Nebenwirkungsmanagement und Begleiterkrankungen

In der Therapie des multiplen Myeloms hat es in den letzten Jahren rasante Fortschritte gegeben. Zahlreiche neue Substanzen wie Immunmodulatoren (IMiDs), Proteasominhibitoren (PIs), Histon-Deacetylase (HDAC)-Inhibitoren, monoklonale Antikörper (mAbs) und Proteinexportinhibitoren haben bereits in den klinischen Alltag Einzug gehalten. Beeindruckende rezente Studienergebnisse zu bispezifischen Antikörpern, Cereblon-E3-Ligase-Modulatoren (CELMoDs) und CAR-T-Zellen lassen auf baldige klinische Verfügbarkeit für unsere PatientInnen hoffen. Zu bedenken ist aber, dass in klinischen Studien oft in Hinblick auf Alter und Begleiterkrankungen selektionierte fitte PatientInnen behandelt werden. Die Inzidenz des multiplen Myeloms steigt jedoch mit zunehmendem Lebensalter an, ebenso die Häufigkeit von Komorbiditäten wie z. B. renale Insuffizienz, Diabetes mellitus oder kardiovaskuläre Erkrankungen. Dies geht wiederum mit vermehrter therapieassoziierter Toxizität einher1. In einer großen schwedischen Registerstudie zeigte bereits mehr als die Hälfte (54 %) von insgesamt 13.656 PatientInnen zum Zeitpunkt der Erstdiagnose Komorbiditäten, und es wurde korrelierend mit der Anzahl an Begleit-erkrankung ein signifikanter Anstieg des Sterberisikos dokumentiert2. Somit ist es durchaus eine Herausforderung, mit den Nebenwirkungen der neuen Therapieoptionen im Real-World-Setting bei älteren und komorbiden PatientInnen umzugehen.

Immunmodulatoren (IMiDs)

Thalidomid, Lenalidomid (Revlimid®) und Pomalidomid (Imnovid®) werden derzeit als orale IMiDs in der Behandlung des multiplen Myeloms angewendet.

Thromboembolie-Management: Bezüglich des Nebenwirkungsprofils besteht ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien, weshalb eine Antikoagulation zwingend erforderlich ist. Unter Berücksichtigung Patienten-, Krankheits- und Therapie-assoziierter Faktoren kann ein individuelles Risikoprofil für thromboembolische Komplikationen kalkuliert und diesem entsprechend eine Antikoagulation mit Acetylsalicylsäure, niedermolekularem Heparin oder auch Warfarin etabliert werden3. Stehen PatientInnen bereits unter oraler Antikoagulation mit DOAKs wie Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban oder Dabigatran, so kann diese unverändert beibehalten werden4.
Obligat ist zudem die Aufklärung über teratogene Effekte der IMiDs und damit verbundene kontrazeptive Maßnahmen3, 5–10.

Supportivtherapie bei Zytopenien: Insbesondere bei hoher Krankheitslast, Tripletkombinationen und bei älteren PatientInnen werden Zytopenien beobachtet. Supportiv werden hier zum einen G-CSF (Granulocyte-Colony stimulating Factor) und ESAs (Erythropoietin stimulating agents), zum anderen eine bedarfsorientierte Gabe von Erythrozyten- und Thrombozytenkonzentraten empfohlen3. Je nach Schweregrad der Zytopenie müssen Dosisreduktionen gemäß Fachinformation berücksichtigt werden5–10.

Vorgehen bei Niereninsuffizienz: Primäre Dosisreduktionen müssen im Fall von Lenalidomid auch bei eingeschränkter Nierenfunktion beachtet werden, immerhin ist bei 20–40 % der PatientInnen im Rahmen der Erstdiagnose des Myeloms eine Nierenbeteiligung nachweisbar11. In der klinischen Praxis hat sich bei älteren PatientInnen ein Therapiebeginn in reduzierter Dosis bewährt. Bei guter Verträglichkeit kann eine Dosiseskalation im Lauf der weiteren Behandlung erwogen werden. Dieser Zugang wird mittlerweile auch durch klinische Studien unterstützt. So wurde z. B. die Kombination aus Bortezomib (V), Lenalidomid (R) und Dexamethason in reduzierter Dosierung im sogenannten VRD-lite-Schema untersucht, wobei im Vergleich zum klassischen VRD-Schema ein ähnlich gutes progressionsfreies (PFS) und Gesamtüberleben (OS) bei deutlich geringerer Toxizität dokumentiert werden konnte12–13.

