ÖGHO 2012: Chronisch lymphatische Leukämie – Management der Immunsuppression

Pathognomonisch für die CLL sind inhärente Immundefekte, wie zellmediierte Immundefizienzen, Defekte der Komplementaktivierung, Defekte der Neutrophilen und Monozyten, lokale Immundefekte der Mukosa und allem voran die Hypogammaglobulinämie. Letztere entsteht durch die Verminderung der T- und CD5-negativen B-Zellen, mit vorrangigen Auswirkungen auf die Immunglobulinsubgruppen IgG3 und IgG4 sowie auf IgA, was die Häufung respiratorischer Infekte bei CLL erklärt. Im Verlauf der Erkrankung kommt es zu zunehmenden Defiziten, die selbst bei einem Therapieansprechen bestehen bleiben1.
Gut untersucht sind die Zusammenhänge zwischen prognostischen Faktoren und humoraler Immunität sowie infektiösen Komplikationen. Bezüglich des Immunglobulinmutationsstatus (IgVH) konnte in einer Serie von Sinsalo et al. kein signifikanter Unterschied zwischen Immunglobulinspiegeln, Ansprechen auf Haemophilus-influenzae-B-Impfung und Infektionsrate zwischen den beiden Gruppen (mutierten vs. unmutierten) gezeigt werden2. In einer anderen retro­spektiven Untersuchung hingegen war bei IgVH-unmutierten Patienten die Zeit bis zum Auftreten einer Infektion signifikant verkürzt und die infektassoziierte Mortalität signifikant erhöht. Ebenso zeigte sich für die Abnormitäten wie p53-Mutation und CD38-Positivität eine signifikant verkürzte Zeit bis zum Auftreten von Infekten. Noch nicht gänzlich geklärt ist der Zusammenhang zwischen systemischer und mukosaler Immunität. So ist nicht klar, ob die mukosalen B-Zellen ein eigenständiges Gefüge oder einen Teil des malignen Klones darstellen3.
Das Erregerspektrum der Infekte ist zu einem großen Teil abhängig von den therapeutisch eingesetzten Substanzen.

Erregerspektrum unter Purinanalogatherapie

Kamen unter der herkömmlichen Alkylanzientherapie nur die gängigen Keimspektren der ambulant erworbenen Infektionen vor, müssen seit Einführung der Therapie mit CD52-Antikörpern und Purinanaloga nun auch opportunistische Erreger in Betracht gezogen werden. Die Therapie mit Fludarabin (FLU) führt zu quantitativen und qualitative T-Zell-Abnormitäten, welche über die Inhibition der zytokininduzierten Aktivierung von STAT1 und der STAT1-abhängigen Gentranskription unterschiedliche Auswirkungen auf die CD4+-, CD8+- und NK-Zellen ausüben. Die T-Zell-Verminderung tritt frühzeitig unter der Therapie auf und kann durchaus bis 2 Jahre nach Beendigung der Therapie bestehen bleiben. Zu den Risikofaktoren für eine Infektion unter Fludarabintherapie zählen das Krankheitsstadium, Vortherapien (hier erhöhte LDH, Hb < 12g/dl und Kreatinin), bei therapienaiven Patienten eine Hypogammaglobulinämie sowie Alter, fehlendes Therapieansprechen (obwohl Respons ≠ Immunrekonstitution) und die ersten Zyklen, da Infekte am häufigsten zu Beginn der Therapie auftreten. Eine Metaanalyse von Steurer et al. konnte zeigen, dass unter FLU signifikant mehr Grad-3-/-4-Infektionen als mit einer Alkylantientherapie auftreten, was auch für die Kombination mit Chlorambucil gezeigt werden konnte4. In einer anderen Studie bei jüngeren Patienten mit FLU versus Fludarabin plus Cyclophosphamid (FC) war die Infektionsrate in beiden Gruppen etwa gleich hoch (33 % vs. 40 %), wobei sicher bemerkt werden muss, dass es im FC-Arm häufiger zu Dosisreduktionen kam und in diese Studie hauptsächlich jüngere Patienten eingeschlossen wurden, die per se ein niedrigeres Infektrisiko aufweisen. Eine andere Untersuchung mit FC-Therapie vs. FLU unter Support mit G-CSF und antiviraler Prophylaxe zeigte hingegen eine niedrige Infektionsrate von < 10 % in beiden Gruppen1.

