Palliative Care onkologischer Intensivpatienten

Der Anteil von Patienten auf einer Intensivstation mit onkologischer Grunderkrankung hat in den vergangenen 10 Jahren deutlich zugenommen und liegt auf einzelnen Abteilungen bei bis zu 30 %, berechnet nach Patiententagen. Gründe für die Aufnahme an einer Intensivstation sind die postoperative Betreuung nach chirurgisch-onkologischen Eingriffen, Komplikationen im Rahmen der Therapie und schwere akute Erkrankungen wie akute respiratorische Insuffizienz, schwere Infektionen, metabolische Störungen bzw. kardiovaskuläre Komplikationen im Verlaufe der malignen Erkrankung.
Früher war man bei Auftreten von Lungenversagen und/oder Sepsis mit einer Aufnahme an einer Intensivstation sehr zurückhaltend. Untersuchungen der vergangenen 15 Jahre zeigen jedoch, dass diesen Patienten mit effektiveren onkologischen und intensivmedizinischen Therapien wirkungsvoll geholfen werden kann. Allerdings sterben viele Patienten mit onkologischen Grunderkrankungen auf Intensivstationen oft nach einem Rückzug kurativer und Einleitung palliativer Maßnahmen. Dies muss vom Intensivteam gemanagt werden.

Intensivmedizin und Palliativmedizin – ein Widerspruch? Primäres Ziel der Interventionen auf Intensivstationen ist, das Überleben zu sichern, indem Organfunktionen stabilisiert bzw. Organversagen durch meist invasive und sehr aufwendige Verfahren rückgängig gemacht werden. Die Palliativmedizin hingegen fokussiert auf die medizinisch, psychosozial und spirituell sehr komplexe Periode am Lebensende, in der die Hilfe eines Teams mit speziellen Kompetenzen in der Versorgung eines Sterbenden hilfreich ist. Diese scheinbar unterschiedlichen Zugänge der Intensiv- und Palliativmedizin treffen auf der Intensivstation unweigerlich zusammen, da zwischen 5 und 30 % der auf der Intensivstation aufgenommenen Patienten – bei onkologischen Patienten bis zu 50 % – versterben. Der Tod muss vom Intensivteam gemanagt werden, was die große Bedeutung der Palliativmedizin und deren Integration in der Intensivmedizin untermauert.
Hierfür stehen 2 Modelle zur Verfügung: das konsultative und das integrative Modell1. Im konsultativen Modell bieten Palliativmediziner entweder speziell zugeordnet zur Intensivstation oder als Angehörige eines Palliativteams Unterstützung bei der palliativen Betreuung von Patienten an. Palliative Care fokussiert hier auf eine Subgruppe von Patienten mit hohem Risiko für einen schlechten Outcome. Kriterien für die Anforderung einer palliativen Mitbetreuung sind spezielle Ausgangssituationen des Patienten wie hohes Alter, fortgeschrittenes Malignom, präexistierende Multimorbidität bzw. funktionelle Abhängigkeit bzw. Versagen der kurativen Therapiemöglichkeiten. Die Diskussionen zwischen Intensivmedizinern, Intensivpflegepersonen und Palliativmedizinern führt beim konsultativen Modell zu einer Sensibilisierung des Intensivteams für Probleme am Lebensende sowie zu einem Wissenszuwachs der intensivmedizinisch tätigen Ärzte und Pflegepersonen auf dem Gebiet der Palliative Care. So wird die palliative Versorgung kritisch Kranker kontinuierlich verbessert.
Im integrativen Modell sind Palliativmediziner in das Intensivteam integriert. Vorteile sind eine möglicherweise früher einsetzende Diskussion über eine Änderung des Therapieziels von kurativ auf palliativ und eine raschere Umsetzung palliativer Maßnahmen. Die betrifft nicht nur medikamentöse Maßnahmen bzw. andere Therapien (Beatmung, extrakorporale Therapien etc.), sondern auch – falls möglich – die intensive Gesprächsführung mit dem Patienten und vor allem auch mit dessen Angehörigen.