Management von Hautexanthemen: Am Beginn einer IMiD-Therapie werden auch immer wieder Hautexantheme beobachtet. Hier ist eine Überprüfung der Komedikation sinnvoll, um andere mögliche Auslöser wie etwa Cotrimoxazol oder Allopurinol nicht zu übersehen. Die IMiD-Therapie sollte zunächst gestoppt und Glucocorticoide in Kombination mit Antihistaminika begonnen werden. Nach Abklingen der klinischen Symptomatik kann die IMiD-Therapie meist reetabliert werden, wobei sich wiederum ein Restart in reduzierter Dosis bewährt hat3. Bei schon länger bestehender Lenalidomid-Gabe kann es durch Schädigung der intestinalen Mukosazellen zum Auftreten chologener Diarrhoen kommen. Bei unzureichender Symptomkontrolle unter Loperamid und Colestyramin können als Ultima Ratio Anticholinergika (z. B. Atropin) oder Somatostatinanaloga (z. B. Octreotid) eingesetzt werden14. Unter Lenalidomid-Erhaltung ist zudem ein erhöhtes Risiko für sekundäre maligne Neoplasien zu beachten15. PatientInnen sollten daher die empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen wie etwa Koloskopie, gynäkologische, urologische und dermatologische Kontrollen einhalten.

Proteasominhibitoren (PIs)

In der Substanzklasse der Proteasominhibitoren stehen aktuell Bortezomib (Velcade®) subkutan, Carfilzomib (Kyprolis®) intravenös und Ixazomib (Ninlaro®) peroral zur Verfügung.

Zytopenie- und Infektionsmanagement: Allen PIs ist ein erhöhtes Risiko für Zytopenien und Infektionen, insbesondere Herpes-zoster-Reaktivierungen, gemeinsam. Was das Management der Zytopenien anbelangt, so gelten dieselben Empfehlungen wie unter IMiD-Therapie, also Substitution von Blutprodukten je nach klinischer Symptomatik, Einsatz von G-CSF und ESAs sowie Dosisanpassungen entsprechend den jeweiligen Fachinformationen. Zusätzlich muss in jedem Fall eine antivirale Prophylaxe – z. B. mit Valaciclovir – erfolgen.

Substanzspezifische Nebenwirkungen

Darüber hinaus ist aber jede dieser Substanzen durch ein ganz spezifisches Nebenwirkungsspektrum charakterisiert, was im klinischen Alltag bei Therapieentscheidungen eine ganz wesentliche Rolle spielt. So ist bei Bortezomib v. a. eine bei Auftreten praktisch irreversible Polyneuropathie (PNP) limitierend. Bei Carfilzomib werden gehäuft kardiovaskuläre Komplikationen wie hypertensive Entgleisung, kardiale Dekompensation, Herzrhythmusstörungen, kardiale Ischämien und Bronchospasmen mit COPD (chronic obstrucive pulmonary disease)-Exazerbationen beobachtet. Ixazomib zeichnet sich durch eine sehr gute Verträglichkeit – auch bei Kombinationstherapien und im höheren Lebensalter – aus, was mittlerweile auch in prospektiven Real-World-Daten bestätigt wurde16. Am ehesten spielen unter Ixazomib gastrointestinale Symptome wie z. B. Diarrhoen eine Rolle17–21.

Polyneuropathie: Unter Bortezomib ist ein exaktes Monitoring polyneuropathischer Beschwerden essentiell. Je nach Schweregrad der PNP werden in der Fachinformation Dosisreduktionen empfohlen. PatientInnen, die aufgrund von Komorbiditäten wie etwa Diabetes mellitus ein erhöhtes Risiko für PNP haben, sind besonders gefährdet und müssen daher aktiv bei jeder Visite danach gefragt werden. Typische Anzeichen sind z. B. Schwierigkeiten beim Schließen von Knöpfen, Halten von Stiften oder Drehen von Schlüsseln. Da sich die Neuropathie kaum mehr erholt und die PatientInnen in ihrer Lebensqualität massiv beeinträchtigt sind, ist die wichtigste Maßnahme das rechtzeitige Beenden der Therapie. Supportiv sollten Vitamin-B12- und Folsäurespiegel kontrolliert und im Bedarfsfall substituiert werden. Neuropathische Schmerzen werden meist mit Opioiden in Kombination mit Antiepileptika und trizyklischen Antidepressiva behandelt. Lokale Hautreaktionen unter Bortezomib könnten durch Rotation der Injektionsstelle sowie antiphlogistische und rückfettende Hautpflegemaßnahmen gelindert werden.

