ÖGHO 2012: Weniger aggressive Therapie bei HPV-positiven Kopf-Hals-Tumoren

Jährlich erkranken mehr als eine halbe Million Menschen an einem Plattenepithelkarzinom im Kopf-Hals-Bereich, und ungefähr 50 % der Patienten versterben an der Tumorerkrankung1. Insgesamt kam es in den letzten Jahren zu einem Rückgang an Neuerkrankungen, was auf einen verminderten Nikotinkonsum zurückgeführt wird. Andererseits zeigte sich eine Zunahme an Erkrankungen im Orophayrnxbereich, z. B. in Norwegen um ca. 4 % pro Jahr2.
Diese Zunahme an Neuerkrankungen an Oropharynxkarzinomen (oropharyngeal squamous cell carcinoma, OSCC) wird auf eine Zunahme der Durchseuchung mit dem humanen Papillomavirus (HPV) zurückgeführt. Das besondere epidemiologische, biologische und klinische Verhalten von HPV-positiven Plattenepithelkarzinomen spiegelt sich in unterschiedlichen tumorspezifischen Variablen wider (Tab.).

 

 

Aktuelle Therapiestrategien: Etwa 30 bis 40 % aller Plattenepithelkarzinome im HNO-Bereich manifestieren sich in so genannten Frühstadien (Stadien I und II), bei HPV-positiven Tumoren liegt der Anteil höher. Die Therapiestrategie in Abhängigkeit von der Ausdehnung des Tumors besteht in einer primären Radiochemotherapie oder einer chirurgischen Resektion mit oder ohne anschließender Bestrahlung. Beide Modalitäten zeigen vergleichbare Ergebnisse bezüglich lokaler Kontrolle und Gesamtüberleben, aber ein unterschiedliches Nebenwirkungsspektrum. Indikationen zur postoperativen Radiotherapie bestehen bei R1-Resektion, Perineuralscheiden- oder Gefäßinvasion. Bei R1-Resektion oder kapselüberschreitendem Wachstum von Lymphknotenmetastasen wird eine postoperative Radiochemotherapie mit Cis­platin empfohlen3. Bei resektablen ­Tumoren, aber zu erwartender mutilierender Chirurgie, oder aber bei nicht resektablen Tumoren wird eine konkomitierende Radiochemotherapie bevorzugt4. Alternativ kommt auch die konkomitierende Gabe von Cetuximab zur Radiotherapie infrage5, wobei ein Head-to-Head-Vergleich zum bisherigen Standard, konkomitierende Therapie mit Cis­platin, aussteht. Auch eine Induktionschemotherapie nach dem TPF-Schema (Docetaxel, Cisplatin, Fluorouracil) sollte bei geplanter Organerhaltung diskutiert werden6.

Prognose HPV-positiver Tumoren: Das signifikant verbesserte Überleben der HPV-positiven Oropharynxkarzinome zeigte sich nicht nur in retrospektiven Erhebungen7, auch eine multizentrische, prospektiv randomisierte Studie konnte die retrospektiven Daten eindeutig bestätigen. HPV-positive Tumoren hatten dabei nach einer Induktionschemotherapie und anschließender Radiochemotherapie bessere Ansprechraten. Im weiteren Verlauf, nach einem Follow-up von knapp 40 Monaten, konnte ein besseres Gesamtüberleben beobachtet werden8. Weitere retrospektive Untersuchungen mit teilweise kleinen Patientenzahlen9 an chirurgisch behandelten Patienten mit oder ohne adjuvante Radiotherapie stellten fest, dass die HPV-Positivität des Tumors an sich ein begünstigender prognostischer Faktor ist, vielleicht sogar unabhängig von der Therapiestrategie.
Weitere Faktoren, die die Prognose speziell bei HPV-positiven Tumoren beeinflussen, sind z. B. der EGFR- und TP53-Status10, 11. Ang und Kollegen werteten Patienten mit OSCC, die im Rahmen der RTOG-Studie 0129 (standardfraktionierte Bestrahlung plus Cisplatin versus akzelerierter kokomitanter Boost plus Cis­platin) behandelt wurden, mit der Fragestellung HPV-Status und Nikotinabusus aus. Es konnte drei Gruppen mit eindeutig unterschiedlicher Prognose heraus­gefiltert werden (Abb.)12.

 

 

Therapieziele, Fazit: Bei den möglichen Nebenwirkungen der aufgeführten Therapieschemata kann es sich um die ­Lebensqualität entscheidend beein­flussende Körperfunktionen wie die Geschmacksempfindung, das Schlucken und Sprechen handeln. So ist das Ziel einer Therapie, die Nebenwirkungsrate so niedrig wie möglich zu halten, ohne aber die Heilungschancen zu gefährden. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die primäre Intention im kurativen Therapieansatz die Heilung des Patienten, also die Tumorfreiheit nach mindestens 5 Jahren, ist. Es werden aber aufgrund der bekannten Langzeitnebenwirkungen von Chirurgie und Bestrahlung Untersuchungen in Richtung Therapiedeintensivierung unternommen. Aktuell sind die 5-Jahres-Überlebensraten von OSCC und HPV-Positivität bei 80 bis 90 %. Weiterhin wissen wir augenblicklich nur, dass der HPV-Status ein prädiktiver und ein prognostischer Faktor ist. So gilt es, in prospektiv randomisierten Studien die entscheidenden prognostischen Faktoren zu eruieren, um in Zukunft evidenzbasierte Therapieanpassungen ohne Gefährdung des Therapieerfolges vornehmen zu können. Zum jetzigen Zeitpunkt eine Therapiedeintensivierung außerhalb von prospektiven Studien durchzuführen bedeutet, ohne klare Evidenz das Risiko einer schlechteren Tumorkontrolle mit schlechterer Überlebensrate einzugehen13.

FACT-BOXDie augenblickliche Datenlage lässt zwar zu, dass der HPV-Status als prädiktiver und prognostischer Faktor zu bewerten ist, aber für eine Änderung der augenblicklichen Therapie zur Verminderung der Toxizität ist die Datenlage noch nicht ausreichend.

1 Parkin DM et al., CA Cancer J Clin 2005; 55:74–108
2 Mork J et al., Cancer Causes Control 2010; 21:1397–1405
3 Bernier J et al., Head Neck 2005; 27:842–850
4 Forastiere AA et al., N Engl J Med 2003; 349:2091–2098
5 Bonner JA et al., Lancet Oncol 2010; 11:21–28
6 Pointreau Y et al., Anticancer Drugs 2011; 22:613–620
7 Ang KK et al., Semin Radiat Oncol 2012; 22:128–142
8 Fakhry C et al., J Natl Cancer Inst 2008; 100:261–269
9 Fischer CA et al., Int J Cancer 2010; 126:1256–1262
10 Hong A et al., Eur J Cancer 2010; 46:2088–2096
11 Licitra L et al., J Clin Oncol 2006; 24:5630–5636
12 Ang KK et al., N Engl J Med 2010; 363:24–35
13 Sturgis EM, Ang KK, J Natl Compr Canc Netw 2011; 9:665–673