Patientenwünsche – Patientenverfügungen onkologischer Intensivpatienten: Ein Großteil der Patienten, die heute palliativmedizinisch betreut werden, hat eine onkologische Grunderkrankung. Die Betreuung dieser Patienten erfolgt in der Terminalphase in der Regel gemeinsam durch Onkologen und Palliativmediziner – ambulant bzw. konsiliarisch oder auf eigenen Palliativstationen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme des Patienten mit einer malignen Erkrankung auf die Intensivstation sind dessen Wünsche betreffend des Ausmaßes kurativer intensivmedizinischer Maßnahmen nur bei einem geringen Prozentsatz bekannt, bzw. sind nur selten Patientenverfügungen vorhanden2. Dies ist relevant, da gezeigt werden konnte, dass schwerstkranke Patienten mit einem fortgeschrittenen Bronchuskarzinom Stadium III und IV eine komfortorientierte Behandlung wünschen und dass bei einem Großteil dieser Patienten mit fortgeschrittenem Bronchuskarzinom Patientenwünsche betreffend intensivmedizinischer Maßnahmen a priori nicht eingeholt wurden bzw. bei Aufnahme an der Intensivstation nicht bekannt waren3. Entscheidungen, wie die Order, nicht zu reanimieren (DNR-Order: „Do not resuscitate!“), werden bei den meisten onkologischen Patienten auf der Intensivstation erst innerhalb der letzten 48 Stunden abgegeben – in einer Phase, in der von der kurativen Therapie auf eine palliative Therapie umgestellt wird, ohne genau zu wissen, ob die bis dahin durchgeführte Intensivtherapie noch im Sinne des Patienten war.
In der Akutphase der schweren Erkrankungen wäre eine Diskussion über lebenserhaltende Maßnahmen mit zu großen Belastungen für den Patienten verbunden. Zudem ist aus Untersuchungen bekannt, dass dies in dieser Situation von Patienten auch nicht gewünscht wird. Daher muss eine entsprechende Aufklärung am Beginn der Erkrankung geführt und im Laufe der Erkrankung immer wieder thematisiert werden. Die Gesprächsführung ist manchmal schwierig und setzt eine entsprechende Schulung voraus, um keine zusätzlichen Belastungen für den Patienten zu provozieren. Vielerorts werden diese Gespräche von Palliativmedizinern und/oder Psychologen geführt. Es gibt jedoch auch Situationen, wie z. B. bei akuter Leukämie, in denen es bereits in der Initialphase der Erkrankung zu Notfällen wie einer intensivpflichtigen, respiratorischen Insuffizienz kommt und eine entsprechende Aufklärung bzw. eine Diskussion mit dem Patienten zeitlich nicht mehr möglich ist. Hier muss versucht werden, die Wünsche des Patienten auf Basis der verfügbaren Informationen von Verwandten und Bekannten zu eruieren und daraus eine Entscheidung zu treffen. Sehr häufig wird der Verlauf der Erkrankung als Grundlage für weitere Therapieentscheidungen bzw. einen Umstieg auf eine palliative Therapie herangezogen. Ganz allgemein gilt, dass eine kurative Therapie immer abzubrechen ist, wenn diese als physiologisch nicht mehr sinnvoll anzusehen ist.

Intensivstation als Ort für eine palliative Betreuung onkologischer Intensivpatienten: Sobald sich das Ziel einer kurativen Behandlung in Richtung komfortorientierter Behandlung verschoben hat, ist auch ein Shift des Behandlungsortes bzw. der Behandlungsumgebung erforderlich. Es besteht prinzipiell die Möglichkeit eines Transfers auf eine Palliativstation oder einer palliativen Betreuung zu Hause. Bei Schwerstkranken ist ein Transfer aus der Intensivstation aus verschiedenen Gründen jedoch meist nicht (mehr) möglich und wird in der Praxis daher auch nur selten durchgeführt. Daher sollte auf der Intensivstation ein für den Patienten möglichst optimaler Ort gesucht werden, in dem er vor Lärm, Licht und Hektik geschützt ist. So kann eine gewisse Intimität gewährleistet werden, die es auch den Angehörigen ermöglicht, länger beim Patienten zu bleiben, ohne mit dem „Intensivbetrieb“ zu kollidieren. Angehörigenzimmer im Krankenhaus erleichtern dies.