Kardiovaskuläre Nebenwirkungen: Die kardiovaskuläre Toxizität von Carfilzomib korreliert mit der applizierten Dosis. Eine Dosisreduktion ist daher ebenso wie eine adäquate Prämedikation, eine suffiziente Blutdruckkontrolle und eine ausgeglichene Flüssigkeitsbilanzierung eine weitere Option, die Therapieverträglichkeit zu verbessern. Meist treten kardiovaskuläre Komplikationen im Rahmen der ersten beiden Therapiezyklen auf. Daher wird Carfilzomib in Zyklus 1 und 2 in der sogenannten split dose an den Tagen 1, 2, 8, 9, 15 und 16 verabreicht. Ab dem 3. Zyklus kann die Applikation bei guter Verträglichkeit auch einmal wöchentlich an den Tagen 1, 8 und 15 erfolgen. PatientInnen mit anamnestisch rezidivierender kardialer Dekompensation und/oder hypertensiver Entgleisung haben ein erhöhtes Risiko für das Auftreten unerwünschter Nebenwirkungen, weshalb noch vor Therapiestart, z. B. mittels selbst geführtem Blutdruckprotokoll, auf das Vorliegen solcher Risikofaktoren gescreent werden sollte. Insuffizient kontrolliertes Vorhofflimmern und/oder pulmonale Hypertonie stellen weitere Risikofaktoren dar. Gelingt es nicht, vor Therapieeinleitung mit Carfilzomib kardiovaskuläre Begleiterkrankungen medikamentös gut zu beherrschen, sollten die PatientInnen bezüglich anderer Behandlungsalternativen evaluiert werden3.

Monoklonale Antikörper (mAbs)

Mit Daratumumab (Darzalex®) und Isatuximab (Sarclisa®) stehen zwei monoklonale Anti-CD38-Antikörper in der Myelomtherapie zur Verfügung. Darüber hinaus ist Elotuzumab (Empliciti®) als Anti-SLAMF7-Antikörper zugelassen.

Infusions-assoziierte Reaktionen: Häufige Nebenwirkungen unter Antikörpertherapie sind Infusions-assoziierte Reaktionen (IRR = infusion related reactions), welche meist nur im Rahmen der Erstapplikation auftreten und üblicherweise keinen Grund für einen Therapieabbruch darstellen. Bei jeder Antikörpertherapie ist zur Prophylaxe von IRR auf eine adäquate Prämedikation mit Methylprednisolon 100 mg, Antihistaminika 25–50 mg und Antipyretika etwa 45–90 Minuten vor Infusionsstart zu achten. Methylprednisolon ist in einer Dosierung von 20 mg auch an den beiden Folgetagen empfohlen. Bei PatientInnen mit COPD kann zusätzlich Montelukast in einer Dosis von 10 mg und additiv eine Inhalationstherapie mit Bronchodilatatoren und Corticosteroiden rezeptiert werden22–26. Daratumumab ist nunmehr auch in subkutaner Formulierung verfügbar, was mit einer wesentlich komfortableren Applikation und deutlich weniger IRR verbunden ist26.

Blutgruppenbestimmung vor CD38-Antikörper-Therapie

Außerdem ist bei Anti-CD38-Antikörpern eine Interferenz mit der Blutgruppenbestimmung zu beachten, da diese auch an das CD38-Oberflächenantigen der Erythrozyten binden, was zu einem positiven indirekten COOMBS-Test führt22–23. Noch vor Beginn einer Anti-CD38-Antikörpertherapie ist eine Blutgruppenbestimmung durchzuführen und im Rahmen eines Best-Match-Programms zu evaluieren. Das bedeutet, dass das Antigenprofil der PatientInnen erhoben und gespeichert wird, um bei Transfusionsbedarf aus dem Blutkonservenpool die am besten zum Empfänger passenden Konserven auswählen zu können. Zudem müssen PatientInnen einen Therapieausweis erhalten, in dem sowohl Indikation und Bezeichnung der Antikörpertherapie als auch Blutgruppe und betreuende Klinik vermerkt sind22–23.
Abgesehen von IRR muss unter Antikörpertherapie v. a. auf die hämatologische Toxizität und eine erhöhte Rate an respiratorischen Infekten geachtet werden22–26.

Anti-BMCA-Antikörper

Belantamab-Mafodotin (Blenrep®) ist ein Anti-BMCA (B-Cell Maturation Antigen)-Antikörper IgG1k gekoppelt mit Mafodotin, dem zytotoxischen Wirkstoff Mono-methylauristatin F, welcher die Tubulin-Polymerisation in der Zelle hemmt und somit einer klassischen Chemotherapie entspricht. An Nebenwirkungen wurden in den bisherigen Studien sowohl Zytopenien, v. a. Thrombopenien, als auch IRR beobachtet. Zudem gehören gastrointestinale Beschwerden wie Nausea und Diarrhoen, Infektionen und transiente Erhöhungen der Leberfunktionsparameter zu den bekannten Nebenwirkungen.

