Bedingt durch biologische, soziale und psychische Faktoren kam es in den letzten Jahren zu einer Zunahme des Interesses an Psychoonkologie:
1. Biologisch: Krebs ist eine Erkrankung der 2. Lebenshälfte. Durch die Verlängerung der Lebenserwartung kommt es zu einer Zunahme an Neudiagnosen. Die Fortschritte in der Behandlung von an Krebs erkrankten Menschen führen zu einer Verbesserung von Heilungsraten und Überlebenszeiten. Neben dem „kurativen“ und „palliativen Setting“ bildet sich ein neues Gebiet, nämlich das der „chronischen Krebserkrankung“. Eine weitere Folge verbesserter Therapiemöglichkeiten ist eine Zunahme an 2.-, 3.- und 4.-Linie-Therapien und Behandlung von Patienten, die früher aufgrund von Komorbidität und Nebenwirkungen der etablierten Therapieprotokolle nur supportiven Therapien zugänglich waren. Kurz gesagt: Mehr Menschen, die an Krebs erkranken, mehr an Lebenszeit, mehr an Therapien bei gleich bleibenden oder zuletzt abnehmenden personellen Ressourcen.
2. Sozial: Durch diese Zunahme der Zahl von an Krebs betroffenen Menschen, der engagierten Arbeit von Selbsthilfegruppen, der Krebshilfe, der Aktion „Leben mit Krebs“ und vielen anderen nimmt die öffentliche Wahrnehmung von Krebs zu. Neben der ersten Aufgabe, das Überleben zu sichern, werden nun neue Themenkreise wahrgenommen: das Leben mit einer chronischen Krebserkrankung und die Reintegration in einen beruflichen/ sozialen Alltag.
3. Psychisch: Die verbesserten Behandlungskonzepte und die veränderte öffentliche Wahrnehmung führen zu einer langsamen Enttabuisierung der Krebserkrankung. Es zeigt sich, dass von der Krebserkrankung das gesamte System Familie betroffen ist: der Patient/die Patientin, Eltern, Kinder, Partner. Das Internet macht Information allen Familienmitgliedern möglich. Nicht ermöglicht dieser Zugang aber die Beziehung, die notwendig ist, um diese Information auch zu begreifen. Die Auseinandersetzung mit der Erkrankung, der Traurigkeit und Angst, Hoffnung und Illusion, den Täuschungen und Enttäuschungen ist ein notwendiger Teil des Lebens mit Krebs.
Wir können als Ärzte diese Themen wahrnehmen und kompetent unsere Patienten unterstützen und begleiten. Die Alternative ist, dies nicht zu tun und damit die Patienten weiter in den boomenden Markt der Alternativmedizin zu drängen und das „Doctor Hopping“ zu kultivieren. Gegenwärtig besteht die Gefahr, genau diese Tendenz durch die zunehmende Reduktion unserer ärztlichen Tätigkeit auf das, was nach rechtlichen und wirtschaftlichen Vorgaben leicht messbar und dokumentierbar ist, zu verstärken. Die Tendenz, ärztliche Tätigkeit durch wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen zu gestalten, kann zu einer Abwertung qualitativer Aspekte der Arzt- Patient-Beziehung führen. Die Argumentationslinie ähnelt einem „Sanierer“, der vorschlägt die Effektivität der Schauspieler im Burgtheater durch das Weglassen der unseligen Pausen zwischen den Sätzen zu erhöhen oder Zeit zu sparen indem wir die Wiener Philharmoniker doppelt so schnell spielen lassen.
Ziel der vorliegenden Artikelserie ist es, mittels folgender Themenschwerpunkte im Rahmen der nächsten Ausgaben einen Überblick über die Psychoonkologie zu geben:
1. „Breaking Bad News“. Vom Überbringen schlechter Nachrichten in der Onkologie
2. Compliance und Adhärenz in der Onkologie
3. Kommunikation in klinischen Studien
4. Psychosoziale Einflussfaktoren auf das Überleben von Krebspatienten
5. Zwischen Hoffnung und Illusion. Paul Watzlawick für Onkologen
6. Krebs, Trauma und Familie
7. Therapeutische Konzepte in der Psychoonkologie
8. Onkologische Rehabilitation und Psychoonkologie.
Zusammenfassung: Durch die Zunahme an Evidenz für psychoonkologische Diagnostik und Therapie gewinnt die Psychoonkologie zunehmende Bedeutung in der qualifizierten Betreuung von Krebspatienten und ihren Familien. Die Integration psychoonkologischer Kompetenz in unsere ärztliche Tätigkeit wird es uns Ärzten erleichtern, diese schwierigen Gespräche zu führen und unseren Patienten und ihren Familien eine bessere Lebensqualität und Adhärenz zu den Behandlungsplänen ermöglichen.