Präoperatives Risikomanagement

Basierend auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand haben die European Respiratory Society (ERS) und die European Society of Thoracic Surgery (ESTS) 2009 im ERJ die europäischen Guidelines und den funktionellen Algorithmus für die Evaluierung von Patienten mit bevorstehender Lungenresektion erneuert (Abb. 3)1.
Durch den Fortschritt bei den Operationstechniken (weniger invasive Eingriffe), die verbesserte postoperative Betreuung und das Herabsetzen der Grenzen für eine funktionelle Operabilität wird den Patienten, welche noch vor einigen Jahren als inoperabel eingestuft wurde eine Resektion ermöglicht.

Kardiologische Abklärung

Anhand des „Revised Cardiac Risk Index“ kann präoperativ das kardiale Risiko abgeschätzt werden (Abb. 1). Wenn mehr als 2 Punkte oder eine bekannte kardiale Erkrankung bzw. der Verdacht auf eine kardiale Erkrankung bestehen, oder der Patient eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit hat, dann kann eine nichtinvasive kardiale Untersuchung, wie zum Beispiel eine Ergometrie, Aufschluss über Arrhythmien, Myokardischämie oder eine Herzinsuffizienz geben. Invasive kardiale Interventionen sollten nur dann präoperativ erfolgen, wenn die Patienten unabhängig von der bevorstehenden Operation eine solche bräuchten.

 

 

Lungenfunktion

Spirometrie und DLCO

Die Guidelines des American College of Chest Physicians (ACCP) und der British Thoracic Society empfehlen, dass Patienten mit einer präoperativen Einsekundenkapazität (FEV1) von mehr als 2 l (oder > 80 % predicted) für eine Pneumonektomie in Frage kommen, während jene mit einem präoperativem FEV1 > 1,5 l für eine Lobektomie geeignet sind2. Bis dato wurde die Diffusionskapazität für Kohlenmonoxid (DLCO) nur bei Patienten mit eingeschränkter Lungenfunktion durchgeführt.
Wenn FEV1 und DLCO präoperativ > 80 % sind, dann bedarf es keiner weiteren Untersuchung (Abb. 2).
Nach den aktuellen ERS-Guidelines sollte jeder Patient nach einer kardiologischen Untersuchung routinemäßig eine DLCO-Messung erhalten, unabhängig davon, ob die Ergebnisse der Spirometrie eingeschränkt sind oder nicht1.
In den späten 1980er-Jahren wurde erstmals gezeigt, dass der DLCO-Wert ein unabhängiger Prädiktor für postoperative Mortalität und Morbidität nach Lungenresektion ist3, 4, 5–9. Somit ist der DLCO-Wert ein Prädiktor für postoperative Komplikationen, auch bei Patienten mit normaler FEV1.
Ist der DLCO-Wert < 80 % besteht ein 2–3-fach erhöhtes Risiko für pulmonale postoperative Komplikationen5, 10. Sobald die DLCO oder die FEV1 < 80 % ist, sollten weitere Untersuchungen folgen.

 

 

Belastungsuntersuchung

Systematisch oder selektiv?

Das Ziel einer Belastungsuntersuchung sollte es sein, sowohl die kardiovaskuläre und pulmonale Funktion als auch die O2-Verwertung im peripheren Gewebe zu messen.
Es ist davon auszugehen, dass die Patienten, die nicht in der Lage sind, eine Belastungsuntersuchung adäquat zu absolvieren, auch unter der operativen Belastung oder in der postoperativen Phase Probleme entwickeln; daher korreliert eine Belastungsuntersuchung gut mit dem operativen Outcome.
Die Guidelines der ACCP und die der European Society of Thoracic Surgery (ERS/ETS) unterscheiden sich leicht im exakten Timing und der Indikation für eine kardiopulmonale Belastungsuntersuchung bei Patienten, die für eine potenzielle Lungenresektion in Frage kommen (Abb. 3 und 4).
Nach den ERS-Guidelines sollte bei Patienten mit einer FEV1 oder DLCO < 80 % als nächster Schritt eine Belastungsuntersuchung durchgeführt werden. In den ACCP-Guidelines wird diese nach der Spirometrie und dem Ventilations- bzw. Perfusionsscan (V/Q-Scan), als letzte Zuhilfenahme angeführt.
Die wichtigste Messung während einer kardiopulmonalen Belastungsuntersuchung, die mit den postoperativen Komplikationen gut korreliert, ist die individuelle maximale Leistungsfähigkeit. Sie wird mittels Spiroergometrie anhand der maximalen Sauerstoffaufnahme, dem VO2max, ermittelt. Verschiedene Autoren fanden eine gute Korrelation zwischen einem niedrigen VO2max (percent of predicted) und einem schlechten postoperativem Outcome11–14.
Gemäß den Guidelines der ERS/ESTS ist eine Operation bei Patienten mit einem VO2max < 10 ml/kg/min oder 20 ml/kg/min oder > 75 % predicted werden als operabel angesehen; eine Pneumonektomie ist hier möglich. Es gibt noch keine evidenten Cut-off-Werte für eine Lobektomie.