Okuläres Monitoring: Ganz spezifisch für diese Substanz und neu im Nebenwirkungsspektrum der Myelomtherapeutika ist aber das gehäufte Auftreten von Keratopathien und mikrozystischen epithelialen Veränderungen in der Cornea (MEC = microcyst like epithelial change). Daher ist ein engmaschiges okuläres Monitoring – bereits vor Start und in der Anfangsphase der Therapie – erforderlich27. Sowohl Keratopathie als auch MEC sind reversibel, sofern diese Nebenwirkungen rechtzeitig erkannt und im Schweregrad akkurat eingeschätzt werden. Je nach Graduierung muss dann durch Therapieunterbrechungen bzw. Dosisanpassung interveniert werden. Das erste augenärztliche Assessment inklusive Spaltlampenuntersuchung wird noch vor Therapiebeginn empfohlen. Danach sind augenärztliche Folgeuntersuchungen jeweils eine Woche vor Applikation der 2., 3. und 4. Dosis vorgesehen. Im weiteren Verlauf sind Kontrollen je nach klinischer Symptomatik angezeigt. Alle PatientInnen sollten supportiv ab Therapiebeginn befeuchtende Augentropfen ohne Konservierungsstoffe 4x täglich verwenden. Vom Tragen von Kontaktlinsen wird abgeraten. Eine prophylaktische Applikation Steroid-basierter Augentropfen zeigte in den Studien keinen präventiven Effekt. Zudem ist eine entsprechende Aufklärung der PatientInnen über eine mögliche Sehverschlechterung und damit verbundene Beeinträchtigungen z. B. beim Autofahren oder Bedienen von Maschinen obligat. Empfehlungen zur Dosisreduktion von Belantamab-Mafodotin gibt es auch für Thrombopenien und IRR28.

Proteinexportinhibitoren

Die Wirkung von Selinexor (selective inhibitor of nuclear export) (Xpovio®) beruht auf einer Hemmung von Proteinen im Zellkern mit Aktivierung von Tumorsuppressoren und daraus resultierender Apoptose der Myelomzellen. Selinexor wurde als Monotherapie in Kombination mit Dexamethason bei PatientInnen mit mindestens vier Vortherapien zugelassen. In Studien werden jedoch bereits verschiedene Kombinationen evaluiert.
Bezüglich unerwünschter Nebenwirkungen stellen in der klinischen Praxis v. a. Übelkeit, Erbrechen, Anorexie und damit verbundener Gewichtsverlust eine Herausforderung dar29–33. Bereits bei Therapiestart wird eine kontinuierliche Komedikation mit 5-HT3-Antagonisten (z. B. Ondansetron) und Olanzapin empfohlen. Gegebenenfalls können zusätzlich NK1R-Antagonisten eingesetzt werden. Sind diese Maßnahmen nicht ausreichend zur Symptomkontrolle, kommen additiv Megestrolacetat und Cannabinoide in Betracht. Im klinischen Alltag hat sich bewährt, unmittelbare Betreuungspersonen, Angehörige und Pflegepersonal der PatientInnen in Aufklärung und Therapieobservanz proaktiv mit einzubeziehen. Eine ergänzende Betreuung durch diätologisches Fachpersonal sowie das selbständige Führen von Ernährungs- und Gewichtsprotokollen kann ebenfalls unterstützen. Eventuell ist in der Anfangsphase der Therapie auch eine regelmäßige intravenöse Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution erforderlich. Nach 1–2 Monaten kommt es in der Regel zu einer spontanen Besserung der gastrointestinalen Nebenwirkungen34.

Zusammenfassung

Das multiple Myelom ist eine Erkrankung, welche überwiegend PatientInnen im höheren Lebensalter betrifft. Dank zahlreicher neuer Behandlungsoptionen konnten sowohl progressionsfreies als auch Gesamtüberleben von MyelompatientInnen signifikant verbessert werden. Durch die generell steigende Lebenserwartung werden wir in der klinischen Praxis mit einer wachsenden Zahl von zunehmend älteren PatientInnen mit vermehrt Komorbiditäten konfrontiert, welche einer Myelom-spezifischen Therapie bedürfen. Ein optimales Nebenwirkungs- und Therapiemanagement unter Berücksichtigung von Alter, Lebenssituation und Begleiterkrankungen ist daher essentiell, um Lebensqualität unter Therapie zu erhalten, Therapieerfolge und Compliance der PatientInnen zu maximieren und unnötige Therapieabbrüche zu vermeiden.


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