Den Onkologen als Spezialist für Krebserkrankungen etablieren: Im Zentrum der Diskussion stand lange Zeit die Frage, ob medizinische Onkologie, also die medikamentöse Tumortherapie, nicht am besten vom jeweiligen Organfach – Urologie, Orthopädie, Chirurgie etc. – gemacht werden sollte. Die Onkologie hätte in diesem Modell nur eine Lücke auszufüllen und sollte am ehesten die Palliativmedizin abdecken. In diesem Punkt ist es mittlerweile sehr gut gelungen, die Bedeutung der Hämatoonkologie und Onkologie zu zeigen: Es sind dies jene Disziplinen, die Grundprinzipien, Vielfalt und Entwicklungen am besten überblicken und auch die Behandlung inklusive der Nebenwirkungsbeherrschung unter Berücksichtigung von Komorbiditäten am besten abdecken können.
Ein Erfolgserlebnis während meiner Präsidentschaft war, dass auf Initiative der OeGHO ein Beratungsgremium des Gesundheitsministeriums, der „Onkologiebeirat“, geschaffen wurde; Prof. Greil übernahm dabei den Vorsitz, ich selbst war Repräsentant für die Themen Psychoonkologie und Palliativmedizin. Im Rahmen dieses Gremiums wurde u. a. der österreichische Krebsplan erarbeitet, in dem die OeGHO aktiv und entscheidend mitwirken konnte.
Was für die Hämatologie eigentlich von Grund auf galt, wurde auch für die Onkologie immer offensichtlicher, nämlich dass es sich um ein zunehmend spezialisiertes Fach handelt. Die einzige Antwort auf den enormen Fortschritt, den wir in den letzten Jahrzehnten sehen, ist die Zentralisierung der PatientInnenbetreuung. Die Zentrums- und Schwerpunktbildung, allerdings ohne die kleineren Häuser mit onkologischen Abteilungen zu vernachlässigen, war daher für uns immer ein wichtiges Thema, das wir durch das Beratungsgremium gut transportieren und entsprechend vertreten konnten.
Die Psychoonkologie in Österreich hat ihren Ursprung an der klinischen Abteilung für Onkologie in Graz; wir waren die Ersten und über lange Zeit die Einzigen, die ein integratives Modell der Psychoonkologie etablierten, in dem Psychologen und Psychotherapeuten direkt an der Abteilung tätig, an Visiten beteiligt und in das Ärzte-Pflege-Team integriert waren und bis heute sind. Unser Modell wurde anfangs belächelt, die OeGHO erkannte aber rasch die Bedeutung der psychologischen Komponente. Das Thema wurde auch im Beratungsgremium bearbeitet und mittlerweile existiert eine eigene Arbeitsgruppe für Psychoonkologie. Ich glaube, es ist nicht zuletzt durch die Vorbildfunktion, die von Graz ausging, gelungen, dass die Psychoonkologie in praktisch allen onkologischen Zentren und Schwerpunktspitälern eine Grundanforderung darstellt. Onkologie muss mittlerweile ein ganzheitliches Modell darstellen, in dem ein Kernteam aus Ärzten, Pflege, aber auch Psychotherapeuten, Psychologen die Betreuung der Patienten übernimmt. In diesem Sinn war es auch ein wesentlicher Teil meiner Präsidentschaft, dieses Anliegen noch stärker zu vertreten, als es bisher schon der Fall war.
In der zweiten Periode meiner Präsidentschaft stellte die Initiative Don´t Smoke ein zentrales Thema dar. Die Initiative wurde anlässlich der Lungenkrebserkrankung des mittlerweile verstorbenen österreichischen Journalisten Kurt Kuch gestartet, dessen Schwester leitende Oberärztin auf meiner Palliativstation ist.
Er erkannte in der letzten Phase seines Lebens, wie das Rauchen sein Schicksal dramatisch beeinflusst hat, und setzte sich bis zum Ende für eine Änderung hinsichtlich des Nichtraucherschutzes in Österreich ein. Auf meine Initiative hin wurde die Kampagne „Don’t Smoke“ österreichweit gestartet und wurde auch von der OeGHO massiv finanziell unterstützt.