Management von Beschwerden einschließlich Schmerzen des onkologischen Intensivpatienten: Im Rahmen einer Erhebung bei onkologischen Patienten auf einer Intensivstation mit integrierter Palliativversorgung klagten 55 % bis 75 % über Schmerzen, Angst, Schlafstörungen, Hunger und Durst, 33 % bis 40 % über Depression und Atemnot; die Unmöglichkeit zu kommunizieren, die Unterbrechung des Schlafes und ein­geschränkte Besuche wurden als be­sondere Stressoren empfunden4. Idente Beschwerden in vergleichbar hohem Prozentsatz wurden in einer weiteren rezenten Studie bei onkologischen Intensivpatienten verzeichnet, bei denen ein Palliativkonsil angefordert wurde und die zum Teil danach auf eine Palliativstation transferiert wurden. Die palliativmedizinische Konsultation erfolgte im Durchschnitt 10 Tage nach der Aufnahme auf die Intensivstation. Diese Beschwerden ähneln jenen von Intensivpatienten mit anderen Grunderkrankungen. Sehr häufig sind diese Beschwerden mit Interventionen wie Gefäßpunktionen, Setzen von Sonden, endotracheales Absaugen, Drehen im Bett und Mobilisation etc. verbunden. Entsprechende therapeutische Maßnahmen vor diesen Interventionen, aber auch Gespräche mit dem Patienten, falls möglich, können eine relevante Verbesserung bringen. Auffallend an den oben angeführten Untersuchungen ist die Tatsache, dass die berichteten Beschwerden sogar in einem Zentrum mit großer palliativmedizinischer Kompetenz sehr häufig waren. Möglicherweise ist das Problem auf anderen Intensivstationen noch häufiger und besonders gravierend bei onkologischen Intensivpatienten. Um die Situation zu verbessern, sollte bereits auf die kleinsten Anzeichen von Angst und Schmerzen geachtet werden, um relevante Belastungen durch frühzeitige Maßnahmen hintanzuhalten. Es können dafür die bekannten Schmerzskalen oder eine Schmerz-Behavior-Skala zu Hilfe genommen werden. Angehörige können dazu beitragen, Frühzeichen zu erkennen. So erkannten in der SUPPORT-Studie5 Angehörige in 73,5 % der Fälle Schmerzen des Intensivpatienten frühzeitig.
In der Terminalphase haben Patienten auch unabhängig von der Intensivstation Beschwerden wie starke Schleimbildung bzw. die Unfähigkeit, Schleim abzuhusten. Diese qualvollen Beschwerden können durch Verminderung der Flüssigkeitszufuhr und Gabe anticholinerger Substanzen wie Atropin oder Glykopyrrolat (Robinul®) meist sehr effektiv beherrscht werden.
Ob die in Studien detektierten Beschwerden von onkologischen Intensivpatienten effektiv gebessert werden können, ist wenig untersucht. In einer Studie mit 88 onkologischen Intensivpatienten konnte bei 90 % der Patienten die Schmerzsymptomatik, bei 91 % die Übelkeit, bei 90 % die Atemnot, bei 89 % die Angst, bei 83 % die Verstopfung, bei 48 % die Depression und bei 54 % die Schlaf­störung gebessert werden, der Appetit konnte bei 19 % gesteigert werden6.

Kommunikation – Rolle von Angehörigen onkologischer Intensivpatienten: Die Behandlung von Symptomen ist nur eine Maßnahme, die zu einem höheren Patientenkomfort führt. Die Palliativmedizin in der Intensivmedizin darf nicht auf die Beherrschung von Beschwerden reduziert werden. Eine der zentralen Aufgaben der Palliativmedizin ist es, Kommunikation zu ermöglichen und Patientenwünsche in den Mittelpunkt der Entscheidungen zu stellen. Die Schwierigkeit in der intensivmedizinischen Praxis besteht darin, dass fast alle Patienten nicht mehr kontaktfähig bzw. zu krank sind, um an einem Gespräch über ihre Behandlung teilnehmen zu können. Das Gespräch mit Angehörigen ist wichtig und muss mit großer Sorgfalt geführt werden. Angehörige sollten nicht das Gefühl bekommen, die Entscheidung zum Abbruch oder zum Vorenthalt kurativer Therapien übernehmen zu müssen. Die Kommunikation mit den Angehörigen dient nicht nur dazu, mehr Information über den Wunsch des Patienten zu erhalten, sondern auch, um Angehörigen eine Hilfe in der Bewältigung der meist sehr schwierigen Situation anzubieten. Dazu gehört die gut verständlich gehaltene Aufklärung über die Erkrankung und den Krankheitsverlauf. Es muss hier auch klargestellt werden, dass ein Rückzug aus kurativen Therapien kein Ende der Behandlung bedeutet, sondern einen Umstieg auf Maßnahmen, die ein Sterben ohne Qualen und in Würde ermöglichen.
Angehörige spielen in vielerlei Hinsicht für die Betreuung des Patienten auf der Intensivstation eine große Rolle. Ihre Anwesenheit ist einerseits sehr wichtig für den Patienten – viele Intensivpatienten klagen darüber, zu viel allein gelassen zu werden –, andererseits können Angehörige wertvolle Information über den Patienten geben, um das intensivmedizinische Vorgehen an den (wahrscheinlichen) Patientenwunsch anpassen zu können. Durch eine gute und effektive Kommunikation können lebensverlängernde Maßnahmen früher beendet und Beschwerden vermindert werden7.
Angehörige befinden sich allerdings auch in einer Ausnahmesituation und sind vor allem beim Tod des Patienten gefährdet, ein posttraumatisches Stresssyndrom (PTSS) zu erleiden. Eine inadäquate Information der Angehörigen erhöht das Risiko für ein PTSS mit Schuldzuweisung und Depressionen ebenso wie ein „Aufdrängen“ von Entscheidungen zum Abbruch kurativer Therapien8.
Weiters ist die Familiendynamik zu beachten. Emotionale Reaktionen können durch eine länger dauernde Chemotherapie verkompliziert und ungelöste Familienprobleme aktualisiert werden. Schuldzuweisungen oder Ärger können auftreten, wie z. B. bei chronischen Rauchern, bei denen es zu einem Lungenkarzinom gekommen ist. Pflegepersonen und Ärzte sind gefordert, hier die richtigen Worte zu finden (praktische Beispiele bei Brennan 20119).

