboten. Die von der EU vorgeschriebene Weiterbildung von mindes – tens sechs Monaten in der Allgemeinmedizin (The Council of the European Communities. Council Direktive 93/16/ EEC), wo die allgemeinärztliche Gesprächsführung erlernt werden könnte, wird in Österreich weitgehend nicht umgesetzt. Allgemeinmediziner werden in Österreich primär von Fachärzten in Spitälern, nicht aber von jenen, die für die primäre medizinische Versorgung zuständig sind, ausgebildet, weshalb sie spezifische allgemeinärztliche Gesprächsführung durch die Anforderungen der Patientenbetreuung in der Allgemeinpraxis im Sinne von „learning by doing“ entwickeln – eine Tatsache, die nach einem entsprechenden Angebot an Ausbildungen verlangt3, vor allem nach einem entsprechenden Gesprächstraining [HEYRMAN J., EURACT, 2005]. Ein erweitertes Angebot an entsprechender Weiterbildung und Fortbildung wäre auch für onkologisch tätige Fachärzte wichtig, die sich immer wieder schwierigen kommunikativen Aufgaben mit ihren Patienten stellen müssen.
Spezielle Fähigkeiten der Gesprächsführung mit Bedachtnahme auf Erkenntnisse des Forschungsfeldes „Patient Education“ sind auch für die Kommunikation mit Angehörigen erforderlich, welche – die Einwilligung des Patienten vorausgesetzt – in die Betreuung von Krebspatienten einbezogen werden [BAILE WF, J CLIN ONCOL, 2006], was auch zur Vertrauensbildung beitragen kann [FALLOWFIELD L, J CLIN ONCOL, 1998].
Farquhar et al. haben in einer qualitativen Studie Interviews mit Allgemeinmedizinern durchgeführt, um den Informa – tionsbedarf zu konkretisieren, wobei 1.) im (prä)diagnostischen Stadium eine genaue Information über die Befunde gefordert wurde und 2.) in der Behandlungsphase, bei der die Allgemeinmediziner bisweilen den Kontakt zu ihren Patienten verlieren, seitens der Patienten ein hoher Bedarf an moralischer Unterstützung und Krisenmanagement besteht [FARQUHAR MC, EUR J CANCER CARE, 2005]. Auch nach Beendigung der onkologischen Behandlung benötigt der Hausarzt aktuelle Informationen seitens der Onkologen (z. B. erforderliche onkologische Kontrolluntersuchungen, Nachuntersuchungsergebnisse), um die onkologische Situation der Patienten bei der hausärztlichen Betreuung einbeziehen zu können.
Krebspatienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit infauster Prognose werden häufig wieder in stationären Einrichtungen aufgenommen. Namhafte Onkologen haben in den letzten zwei Jahrzehnten die Etablierung von Stationen zur Palliativbetreuung unterstützt [BAKITAS M, JAMA, 2009; CONNOR SR, J PAIN SYMPTOM MANAGE, 2007]. Diese sollten die Lebensqualität und Menschenwürde der Patienten in den Vordergrund stellen und eine Entlastung der hochspezialisierten akut-onkologischen Stationen ermöglichen. Doch auch bei infauster Prognose sollte die Palliativmedizin nicht ausschließlich als Antithese zur onkologischen Therapie, sondern vielmehr als Komplementierung gesehen werden [FADUL N, CANCER, 2009]. Smeenk et al. haben in den Niederlanden ein Heimpflege- Programm für Menschen mit weit fortgeschrittenen Malignomen entwickelt und konnten in weiterer Folge eine signifikant niedrigere Hospitalisationsrate feststellen [SMEENK FWJM, PATIENT EDUC COUNS, 2000]. Wir meinen, dass die Gesundheitssysteme entwickelter Gesellschaften allen Menschen mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen ermöglichen sollten, ihren Lebensabend wahlweise in auf pflegerische und medizinische Palliativbetreuung spezialisierten stationären Einrichtungen zu verbringen oder mit optimaler pflegerischer und medizinischer Betreuung in ihrer häuslichen und familiären Umgebung. Zur Gewährleistung des Letzteren ist der Hausarzt unentbehrlich4 [NEERGAARD MA, BR J GEN PRACT., 2009].