 

 

 

Untersuchungen mit wenig Aufwand

Belastungsuntersuchungen mit wenig apparativem Aufwand sind für jene Zentren eine Alternative, welche nicht jederzeit über die Möglichkeit einer Spiroergometrie verfügen.
Die am weitesten verbreiteten Belastungsuntersuchungen dieser Kategorie sind der 6 Minuten-Gehtest, der „shuttle walk test“ und der Stufensteigetest.

6-Minuten-Gehtest: Beim 6-Minuten-Gehtest ist bei gesunden Probanden jene Distanz, welche in 6–12 min zurückgelegt wird, ein recht verläßlicher Parameter, um den VO2 peak abzuschätzen.
Jedoch wurden für Patienten mit COPD oder Transplantationskandidaten noch keine einheitlichen Ergebnisse veröffentlicht, um das postoperative Outcome nach Lungenresektion anhand dieser ­Belastungsuntersuchung abzuschätzen. Dieser Test eignet sich nicht, um Patienten für eine Operation zu selektieren oder von der Operation auszuschließen.

Stufensteigetest: Verschiedene Arbeiten zeigten die Effektivität des Stufensteigetests in der Vorhersage für ein erhöhtes Risiko für kardiopulmonale Komplikationen nach Lungenresektion15–17.
Obwohl kaum standardisiert, zeigten einige Autoren dessen Effektivität, wie etwa Brunelli in einer prospektiven Studie mit 640 Patienten, die eine größere Lungenoperation (Lobektomie oder Pneu­monektomie) hatten: Patienten, die 22 Meter (< 1 % Mortalitätsrate) zurücklegten18.
Der symptomlimitierte Stufentest ist kosteneffektiv und eignet sich als Screeningtest. Die Patienten, die den Stufentest nicht gut absolvieren (< 22 m), sollten einer Spiroergometrie zugeführt werden.

Ergometrie: Mit einer Ergometrie können ebenfalls physiologische Parameter während körperlicher Belastung wie Leistung, Herzfrequenz, Blutdruck, ­Belastungsempfinden, Belastungs-Elektro­kardiogramm analysiert werden. Ferner lassen sich eine Reihe weiterer hämodynamischer (Herzminutenvolumen), metabolischer (Laktat, pO2 und Kohlendioxidabgabe gemessen anhand einer Blutgasanalyse unter Belastung) und anderer Funktionsparameter gewinnen.

Prädiktive postoperative Parameter

Patienten, welche nicht eindeutig ein geringes postoperatives Risiko gemäß den oben genannten Kriterien erfüllen (FEV1 oder DLCO < 80 %, und VO2max 35 bis 75 % oder 10–20 ml/kg/min), sollten gemäß den European Guidelines weitere Untersuchungen erhalten, um die prädiktiven postoperativen Parameter (ppo-Parameter) zu erheben. Die prädiktiven postoperativen Werte sollten grundsätzlich die präoperativen Werte, die Anzahl der zu resezierenden Lungensegmente und deren Beteiligung an der gesamten Funktion beinhalten.
Verschiedene Methoden wurden bislang angewendet, um die postoperative Lungenfunktion vorherzusagen. Gemäß den europäischen Guidelines sollte zuerst das Abschätzen der postoperativen Lungenfunktion durch Segmentabzählen anhand einer CT oder eines Bronchoskopiebefundes erfolgen (dabei werden nur Segmente gezählt, die nicht völlig obstruiert sind).
Danach sollte ein auf Bildgebung basierendes Errechnen der verbleibenden Lungenfunktion erfolgen: Ventilations- oder Perfusionsscan vor einer geplanten Pneumonektomie oder eine quantitative Computertomographie vor einer Lobektomie oder Pneumonektomie. Mehrere Studien belegen, dass man bei einer geplanten Lobektomie durch das Abzählen der zu resezierenden Lungensegmente (lung segment counting) die prädiktiven postoperativen Werte ebenso gut wie mittels Ventilations- oder Perfusionsscan vorhersagen kann19–23.
Die Perfusionsszintigraphie ist die am weitesten verbreitete und benutzte Methode, um die postoperative Lungenfunktion bei Patienten mit Lungenkrebs, welche für eine Pneumonektomie vorgesehen sind, vorherzusagen.
Folgende Formeln werden benutzt, um die prädiktiven postoperativen Werte für FEV1, DLCO und VO2max zu berechnen:

