Im Jahr 1886 wechselte Otto Kahler von der deutschsprachigen medizinischen Universität in Prag nach Wien, wo er zum Vorstand der 2. Medizinischen Universitätsklinik berufen wurde. Otto Kahler hatte zuvor einen Patienten mit multiplem Myelom und massiver Proteinurie (Albuminurie) als wichtiges Merkmal der Erkrankung beschrieben. Interessanterweise überlebte der Patient, der selbst praktischer Arzt in Prag war, sechs Jahre mit der Erkrankung. Anfang 1950 wurde an der 2. Medizinischen Universitätsklinik ein Elektronenmikroskop etabliert, mit dem Prof. Herbert Braunsteiner die genauen zytoplasmatischen Strukturen von Plasmazellen untersuchte und 1953 in Blood publizierte. Zu dieser Zeit gab es keine wirksame medikamentöse Therapie für das multiple Myelom. Im deutschsprachigen Raum wurden hochdosiert Östrogene eingesetzt, und in den USA wurde den Patienten Urethan nach drei positiven Fallberichten verordnet. Eine nachfolgende randomisierte Studie, die Urethan mit Coca Cola verglich, zeigte einen deutlichen Überlebensnachteil für die mit Urethan behandelten Patienten.
Prof. Josef Kühböck war der Erste, der in Wien hochdosiert Kortikosteroide bei malignen Bluterkrankungen, u. a. auch beim multiplen Myelom, mit Erfolg eingesetzt hat. Die Arbeiten wurden 1960 in der Wiener Zeitschrift für Innere Medizin publiziert. Ein Jahr später konnte er zeigen, dass Endoxan beim multiplen Myelom Wirksamkeit entfaltet. In weiterer Folge wurden dann Vincaalkaloide, speziell Vincristin und später Vinblastin, mit mäßigem Erfolg zur Behandlung eingesetzt, nachdem die ersten Publikationen in Lancet 1963 und später in Blood 1967 veröffentlicht wurden. Melphalan wurde von N. N. Blokhin 1958 in Russland und gleichzeitig in England synthetisiert und rasch in die Klinik eingebracht. Der erstmalige Einsatz von Melphalan an der 2. Medizinischen Klinik erfolgte in den frühen 60er Jahren. Damals hieß das Medikament Sarcolysin. Es wurde schnell mit verschiedenen anderen Medikamenten kombiniert, wobei sich das MP (Melphalan-Prednisolon)- und das VMPC (Vincristin-Melphalan-Prednisolon-Cyclophosphamid)-Protokoll als erfolgreiche Kombinationen etabliert haben und von den damals an der Klinik federführenden Hämatologen Prof. Pietschmann und Prof. Kühböck als Standardtherapie verabreicht wurden.
Nachdem Bart Barlogie 1984 die Wirksamkeit des VAD-Protokolls in einer Publikation im New England Journal of Medicine veröffentlicht hatte, wurde diese Behandlung schnell in das Therapiespektrum an der 2. Medizinischen Universitätsklinik aufgenommen und sowohl zur Einleitung einer Chemotherapie bei neu diagnostizierten Patienten als auch zur Rezidivtherapie verwendet.
Der nächste große Therapiesprung folgte nach einer Fallbeschreibung über vier Myelompatienten von Håkan Mellstedt in Lancet 1979, welche Interferon als wirksame Therapie beim multiplen Myelom in den Vordergrund rückte. Zu dieser Zeit haben wir eine Kooperation mit der Firma Boehringer Ingelheim, welche in Wien u. a. die Interferon-Produktion, zuerst als „Lymphoblasten-Interferon“ aus stimulierten weißen Blutzellen und später als gentechnologisch hergestelltes rekombinantes Interferon etabliert hat, begonnen. Nach den initial sehr erfolgversprechenden Fallberichten haben wir Interferon zunächst als Monotherapie zur Induktion eingesetzt. Nachdem die Studienergebnisse keinen Vorteil gegenüber dem damaligen Standard VMPC gezeigt haben, wurde der Schwerpunkt der Indikation auf die Erhaltungstherapie gelegt. Tatsächlich kann damit sowohl eine Verbesserung des PFS als auch des OS erreicht werden. Dies konnten wir sowohl im Rahmen einer randomisierten Studie als auch in Form einer Metaanalyse nachweisen. Leider kann die Interferon-Therapie mit beträchtlichen Nebenwirkungen vergesellschaftet sein, sodass sich die Therapieoption langfristig nicht durchgesetzt hat.
Obwohl McElwain und Powles bereits 1983 gezeigt haben, dass eine Hochdosis- Therapie und Stammzelltransplantation auch bei zuvor therapieresistenten Patienten zu einer wesentlichen Tumorreduktion führen kann, war die Methode bis zur Einführung von G-CSF zur Supportivtherapie mit beträchtlichen Nebenwirkungen verbunden. Kurz nach meiner Bestellung zum Vorstand der Onkologie im Wilhelminenspital haben wir die autologe Stammzelltransplantation etabliert, wo seit 1994 ca. 500 autologe Transplantationen bei Patienten mit multiplem Myelom durchgeführt wurden.
Mit der von Bart Barlogie im New England Journal of Medicine im Jahr 2000 erfolgten Veröffentlichung der Wirksamkeit von Thalidomid bei Patienten mit relapsiertem/refraktärem multiplem Myelom hat eine neue Ära der Immuntherapie bei dieser Erkrankung begonnen. Thalidomid war zu diesem Zeitpunkt von Grünental kostenfrei erhältlich, was uns die Möglichkeit eröffnet hat, eine prospektiv randomisierte Studie, in der Thalidomid- Dexamethason (TD) mit Melphalan- Prednisolon (MP) verglichen wurde, zu konzipieren und durchzuführen. Obwohl mit TD höhere Remissionsraten als mit MP erreicht wurden, fand sich kein Unterschied im PFS, jedoch eine signifikant längere Überlebenszeit mit MP, was großteils durch die höhere Toxizität von TD bei älteren Patienten zu erklären ist. Im Jahr 2002 erfolgten die ersten Veröffentlichungen über die Wirksamkeit von Bortezomib und Lenalidomid beim multiplen Myelom. 2004 konnten wir bereits an der ersten Studie mit Bortezomib-Dexamethason (APEX-Studie) im Vergleich zum hochdosierten Dexamethason bei relapsierten/refraktären Patienten teilnehmen. Ich erinnere mich noch an eine Patientin aus Salzburg, die schmerzgeplagt ans Bett gebunden war und nach 2 Zyklen Bortezomib-Dexamethason wieder gehend die Klinik verlassen konnte. Lenalidomid war der nächste große Fortschritt in der Myelomtherapie und dann ging es fast lawinenartig weiter mit der Einführung von Carfilzomib, Pomalidomid, Panobinostat, Ixazomib, Elotuzumab und Daratumumab; Substanzen, die die Behandlungsergebnisse der Patienten revolutionierten, was zum Teil auf die Einführung der Antikörpertherapie zurückzuführen ist. Heute stehen insgesamt 31 Therapieprotokolle für die Behandlung zur Verfügung und gegenwärtig werden neue Medikamente und zelluläre Therapieverfahren in zahlreichen Studien evaluiert, was die Hoffnung nährt, dass zunehmend mehr Patienten einer Heilung zugeführt werden können.