Der damalige Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und die Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser haben die Initiative aufgegriffen mit dem Ziel, das Gesetz zu verändern; ein Großteil der damaligen Nationalratsabgeordneten und Regierungsmitglieder hat unsere Petition unterschrieben und das Gesetz wurde tatsächlich geändert.
Das Außergewöhnliche an Herrn Kuch war, dass er die Verbindung zwischen „Ich habe geraucht“ und „Ich habe Lungenkrebs“ für sich aufgearbeitet hat. Damit war Herr Kuch eine große Ausnahme. Bisher habe ich hauptsächlich Patienten erlebt, die diese Verbindung verdrängen, das Thema war oft weder bei Patienten noch deren Angehörigen ansprechbar, sogar vorsichtige Nachfragen haben eine Abwehrhaltung ausgelöst.
Assisted Suicide – ein Tabuthema? In meiner Geschichte als Onkologe hatte ich zwei bis drei Patienten, die mich in der Endphase ihrer Erkrankung sehr intensiv ersucht haben, ihnen Sterbehilfe zu leisten. Das ist in Österreich verboten und ich bin ihrem Wunsch natürlich nicht nachgekommen. Die Schwierigkeit dabei war, dass die Patienten sehr plausibel erklärten, dass sie innerhalb der nächsten Wochen versterben werden, starke Beschwerden und keine Hoffnung auf Besserung haben. Einer der Patienten hat mehrmals täglich massiv Blut erbrochen. Nach einer Blutsubstitution hat auch das Erbrechen wieder begonnen und wir hatten keine therapeutischen Möglichkeiten, es zu stoppen. Eine terminale Sedierung hat der Patient abgelehnt. Bei solchen Patienten ist die Gegenargumentation sehr schwierig. Assisted Suicide ist ein Thema, das meiner Meinung nach in Österreich seriös und ruhig diskutiert werden sollte. Es gibt natürlich schwergewichtige Argumente dafür und dagegen, die man bedenken muss, aber ich halte es für nicht richtig, die Diskussion kategorisch zu verweigern und nicht nach einer potenziellen Lösung zu suchen.
„Es kann und darf nicht darum gehen, die Erkrankung zu behandeln, wir müssen den Patienten mit der Erkrankung betreuen.“ Diesen Leitsatz habe ich in meiner Laufbahn stark propagiert und ich versuche, das auch als Rektor der MedUni Graz intensiv fortzusetzen. Studierende möchten zu Beginn natürlich erst einmal wissen: Wie behandelt man den Herzinfarkt, den Krebs etc.? Sie sollten aber auch von Anfang an verstehen, dass man auch vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklungen, der unglaublichen diagnostischen und immer größer werdenden therapeutischen Möglichkeiten nicht sein ganzes Augenmerk auf „den Krebs“ oder „den Herzinfarkt“ richtet, sondern dass wir gefordert sind, mit dem Patienten zu kommunizieren, ihm empathisch zu begegnen. Wir erleben eine immer stärkere Bewegung in Richtung personalisierte oder Präzisionsmedizin und man sollte sich auch den Urgedanken des Begriffs in Erinnerung rufen, der neben der individuellen Krankheitssituation auch die Persönlichkeit des Patienten, den sozialen Hintergrund, persönliche Erfahrungen, Ängste und Wünsche beinhaltet. Das Ziel „maßgeschneiderte Therapie“ ist in Ordnung, stellt aber nur einen Teil der Gesamtbetrachtung dar.
Wir erleben momentan eine Revolution: Unser medizinisches Wissen verdoppelt sich derzeit alle 2–3 Monate. Es ist undenkbar, dass Einzelpersonen das alles noch erfassen können. Teamarbeit („wen kann ich fragen, an wen kann ich vermitteln“) wird zu einem zunehmend entscheidenden Kriterium, ob Medizin „gut“ ist oder nicht. Wir werden mehr denn je gefordert sein, rasch auf Informationen zugreifen zu können, diese kritisch zu interpretieren und den Betroffenen zu artikulieren – Kommunikation und Empathie werden zu zentralen Eigenschaften guter Ärzte. Die Herausforderung in der modernen Ausbildung ist der Spagat zwischen der Vermittlung des nötigen Wissens für die ärztliche Tätigkeit und der gleichzeitigen Förderung von Kommunikation, Empathie und ethischer Haltung.