Erregerspektrum unter Antikörpertherapie

Unter der B-Zell-Suppression mit Rituximab kommt es zu keiner wesentlichen Infekthäufung oder zu opportunistischen Infekten. In Kombination mit FLU allerdings zeigten sich 20 % Grad-3-/-4-Infektionen und hiervon ca. 16 % Herpesvirusinfektionen. Bei vorbehandelten Patienten betrug die Inzidenz an Herpesvirusinfektionen 1 % und die Inzidenz schwerer Infektionen bei FLU-refraktären und FLU-sensitiven Patienten war nicht signifikant unterschiedlich. In der CLL-8-Studie (FCR vs. FC) bei therapienaiven Patienten ohne antiinfektive Prophylaxe zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der Gesamtinfektionsrate (15 % vs. 19 %), und auch die Inzidenz der Herpesvirusreaktivierungen war nicht signifikant unterschiedlich (4 % vs. 4 %)5. Bei einer anderen Untersuchung (FCR vs. FC) bei ebenfalls nicht vorbehandelten Patienten unter Virus- und Pneumocystis-jirovecii-Prophylaxe (PCJ-Prophylaxe) erlitten 1/3 der Patienten mindestens einen Infekt, aber nur 2,6 % „major infections“, es kamen keine Reaktivierungen unter Herpesvirusprophylaxe vor. Auch unter der Therapie mit hochdosiertem Methylprednislon (1 g/m2 d 1–5) und Rituximab (375 mg/m2 d 1, (3,5), 8, 15, 22 q4w) kam es initial zu einer beachtlichen behandlungsassoziierten Mortalität von 14 % im ersten Monat der Therapie und zu einer katastrophal hohen Inzidenz invasiver Pilzinfektionen von 36 %. Durch Einführung einer adäquaten antimikrobiellen Prophylaxe sowie supportiver Therapie konnte die Sicherheit schließlich deutlich erhöht werden.
Unter der Therapie mit dem CD52-Antikörper Alemtuzumab kommt es zum T-Zell-Nadir nach etwa zweieinhalb Wochen, zum Neutrophilennadir nach ca. dreieinhalb Wochen und zur maximalen Suppression der CD19+-/CD5+-B-Zellen und CD3+ /CD4+- bzw. CD3+-/CD8+-T-Zellen nach 4–6 Wochen. Zu erwarten sind hauptsächlich CMV-Reaktivierungen und andere opportunistische Infektionen, wie PCJ-, HSV-, Listerien-, Candida- oder Aspergillus-Infektionen, wobei Infektionen bei Nonrespondern häufiger sind als bei Therapieansprechern. CMV-Reaktivierung wurde in 10–33 % beschrieben, auch bei Konsolidierungstherapie 5 Monate nach Induktion und trotz Therapieansprechen, was schließlich zur Einführung des wöchentlichen PCR-Monitorings bei CMV-IgG-positiven Patienten unter Therapie führte.

Empfehlungen zur antimikrobiellen Prophylaxe bei CLL-Patienten

Bislang existieren keine einheitlichen internationalen Guidelines zur antimikrobiellen Prophylaxe bei CLL-Patienten. Die Empfehlungen sind Einzelfallberichten oder den großen klinischen Studien entlehnt. Die nicht mehr ganz neuen, aber noch aktuellen Empfehlungen der DGHO/AGIHO aus dem Jahr 2006 diskriminieren nicht zwischen Alkylantien-, Pu­rinanaloga- oder Antikörpertherapien und deren Kombinationen und somit nicht nach Wahrscheinlichkeit des Infektionsrisikos6, weshalb im Folgenden versucht wird, die rezenten Empfehlungen „alltagstauglich“ für die klinische Routine zusammenzufassen:

  • Keine antivirale Prophylaxe ist bei einer Erstlinientherapie mit Fludarabin oder Fludarabin plus Rituximab erforderlich.
  • Eine antivirale Prophylaxe (Herpes simplex [HSV], Varizellazoster [VZV]) hingegen ist bei einer Therapie mit Fludarabin und Vorliegen zumindest eines Risikofaktors (Zweitlinientherapie, Alter > 65 a, Steroidtherapie, CD4-Zahlen < 50/μl, Neutropenie Grad III/IV) sowie FC, FCR und unter Alemtuzumab-Therapie obligat. Diese sollte möglichst ab der ersten Woche und bis mindestens zwei Monate nach Therapie durchgeführt werden. Hier bieten sich die gängigen Präparate, wie Valaciclovir 2-mal 500 mg p. o., Aciclovir 3-mal 400 mg p. o. oder auch Aciclovir 2-mal 500 mg p. o. und zur Pneumocystis-jirovecii-Prophylaxe (PCJ-Prophylaxe) Trimethoprim Sulfamethoxazol 3-mal wöchentlich p. o. an.
  • Eine Hepatitis-B-Prophylaxe (HBV-Prophylaxe) sollte bei HBsAg-positiven und HbsAg-negativen Patienten mit positiven Anti-HBc-Ak, auch bei Rituximab-hältigen Therapien mit Lamivudin 100 mg per os durchgeführt werden. Nach einer rezenteren Empfehlung zur antiviralen Prophylaxe unter Alemtuzumab-Therapie wird diese allerdings nur mehr für Patienten unter Stammzelltransplantation empfohlen – wohl auch, um möglichen Resistenzbildungen entgegenzuwirken7.
  • Eine antifungale Routineprophylaxe wird aufgrund der unzureichenden Datenlage nicht empfohlen, kann aber bei Alemtuzumab-Therapie sicherlich in Erwägung gezogen werden. Auch eine generelle CMV-Prophylaxe wird nicht empfohlen. Bei CMV-IgG-positiven Patienten jedoch wird ein wöchentliches CMV-PCR-Monitoring ab Beginn bis mindestens 2 Monate nach Ende der Therapie empfohlen. Bei PCR-positiven, asymptomatischen Patienten empfehlen die noch aktuellen amerikanischen Guidelines aus dem Jahr 2006 den Beginn einer präemptiven antiviralen Therapie mit Ganciclovir, während die gerade veröffentlichten ECIL-4-Guidelines (ECIL, European Council for Infections in Leukemia) eine solche nicht als zwingend ein­stufen8. Eine Therapieunterbrechung bei asymptomatischer Reak­tivierung ist nicht erforderlich.
  • Patienten sollten kritisch bzgl. möglicher Symptomatik beobachtet werden, wobei eine Behandlung symptomatischer Patienten in beiden genannten Richtlinien als obligat eingestuft wird und die Therapie unterbrochen werden sollte. Auch sollte die Durchführung einer bronchioalveolären Lavage oder Bronchoskopie bei suspizierter pulmonaler Erkrankung erwogen werden.
  • Zur Durchführung von Vakzinierungen bestehen keine großen prospektiv randomisierten Studien. Meist besteht ein suboptimales Ansprechen aufgrund beeinträchtigter Antikörperproduktion und Antigenpräsentation, und generell ist ein serologisches Ansprechen erst bei einem IgG-Spiegel > 700 mg/dl zu erwarten, was nur wenige CLL-Patienten im Verlauf der Erkrankung erreichen. Evtl. soll ein besseres Ansprechen mit Protein- und Konjugatimpfstoffen zu erreichen sein. Trotz fehlender Guidelines wird eine saisonale Impfung gegen Influenza und Pneumokokken seitens der DGHO/AGIHO empfohlen6.
  • Hinsichtlich der prophylaktischen Substitution von intravenösen Immunglobulinen (IVIG) existieren zumindest zwei große randomisierte Studien. Bei Verabreichung von hoch dosierten IVIG 400 mg/kg alle 3 Wochen zeigte sich zwar eine Verminderung der leichten Infektionen, aber kein Effekt auf das Auftreten schwerer Infekte und auf die Mortalität. In einer anderen Studie mit niedrig dosierten IVIG wiederum kam es zwar zu einer Verbesserung der Infektrate, diese war jedoch nicht signifikant und es ist generell anzumerken, dass die Immunglobulinspiegel nicht mit der Infektrate korrelieren (IgM und IgA werden nicht ersetzt). Nicht zuletzt aus ökonomischen Überlegungen besteht somit keine generelle Empfehlung für eine prophylaktische Substitution von IVIG – diese kann aber durchaus in ausgewählten Fällen erwogen werden.

ZUSAMMENFASSEND haben Infektionen einen wesentlichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf von CLL-Patienten, auch unabhängig vom Behandlungsstatus. Mit der Entwicklung neuer Substanzen sollte das Augenmerk nicht ausschließlich auf Ansprech­raten, Remissionsdauer und Gesamtüberleben, sondern auch auf deren Auswirkungen auf die Immunfunktion gelegt werden. Eine wesentliche Herausforderung und wesentliche Aufgabe des behandelnden Arztes ist sicherlich die rechtzeitige Erfassung von Risikopatienten und die Optimierung von Prophylaxe und Therapie zur Verringerung der Inzidenz infektiöser Komplikationen.

 

1 Morrison VA, Best Pract Res Clin Haematol 2010; 23:145–153
2 Sinisalo M et al., Leuk Lymphoma 2004; 45:2451–4.
3 Morrison VA et al., Blood 1996; 88:240a.
4 Steurer M et al., Cancer Treat Rev 2006; 32:377–389.
5 Hallek M et al., Lancet 2010; 376(9747):1164–74.
6 Sandherr M et al., Ann Oncol 2006; 17:1051–1059.
7 Elter T, Ann Hematol 2009; 88:121–132.
8 Ljungman P et al., ECIL-4 Meeting 2011.