1. Präoperativer Wert (T x R):

Präoperativer Wert (FEV1%pred, DLCO und VO2max)
T = 19 minus Anzahl der obstruierten Segmente (erhoben anhand von Bildgebung oder Bronchoskopie)
R = T minus Anzahl der mitresezierten funktionsfähigen Segmenteoder

2. Präoperativer Wert x (1 – a/b)

Präoperativer Wert (FEV1%pred, DLCO und VO2max)
a = Anzahl der nichtobstruierten mitresezierten Segmente
b = Anzahl aller nichtobstruierten Segmente

Ein prädiktiv postoperativer DLCO– oder FEV1-Wert von < 30 % pred. ist vereinbar mit einem erhöhten postoperativen Risiko für Komplikationen.
Eine erhöhte postoperative Mortalität ist mit einem prädiktiv postoperativen VO2 peak von < 10 ml/kg/ min (35 % pred.) verbunden.

Stellenwert des Alters

Das Alter an sich ist kein unabhängiger Risikofaktor für postoperative pulmonale Komplikationen. Jedoch zeigte die Mehrzahl aktueller Studien, dass ein Alter über 70 Jahre ein unabhängiger Risikofaktor für Lungenresektion ist, wobei das erhöhte Risiko auf die häufig in diesem Alter vorkommenden Komorbiditäten zurückzuführen ist24. Ältere Patienten in einem guten Gesundheitszustand haben nicht vermehrt postoperative Komplikationen und sollten daher nicht aufgrund des hohen Alters von einer Operation ausgeschlossen werden.
Der Algorithmus der ERS/ESTS betont die Wichtigkeit einer einleitenden kardiologischen Untersuchung.
Bei allen Patienten, die kein hohes kardiales Risiko haben, wird eine komplette Spirometrie mit DLCO-Messung empfohlen.
Patienten mit einer normalen oder minimal eingeschränkten Lungenfunktion (FEV1 und DLCO > 80 %) und ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren kommen für eine Resektion bis hin zu einer Pneumonektomie in Frage.
Sobald die DLCO oder die FEV1 unter 80 % ist, sollte eine Belastungsuntersuchung, idealerweise eine Spiroergometrie mit VO2max-Messung, erfolgen. Man muß jedoch betonen, daß nicht alle Zentren über die Möglichkeit einer Spiroergometriemessung verfügen, sodaß hier ein Stufensteigetest (und als zweite Wahl ein „shuttle walk test“) als Screeningtest eingesetzt werden kann.
Patienten, die diese Tests nicht gut absolvieren (< 22 m beim Stufentest), sollten einer Spiroergometrie zugeführt werden.

Was bringt die Zukunft?

Evaluierung der täglichen körperlichen Aktivität (präoperativ)

Das Einbeziehen einiger simpler kosteneffektiver Parameter in die präoperative Untersuchung führt zu einer besseren Beurteilung des Allgemeinzustandes des Patienten.
Was in Zukunft einen höheren Stellenwert erlangen kann, ist die Evaluierung der täglichen körperlichen Aktivität, die der Patient präoperativ hat. Sie könnte zumindest die präoperative Belastungsuntersuchung ergänzen, wenn nicht ­sogar ersetzen. Bewegungsdetektoren sind nützliche Utensilien, um die tägliche ­Aktivität zu messen, besonders bei schwächeren Patienten, zum Beispiel jene mit COPD. Es gibt noch keine Studien, die die postoperativen Outcomes anhand der täglichen körperlichen Aktivität einschätzen.

DLCO-Messung unter Belastung

Wang et al. fand in einer Studie heraus, dass die Zunahme der DLCO bei 70 % der maximalen Leistungsfähigkeit der beste präoperative Prädiktor für postoperative Komplikationen war, gefolgt vom VOpeak. Die Messung der DLCO unter Belastung ist nicht leicht durchführbar und muss noch in größeren Kollektiven untersucht werden. Die DLCO-Messung unter Belastung könnte in Zukunft ein interessanter Parameter sein, weil dessen Verminderung eine schlechte Rekrutierung von pulmonalen Kapillaren widerspiegelt.

