SPECTRUM ONKOLOGIE: Auf welcher Datenlage beruht die subkutane Applikation von Bortezomib?
Univ.-Prof. Dr. Johannes Drach: Im Rahmen des letztjährigen ASH-Meetings (Orlando 2010) wurden die Daten der Phase-III-Studie von Bortezomib subkutan versus der Standard Applikation (i. v. Bortezomib) bei Patienten mit rezidiviertem multiplem Myelom vorgestellt. Mittlerweile wurden diese Daten auch im anerkannten Journal Lancet Oncology publiziert (Moreau et al., Lancet Oncology 2011; 12: 431–440). In dieser Studie konnte klar gezeigt werden, dass beide Applikationsformen von Bortezomib in identer Weise wirksam sind: Dies war an den Remissionsraten (42 % nach 4 Behandlungszyklen in beiden Studienarmen) ebenso wie an der Zeit bis zur Progression (median 10,4 Monate bei Bortezomib s. c. versus median 9,4 Monate bei Bortezomib i. v.) ersichtlich. Hinsicht – lich der Nebenwirkungsraten ergab sich allerdings ein deutlicher Vorteil zuguns – ten von Bortezomib s.c. (Tab.): Bei dieser Applikationsform war die Rate an peripheren Neuropathien insgesamt (38 % versus 53 % bei i. v.) sowie auch die Rate an Grad-III-Neuropathien (6 % bei s. c. versus 16 % bei i. v.) signifikant geringer. Meist handelte es sich um eine sensorische Neuropathie, und die Risikofaktoren (vorbestehende Neuropathie, Diabetes mellitus, vorangegangene Exposition gegenüber neurotoxischen Substanzen) waren in beiden Behandlungsarmen ident. Die subkutane Gabe von Bortezomib kann zu einer lokalen Hautreaktion führen, diese war allerdings nur bei 1 % der Patienten als schwerwiegend zu klassifizieren. Insgesamt zeigt diese Studie somit, dass Bortezomib bei subkutaner Applikation zwar gleich wirksam, aber doch deutlich besser verträglich ist als die bisher übliche i. v. Gabe.
Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie bisher mit dieser neuen Applikationsform gemacht?
Aufgrund der viel versprechenden Ergebnisse der erwähnten Studie haben wir nach dem ASH-Meeting 2010 mit der s. c. Gabe von Bortezomib begonnen. Dies wurde in den Standard-Regimen (VTD als Induktionstherapie vor Stammzelltransplantation, VMP beim älteren Myelompatienten; VD als Rezidivtherapie) umgesetzt und bislang bei mehr 20 Patienten angewandt. Die Beobachtungen an den eigenen Patienten bestätigen meiner Ansicht nach die publizierten Studiendaten: Wir haben die bekannten Ansprechraten gesehen, aber hinsichtlich der Verträglichkeit eine deutliche Verbesserung beobachtet. Das betrifft nicht nur die geringere Rate an Neuropathien, sondern auch die weniger ausgeprägte Thrombopenie und das Fehlen jeglicher gastrointestinaler Nebenwirkungen, weshalb wir auf die sonst bei der i. v. Gabe von Bortezomib übliche Vortherapie (Antiemetika-Gabe, Hydrierung) bei Bortezomib s. c. mittlerweile völlig verzichten. Dies hat somit die Bortezomib- Therapie auch in der täglichen Praxis enorm vereinfacht und bedeutet für die Patienten, dass kein intravenöser Zugang mehr erforderlich ist und der Spitalsaufenthalt deutlich verkürzt wird.
Worauf sollte man Ihrer Meinung nach bei der s. c. Applikation von Bortezomib achten?
Wegen der lokalen Rötung an der Injektionsstelle sollten die Orte der s. c. Gabe etwas variiert werden: Wir gehen in der Praxis so vor, dass im Abdominalbereich während eines Behandlungszyklus zwischen den einzelnen Quadranten im Uhrzeigersinn rotiert wird. Wir bevorzugen die Applikation im Bauchbereich gegenüber anderen Orten mit weniger Subkutangewebe (z. B. Oberschenkelbereich), da hier die lokale Rötung geringer ausfällt. Durch die höhere Konzentration der s. c. Zubereitung (2,5-fach höher als bei der i. v. Bolus-Gabe) ist das Injektionsvolumen meist sehr gering und mit anderen subkutan verabreichten Medikamenten nahezu vergleichbar. Selbstverständlich darf bei s. c. Bortezomib auf die übliche virale Prophylaxe (Valaciclovir zur Verhinderung der Herpes-zoster-Reaktivierung) nicht verzichtet werden.
Für welche Patientenpopulation halten Sie die s. c. Applikation von Bortezomib geeignet?
Ich denke, dass Bortezomib s. c. in allen gängigen Kombinationstherapien, wie wir es bislang mit Bortezomib i. v. gehandhabt haben, eingesetzt werden kann. Wir haben beispielsweise sehr gute Erfahrungen im Bereich der Erstlinienund Rezidivtherapie bei Myelompatienten gemacht. Interessante Aspekte ergeben sich aber auch für die Erhaltungstherapie: In der gemeinsamen Studie von HOVON und GMMG wurde bekanntlich Bortezomib als i. v. Injektion alle 2 Wochen für einen Zeitraum von 2 Jahren eingesetzt. Ich glaube, dass Bortezomib s. c. auch in diesem Setting vorteilhaft eingesetzt werden kann.
Welche Strategien empfehlen Sie, um das Auftreten von therapiebedingten Polyneuropathien zu minimieren?
Die wichtigste Maßnahme gilt dem Vermeiden einer Neuropathie durch die rechtzeitige Dosisreduktion beziehungsweise Verringerung der Applikationsweise auf eine wöchentliche Bortezomib- Gabe. Dies setzt eine aktive Befragung des Patienten auf erste Anzeichen voraus, wie z. B. Schwierigkeiten beim Schließen von Knöpfen oder Einschränkung/ Verlust der Temperaturempfindung. Eine subkutane Bortezomib-Applikationsform kann eine weitere Maßnahme zur Verringerung dieser für die Patienten sehr belastenden Nebenwirkung darstellen.
FACT-BOX
• Die subkutane Applikationsform von Bortezomib weist die gleiche Effektivität wie die intravenöse Applikationsform auf.
• Die richtige Rekonstruktion der s. c. Spritze (höhere Konzentration bei geringerem applizierten Volumen) stellt einen entscheiden Faktor für eine nebenwirkungsarme Appli – kation dar.
• Durch die subkutane Applikation können Bortezomib-bedingte Polyneuropathien deutlich reduziert werden.
• Bortezomib s. c. stellt eine sichere und nebenwirkungsarme Alternative zur intravenösen Gabe dar.