Wie ist es zu erklären, dass die Patienten häufig den Eindruck haben, der Hausarzt würde sich intensiver um sie kümmern und mehr Zeit für sie aufwenden, obwohl er doch viel mehr Patienten zu betreuen hat und obwohl für die einzelne Konsultation im Mittel nur wenige Minuten zur Verfügung stehen [JANSSEN R., SOC SCI MED, 1992]? Eine Erklärung ist sicher der unterschiedliche Zeitaufwand für akut und chronisch kranke Personen [YAWN B, FAM PRACT, 2003]. Es gibt allerdings – unseres Wissens – derzeit noch keine Studien über den unterschiedlichen Zeitaufwand, der von Onkologen und Hausärzten für die Beratung von Krebspatienten benötigt wird. Der Prozentsatz von Patienten in unserer Studie, die meinten, dass sie überhaupt keine systematische Information über ihre Krebserkrankung erhalten haben, war bemerkenswert hoch (10,9 %), wenn auch in einer ähnlichen Studie aus Portugal ein noch höherer Prozentsatz gefunden worden war (28 %) [GONCALVES F, PALLIAT MED, 2005].
Es gibt auch eine interessante inverse Korrelation zwischen der Selbstwahrnehmung des Arztes, was seine didaktischen Fähigkeiten betrifft, und dem Verständnis der Patienten: Patienten von Ärzten mit hoher Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten in der Patientenberatung gaben signifikant größere Probleme beim Verstehen der medizinischen Aufklärung ihrer jeweiligen Ärzte an [LUKOSCHEK P, PATIENT EDUC COUNS, 2003].
Wir haben bereits einige Faktoren zusammengefasst, die Hausärzte besonders für die Vermittlung schlechter Nachrichten bezüglich einer Krebserkrankung qualifizieren:
1.) Umfangreiche Evidenz dokumentiert, dass Hausärzte im Vergleich zu vielen klinischen Sonderfächern einen stärker patientenzentrierten Gesprächsstil verwenden [LANDSTROM B, SCAND J PRIM HEALTH CARE, 2006; MAHEUX B, CMAJ, 1992], was bei den Patienten zu einer größeren Zufriedenheit, zur geringeren Symptombelastung und zur verbesserten Lebensqualität führt [LITTLE P, BMJ, 2001; BAUMAN AE, MED J AUST, 2003].
2.) In vielen Fällen haben die PatientInnen eine langjährige Vertrauensbasis und eine Arzt-Patient-Beziehung zu ihren Hausärzten aufgebaut und sind daher eher bereit, psychosoziale Aspekte ihres Krankseins zu besprechen.
3.) Es ist bekannt, dass die Interaktion mit Krebspatienten nicht auf einer Arzt- Patient-Dyade beruht [JANSSEN R., SOC SCI MED 1992]. Oft wird ein Krebspatient von einer Person begleitet, die mehr Fragen stellt als der Patient selbst [YAWN B, FAM PRACT, 2003]. Erfahrung und Wissen ist erforderlich, um eine therapeutische Beziehung zur Familie eines Patienten aufzubauen [BAILE WF, J CLIN ONCOL, 2006]. Hausärzte, die in Nordamerika „Family Physicians“ genannt werden, kennen oft die ganze nähere Familie. Häufig konsultieren mehrere Familienmitglieder gemeinsam, was es für den „Familienmediziner“ erleichtert, sys – temische Aspekte der Familie und des Krankseins zu verstehen.
4.) Hausärzte spielen auch eine wichtige Rolle beim Entdecken von Krebserkrankungen (Verdacht und Diagnose)1 sowie bei der häuslichen Pflege [FULLER AF, PRIM CARE, 1981; BURTON RC, J MED SCREEN, 1998; SCHNETLER JF, ORAL MAXILLOFAC SURG, 1992].
5.) Die Umgebung, in der dem Patienten die Nachricht bezüglich seiner Krebserkrankung vermittelt wird, ist sehr wichtig [PTACEK JT, J CLIN ONCOL, 2001]. Die Beratung sollte in einer ungestörten Atmosphäre erfolgen [LANDSTROM B, SCAND J PRIM HEALTH CARE, 2006].