Intensivstation als Ort der Palliativmedizin bei nicht primär intensivpflichtigen onkologischen Patienten: Eine Betreuung auf der Intensivstation ist zur Beherrschung von somatischen Beschwerden nicht primär kritisch Kranker in der Terminalphase ihres Lebens nur selten sinnvoll. Mögliche Indikationen sind eine vorübergehende, nichtinvasive Beatmung bei Atemnot von onkologischen Patienten mit terminaler Herzerkrankung und terminaler Lungenerkrankung, bei denen die palliativen Therapiemaßnahmen wie die 02-Insufflation oder die Gabe von Opiaten nicht ausreichend sind, oder aber vom Patienten nicht gewünscht werden.
Eine intensivmedizinische Option kann hierbei – neben einer nichtinvasiven Beatmung – auch eine kurzfristige Hämofiltration darstellen.
Der therapierefraktäre Juckreiz bei malignen Erkrankungen der Leber und der ableitenden Gallenwege kann bei Versagen medikamentöser Maßnahmen in Einzelfällen den Einsatz extrakorporaler Verfahren gerechtfertigen.

Zusammenfassung

Durch Verbesserung der therapeutischen Möglichkeiten hat sich die Prognose intensivpflichtiger Patienten mit onkologischen Erkrankungen deutlich verbessert. Dies führte zu einer Zunahme der Aufnahme dieser Schwerstkranken auf Intensivstationen. Viele onkologische Patienten versterben auf Intensivstation, wobei dem Tod ein Rückzug kurativer Therapien vorausgeht. Das Intensivteam hat die Aufgabe, dies zu managen, wobei Palliativmediziner konsultativ oder als Angehörige des Intensivteams viel zum Komfort des Patienten – nicht nur in seinen letzten Stunden – beitragen können. Nur bei wenigen Patienten findet vor der Aufnahme ein Gespräch über Therapiebegrenzung und DNR statt, obwohl bekannt ist, dass Patienten mit fortgeschrittenen Malignomen in einem hohen Prozentsatz eine Begrenzung zugunsten eines „comfort care“ wünschen. Die Beschwerden von onkologischen Intensivpatienten sind weitgehend ident mit denen nichtonkologischer. Durch eine enge und frühzeitige Kooperation von Intensivmedizinern, Onkologen und Palliativmedizinern können adäquate palliative Maßnahmen rechtzeitig eingesetzt werden, wodurch bei einem Großteil der Patienten eine Besserung dieser Beschwerden erzielt werden kann.

 

1 Nelson JE, Crit Care Med 2010; 38:1756
2 Gaeta S et al., Critical Care Clin 2010; 26:219–27
3 Reichner CA et al., Chest 2006; 130:719–723
4 Nelson JE et al., Crit Care Med 2001; 29:277–282
5 Conners AF et al., JAMA 1995; 274:1591–1598
6 Delgado-Guay MO et al., Cancer 2009; 115:437–45
7 Curtis JR et al., Am J Resp Crit Care Med 2011; 138:348–355
8 Azoulay E et al., AJRCCM 2005; 171:987–994
9 Brennan CW et al., Advanced Critical Care 2011; 22:379–396