ÖGHO 2012: Potenzial zur Diagnose und Therapie – MicroRNA als Theragnostika beim Kolorektalkarzinom

Vor circa 20 Jahren wurde ein kleines RNA-Molekül am sog. lin-4-Lokus beim Fadenwurm Caenorhabditis elegans entdeckt, welches in der Entwicklungsphase des Wurms eine wesentliche Rolle spielt (Lee RC et al., Cell 1993). Nach dieser Erstbeschreibung wurde erst 10 Jahre später bei vielen anderen Spezies gezeigt, dass es sich bei diesen kleinen, nichtkodierenden RNA-Molekülen um essenzielle Teile des Genexpressionsapparates handelt (Lagos-Quintana M et al., Science 2001). Die aufgrund ihrer Größe von etwa 20 Nukleotiden als MicroRNA bezeichneten Regulatoren der Genexpression werden in den meisten Fällen von der RNA-Polymerase II als längere haarnadelartige sog. primäre Transkripte (pri-MicroRNA) im Nukleus generiert, durch das Enzym Drosha in kürzere pre-MicroRNA umgewandelt, über ein Exportprotein (Exportin 5) ins Zytoplasma transferiert und dort dann über das Enzym Dicer nochmalig in die „reife“ kurze MicroRNA gespalten. Im Zytoplasma assoziiert die MicroRNA dann mit einer Reihe an Proteinen zum sog. „miRNA-containing RNA-induced silencing complex“ (miR-RISC), wo es sodann durch die Bindung der MicroRNA an komplementäre Sequenzen innerhalb der durch sie regulierten Messenger-RNA (mRNA) zu einer Destabilisierung der mRNA oder Hemmung der Proteintranslation kommen kann (Iorio et al., EMBO Mol Med 2012).

MicroRNA und Krebs

Eine der ersten Studien, die den Zusammenhang zwischen MicroRNA und menschlichen Tumoren feststellen konnte, wurde von George A. Calin aus der Gruppe um Carlo Croce von der Ohio State University publiziert. Auffallend war, dass bei der chronisch lymphatischen Leukämie häufig ein Verlust am Chromosom 13 (13q14) auftritt. In dieser Region konnten zwei MicroRNA (miR-15a und miR-16-1) als kausale Faktoren in der Pathogenes der CLL identifiziert werden (Calin GA et al., PNAS 2002). Seit den ersten Arbeiten über MicroRNA hat sich die Anzahl der Publikationen innerhalb der letzten 10 Jahre von 8 (Jahr 2002), 6.700 (Jahr 2010) auf nunmehr über 13.000 (Jahr 2012) exponenziell gesteigert (Abb.). Der Grund dafür liegt vor allem im großen Potenzial, welches MicroRNA als Biomarker für die Diagnose, Prognose, aber auch für die Therapie von Tumorerkrankungen in Zukunft vorausgesagt wird. Als „Diagnostika“ zeichnen MicroRNA besonders die spezifischen Veränderungen im Krebsgewebe im Vergleich zum Normalgewebe aus. Diese gewebstypischen Aberrationen reflektieren sich auch in Körperflüssigkeiten/Absonderungen (Blut, Harn, Stuhl, Speichel) der Erkrankten wieder und können in diesen Medien sehr sensitiv und spezifisch mittels Standardmethoden (RT-PCR) der molekularen Diagnostik gemessen werden. Last, but not least zeichnen sich MicroRNA im Unterschied zu größeren mRNA durch besondere Stabilität sowohl in Blut oder auch in routinemäßig verwendeten formalinfixierten Gewebe aus (Wang K et al., PNAS 2009). Aus therapeutischen Über­legungen heraus spielen MicroRNA als wichtige Regulatoren von fundamentalen zellulären Prozessen (z. B. Proliferation, Apoptose, Stammzellen, Angiogenese) eine entscheidende Rolle in der Entstehung und Progression von Krebserkrankungen. Durch zielgerichtete Blockade von MicroRNA über komplementäre synthetisierte Sequenzen ist es zumindest in vitro und im Tiermodel bereits möglich, hier gezielt einzugreifen. Da MicroRNA oft mehrere Pathways bzw. mehrere Mitglieder einer Signalkaskade als Target haben, können hier mitunter fulminante Effekte erzielt werden.

 

 

Bedeutung beim Kolorektalkarzinom: Der erste Beweis, das MicroRNA beim Kolorektalkarzinom im Unterschied zum normalen Gewebe differenziell exprimiert wird, wurde in einer Microarray-basierten Vergleichsstudie publiziert (Michael RZ et al., Mol Cancer Research 2003). Andere Arbeiten konnten zeigen, dass MicroRNA mit bestimmten genetischen Eigenschaften im Kolorektalkarzinom assoziiert sind (Lanza G et al., Mol Cancer 2007), Proliferation und Migration steuern (Bandres C et al., Clin Cancer Research 2010) oder bestimmte spezifische Zielstrukturen wie z. B. das KRAS-Onkogen besitzen (Chen X et al., Oncogene 2010). In unserer Arbeitsgruppe konnten wir über Microarray-Analysen bestimmte MicroRNA identifizieren, welche mit zellulärem Wachstum in Kolorektalkrebszelllinien assoziiert sind. Auf Grundlage der Zellkulturdaten wurden dann gewebsbasierte Analysen zur Bestätigung und spezifischen Lokalisation der gefundenen MicroRNA durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass miR-200 über In-situ-Hybridisierung spezifisch in Kolorektalkarzinomgewebe nachweisbar ist und dass ein Verlust der Expression offenbar mit schlechterem Überleben assoziiert ist. Aus den Zellkulturexperimenten zeigte sich, dass die Expression von miR-200 offenbar mit epithelialen Zellmarkern (E-Cadherin) korreliert. Bringt man nun miR-200 in Kolorektalzelllinien ein, kommt es tatsächlich zu einer verminderten Expression von mesenchymalen Zellmarkern (Vimentin), während diametrale Ergebnisse bei Hemmung der Funktion von mir-200 eintreten (Gregory P, Nature Cell Biology 2008). Somit steuern bestimmte MicroRNA den wichtigen Vorgang der sog. epithelial-mesenchymalen Transition (EMT), ein Mechanismus, der bei der Invasion und Metastasierung von Tumorzellen als sehr bedeutsamer Vorgang angesehen wird.
Zusammenfassend können Mitglieder der miR-200-Familie als neue Biomarker für die Prognose der Krankheitsprogression von Patienten mit Kolorektalkarzinom dienen, anderseits durch pharmakologische Beeinflussung der miR-200-Expression und somit der EMT möglicherweise therapeutische Bedeutung erlangen.

 

FACT-BOX

  • MicroRNA sind kleine nichtkodierende RNA-Moleküle, die in Krebszellen fundamentale zelluläre Prozesse wie Proliferation oder Apoptose steuern.
  • Potenzial als Diagnostika: einfach nachzuweisen, typische Signaturen in Körperflüssigkeiten, stabile Analyte im Blut oder formalinfixiertem Gewebe.
  • Potenzial als Therapeutika: beeinflussen fundamentale zelluläre Prozesse, spezifische komplementäre Sequenzen einfach synthetisierbar, Beeinflussung mehrerer Targets durch Manipulation möglich.
  • miR-200-Expression beeinflusst Überleben der Patienten mit Kolorektalkarzinom und steuert die epithelial-mesenchymale Transition