6.) Hausärzte haben eine wichtige Funktion bei der psychosozialen Unterstützung ihrer Patienten [MARGALIT APA, J GEN INTERN MED, 2004]. Wird diese Funktion nicht ausreichend wahrgenommen, wendet sich ein hoher Prozentsatz von Krebspatienten an Heilpraktiker5 [EISENBERG DM, JAMA 1998 UND ALTERN THER HEALTH MED, 2005].
Die Hinwendung zu dubiosen Therapien und eine Abwendung von der wissenschaftlichen Medizin ist nicht selten [SPIEGEL W, EUROPEAN JOURNAL OF GENERAL PRACTICE, 2007].
Der Erörterung der Aufgabe der Hausärzte bei der interdisziplinären Betreuung von Krebspatienten müssen die fachlichen und strukturellen Grenzen gegenübergestellt werden: 1.) Die medizinische Expertise der Hausärzte ist „das Häufige und Typische“. Krebserkrankungen sind als Krankheitsgruppe häufig, jedoch sind die meisten Krankheitsentitäten so selten – und ihre Therapie ist so komplex –, dass hier rasch die Grenze der Kompetenz von Hausärzten erreicht ist. Sie sind deshalb bezüglich Behandlungsoptionen und empfehlungen auf die fachliche Mitteilung der auf die onkologische Therapie spezialisierten Ärzte angewiesen und sollten die Grenze ihrer Kompetenz bei der Beratung ihrer Patienten einhalten [GOOLD SD, JAMA, 2000; SAMANT RS, RADIOTHER ONCOL, 2006].
2.) Obwohl das ärztliche Gespräch eine Kernaufgabe von Hausärzten ist und sie in der Lage sind, ihren Behandlungsstil den psychosozialen Gegebenheiten anzupassen [DEVEUGELE M, PATIENT EDUC COUNS, 2004], sollten auch Hausärzte spezielle Schulungen (Fortbildungsmodule) zur ärztlichen Gesprächsführung mit Krebspatienten, zum Überbringen schlechter Nachrichten und zum Umgang mit den Gefühlen der Patienten erhalten [Sargeant J, J Cancer Educ, 2005].
3.) Jeder Arzt muss sich die Frage stellen, ob er für die Patientenberatung bei Entscheidungen am Ende des Lebens ausreichend kompetent ist. Gerade die besondere Arzt-Patient-Beziehung mit langjährigen Patienten kann dazu führen, dass aufgrund eines „Nahfehlers“ therapeutische Möglichkeiten überschätzt werden [DANIS M, CRIT CARE MED., 1988].
4.) Onkologen und Hausärzte könnten unterschiedlicher Ansicht sein, was die Therapieziele betrifft (z. B. palliative Chemotherapie vs. Erhaltung der Lebensqualität). Anders als in der Palliativmedizin meint der Begriff „palliativ“ im Zusammenhang mit Chemotherapie eine lebensverlängernde Absicht [DE KORT SJ, EUR J CANCER, 2006].
5.) Berührungsängste, Territorialverhalten und Vorurteile zwischen ärztlichen Fachrichtungen können die optimale integrierte Versorgung von Krebspatienten beeinträchtigen. Allgemeinärzte sollten sich nicht scheuen, bei Unklarheiten eine persönliche (telefonische) Rücksprache mit den behandelnden Onkologen zu suchen. Andererseits besteht bei an – erkannten (und oft auch berühmten) Krebsspezialisten bisweilen die Haltung, Allgemeinärzte wären die „Omega-Tiere“ der ärztlichen Rangordnung und ihr Beitrag zur Patientenbetreuung wäre grundsätzlich entbehrlich.