 

1 Brunelli A, Charloux A, Bolliger CT et al., ERS/ESTS clinical guidelines on fitness for radical therapy in lung cancer patients (surgery and chemo-radiotherapy) Eur Respir J 2009; 34:17–41
2 Colice GL, Shafazand S, Griffin JP et al., Physiologic evaluation of the patient with lung cancer being considered for resectional surgery: ACCP evidenced-based clinical practice guidelines (2nd edition). Chest 2007; 132:161S.
3 Markos J, Mullan BP, Hillman DR et al., Preoperative assessment as a predictor of mortality and morbidity after lung resection. Am Rev Respir Dis 1989; 139:902–910.
4 Pierce RJ, Copland JM, Sharpe K et al., Preoperative risk evaluation for lung cancer resection: predicted postoperative product as a predictor of surgical mortality. Am J Respir Crit Care Med 1994; 150:947–955.
5 Ferguson MK, Little L, Rizzo L et al., Diffusing capacity predicts morbidity and mortality after pulmonary resection. J Thorac Cardiovasc Surg 1988; 96:894–900.
6 Pieretti P, Alifano M, Roche N et al., Predictors of an appropriate admission to an ICU after a major pulmonary resection. Respiration 2006; 73:157–165.
7 Santini M, Fiorello A, Vicidomini G et al., Role of diffusing capacity in predicting complications after lung resection for cancer. Thorac Cardiovasc Surg 2007; 55:391–394.
8 Wang JS, Relationship of predicted postoperative product to postpneumonectomy cardiopulmonary complications. J Chin Med Assoc 2003; 66:643–654.
9 Wang JS, Relationship of carbon monoxide pulmonary diffusing capacity to postoperative cardiopulmonary complications in patients undergoing pneumonectomy. Kaohsiung J Med Sci 2003; 19:437–446.
10 Brunelli A, Sabbatini A, Xiumé F et al., A model to predict the decline of the forced expiratory volume in one second and the carbon monoxide lung diffusion capacity early after major lung resection. Interact Cardiovasc Thorac Surg 2005; 4:61–65.
11 Loewen GM, Watson D, Kohman L et al., Preoperative exercise VO2 measurement for lung resection candidates: results of Cancer and Leukemia Group B Protocol 9238. J Thorac Oncol 2007; 2:619–625.
12 Brutsche MH, Spiliopoulos A, Bolliger CT et al., Exercise capacity and extent of resection as predictors of surgical risk in lung cancer. Eur Respir J 2000; 15:828–832.
13 Win T, Jackson A, Sharples L et al., Cardiopulmonary exercise tests and lung cancer surgical outcome. Chest 2005; 127:1159–1165.
14 Wyser C, Stulz P, Soler M et al., Prospective evaluation of an algorithm for the functional assessment of lung resection candidates. Am J Respir Crit Care Med 1999; 159:1450–1456.
15 Holden DA, Rice TW, Stelmach K et al., Exercise testing, 6-min walk, and stair climb in the evaluation of patients at high risk for pulmonary resection. Chest 1992; 102:1774–1779.
16 Van Nostrand D, Kjelsberg MO, Humphrey EW, Preresectional evaluation of risk from pneumonectomy. Surg Gynecol Obstet 1968; 127:306–312.
17 Olsen GN, Bolton JW, Weiman DS et al., Stair climbing as an exercise test to predict the postoperative complications of lung resection. Two years’ experience. Chest 1991; 99:587–590.
18 Brunelli A, Refai M, Xiumé F et al., Performance at symptomlimited stair-climbing test is associated with increased cardiopulmonary complications, mortality, and costs after major lung resection. Ann Thorac Surg 2008; 86:240–247.
19 Ali MK, Mountain CF, Ewer MS et al., Predicting loss of pulmonary function after pulmonary resection for bronchogenic carcinoma. Chest 1980; 77:337–342.
20 Cordiner A, De Carlo F, De Gennaro R et al., Prediction of postoperative pulmonary function following thoracic surgery for bronchial carcinoma. Angiology 1991; 42:985–989.
21 Juhl B, Frost N, A comparison between measured and calculated changes in the lung function after operation for pulmonary cancer. Acta Anaesthesiol Scand Suppl 1975; 57:39–45.
22 Zeiher BG, Gross TJ, Kern JA et al., Predicting postoperative pulmonary function in patients undergoing lung resection. Chest 1995; 108:68–72.
23 Win T, Laroche CM, Groves AM et al., Use of quantitative lung scintigraphy to predict postoperative pulmonary function in lung cancer patients undergoing lobectomy. Ann Thorac Surg 2004; 78:1215–1218.
24 Bolliger CT, Perruchoud AP et al., Functional evaluation of the lung resection candidate. Eur REspir J 1998; 11:198 –212.
25 Wang JS, Abboud RT, Evans KG et al., Role of CO diffusing capacity during exercise in the preoperative evaluation for lung resection. Am J Respir Crit Care Med 2000; 162:1435–1444.