Der von uns empfohlene Ansatz zur integrierten Versorgung von KrebspatientInnen strebt nach einer Balance zwischen optimal erreichbarer Lebensqualität, optimaler onkologischer Therapie bzw. Palliation und bestmöglicher Aufrechterhaltung der familiären und sozialen Integration. Diese Balance muss für und mit jedem Krebspatienten vom Onkologen, aber auch vom Hausarzt, der von den Krebspatienten um Rat gefragt wird, immer wieder aufs Neue gesucht werden. Eine solche integrierte, biopsychosoziale Versorgung von Krebspatienten erfordert Beiträge auf Ebene der hausärztlichen Betreuung und somit die zeitgerechte Übermittlung von onkologischen Arztbriefen inklusive Stellungnahme zum empfohlenen weiteren Prozedere. Krebspatienten in Österreich beurteilen das ärztliche Aufklärungsgespräch bezüglich ihrer Krebserkrankung abhängig von der fachlichen Qualifikation bzw. Spezialisierung des aufklärenden Arztes in unterschiedlichem Ausmaß als einfühlsam und zeitlich ausreichend. Bezüglich ärztlicher Beratung über die weiterführenden spezifischen medizinischen Maßnahmen zur Krebstherapie geben die betroffenen Patienten allgemein den Krebsspezialisten (Spitalsärzte, gewisse niedergelassene Fachärzte) den Vorzug. Die Krebspatienten in Österreich messen der Übermittlung ärztlicher Informationen über ihre Krebserkrankung durch den Spitalsarzt an den niedergelassenen Hausarzt große Bedeutung bei und erachten diesen Austausch an Information überwiegend als „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“. Da entsprechend unseren Ergebnissen den niedergelassenen Ärzten große Bedeutung beim Erkennen von Krebserkrankungen und in der extramuralen Betreuung von Krebspatienten zukommt, sollten Maßnahmen gesetzt werden, welche die rechtzeitige Befundübermittlung seitens des Spitals an die behandelnden Hausärzte begünstigen.
Häufig erhalten Allgemeinmediziner schriftliche Befunde bezüglich der Art und des Stadiums einer Krebserkrankung – auch was Therapieempfehlungen betrifft – nicht rechtzeitig1 [MAHEUX B, CMAJ, 1992], was auch das Vertrauensverhältnis der Patienten zu den Ärzten belasten kann [LITTLE P, BMJ, 2001]. Berührungsängste, ärztliche Kompetenzfragen, der Faktor „Zeit“ und die Frage der Honorierung spielen eine zentrale Rolle. Revierverhalten und Vorurteile zwischen ärztlichen Fachrichtungen einerseits und zwischen Spitalsärzten und niedergelassenen Ärzten andererseits sind wesentliche Gestaltungsfaktoren dieses Übels. Durch die mangelhafte Information bzw. die mangelnde Einbeziehung des Hausarztes kann dieser seine Funktion als für den Patienten wichtiger medizinischer Berater nicht oder nur sehr eingeschränkt ausfüllen. Es entstehen psychosozial nachteilige Effekte und Qualitätsverluste an den Schnittstellen der medizinischen Leistungserbringung. Um solchen Situation vorzubeugen, sollte das gegenseitige Konsultationsprinzip eingeführt werden (telefonisches oder persönliches Konzil). Die Gesundheitspolitik ist aufgerufen, durch organisatorische Anreize und eine motivierende Honorierung für Ärzte den Informationsaustausch zwischen den Ärzten über den gemeinsamen Patienten zu verbessern.
Ausgewählte Literatur:
1 Spiegel W, Zidek T, Karlic H, Maier M, Vutuc C, Isak K, Micksche M, Cancer patients’ perception of information exchange between hospital based physicians and their general practitioners. Journal of Evaluation in Clinical Practice 2010; 16:1309–1313
2 Spiegel W, Zidek T, Maier M, Vutuc C, Isak K, Karlic H, Micksche M, Breaking bad news to cancer patients: survey and analysis. Psycho-Oncology 2009; 18:179–186
3 Spiegel W, Pichlhöfer O, Haoula D, Schneider B, Maier M, Specialty selection and relative job satisfaction of family physicians and medical specialists in Austria. Croatian Medical Journal 2008; 48:375–383
4 Kamenski G, Fink W, Maier M, Pichler I, Zehetmayer S. Characteristics and trends in required home care by GPs in Austria: diseases and functional status of patients. BMC Family Practice 2006; 7:55
5 Spiegel W, Zidek T, Vutuc C, et al: Complementary therapies in cancer patients: prevalence and patients’ motives. Wien Klin Wochenschr 2003; 115:705–709